Essen/Gelsenkirchen. Oliver Wittke (CDU), einst OB in Gelsenkirchen, ist Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium und für Förderpolitik zuständig. Ein Gespräch.
Oliver Wittke kennt die Nöte an der Ruhr. Seit Jahren leitet der CDU-Politiker den Ruhrbezirk seiner Partei, er war Gelsenkirchener OB und NRW-Verkehrsminister. Heute ist Wittke Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. In der Bundeskommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“, die am 26. September gegründet wird, übernimmt er den Vorsitz der Arbeitsgruppe „Wirtschaft und Innovation“. Dort geht es um die Neuregelung der Bundesförderung nach dem Auslaufen des Solidarpaktes II. Michael Kohlstadt, Christopher Onkelbach und Andreas Tyrock sprachen mit Wittke über die Auswirkungen für das Ruhrgebiet.
Die Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ ist Teil der Koalitionsvereinbarungen von Union und SPD. Die Gründung ließ auf sich warten. Worum geht es genau?
Wittke: Wir wollen in der Kommission dafür sorgen, dass Fördermittel nicht nach Himmelsrichtungen oder nach dem Gießkannenprinzip verteilt werden. Ziel ist es, alle vorhandenen Fördermöglichkeiten so zu bündeln, dass eine für die jeweiligen Regionen passgenaue Förderpolitik dabei herauskommt. Denn nicht nur das Ruhrgebiet hat Nachholbedarf, sondern auch andere Regionen in Deutschland.
Ist nicht Eile angesagt, weil der Soli für den Aufbau Ost 2020 ausläuft?
Genau. Deshalb muss die Arbeitsgruppe „Wirtschaft und Innovation“, deren Vorsitz ich übernehmen darf, bereits Mitte 2019 Ergebnisse vorlegen. Bis dahin muss ein gesamtdeutsches Fördermodell vorliegen. Dabei gilt es auch, die Neuordnung der EU-Strukturhilfen zu berücksichtigen. Ab der neuen Förderperiode 2021 drohen rund 20 Prozent weniger EU-Mittel nach Deutschland zu fließen.
Wie kann das Revier von einer neuen Förderpolitik profitieren?
Der Solidarpakt sah eine Bevorzugung der neuen Bundesländer in der Förderpolitik des Bundes vor. Das soll es ab 2020 so nicht mehr geben. Vom Ruhrgebiet wünsche ich mir einen Ideenwettbewerb mit regional abgestimmten Konzepten. Es geht nicht um Essen gegen Gelsenkirchen oder Dortmund gegen Bochum. Die Region muss sich Gedanken machen, was sie haben will – und zwar sehr konkret. Dann können wir aus unterschiedlichen Töpfen die Finanzierung hinbekommen.
Geben Sie uns bitte ein Beispiel.
Ich glaube, dass wir aus unseren Hochschulen im Ruhrgebiet noch mehr machen können. Neue Forschungsinstitute müssen im Revier angesiedelt werden. Aber auch die örtliche Wirtschaft muss sich mehr in Forschung engagieren. Das betrifft nicht nur die Großkonzerne. Mittelständische Unternehmen könnten sich zusammentun und Forschungsverbünde gründen. Entwicklungspotenzial sehe ich zudem im Bereich Chemie und Logistik.
Wäre es nicht eine schöne Aufgabe für die soeben von der Landesregierung eröffnete Ruhr-Konferenz, hier Impulse zu setzen?
Genau das erhoffe ich mir von der Ruhr-Konferenz. Wir brauchen keine weitere Bestandsaufnahme und keine Stärken-Schwächen-Analyse. Wir brauchen von der Ruhr-Konferenz ganz konkrete Vorschläge und Projekte, deren Finanzierung dann über das Förderszenario aus EU, Bund und Land umgesetzt werden kann.
Das Ruhrgebiet hält wieder einmal die Hand auf?
Nein, das Revier bekommt keine Extrawürste. Es geht nicht um ein Aufbauprogramm Ruhr. Die Region muss selbst benennen, in welche Richtung sie will.
Die Revierstädte ächzen unter riesigen Schuldenbergen. Wäre ein radikaler Schuldenschnitt nicht ein Anfang?
Ein Schuldenschnitt bringt nichts. Als ich OB in Gelsenkirchen war, haben wir die RWE-Aktien verkauft und Gelsenkirchen auf einen Schlag quasi schuldenfrei gemacht. Weil sich an der Struktur nichts verändert hat, stand die Stadt fünf Jahre später wieder genau da, wo sie vor dem Verkauf der RWE-Aktien stand. Nein, die Kommunen in NRW müssen grundsätzlich eine bessere Finanzausstattung bekommen.
Was meinen Sie damit?
Kommunale Finanznot als flächendeckendes Phänomen gibt es derzeit nur in drei Bundesländern: im Saarland, in Rheinland-Pfalz und eben in NRW. Das wird durch die gute Konjunktur ein bisschen übertüncht. Es kann also nicht am Bund liegen, sondern an den Ländern. In der Kommission reden wir auch über Altschulden. Im Koalitionsvertrag ist festgelegt, dass es auf diesem Gebiet eine Lösung geben soll. Am Ende aber muss hier jeder einen Beitrag leisten.
Auch aus Unmut über die bisherige Fraktionsführung der Union im Bundestag will NRW-CDU-Vize Ralph Brinkhaus gegen den langjährigen Fraktionsvorsitzenden und Merkel-Vertrauten Volker Kauder antreten. Welchen Rückhalt genießt Brinkhaus in der Fraktion?
Das war ein Alleingang von Ralph Brinkhaus, der weder mit der Fraktion noch mit der NRW-Landesgruppe abgesprochen war und auch im NRW-Landesverband überrascht hat.
2020 stehen in NRW die nächsten Kommunal- und OB-Wahlen an. Rüstet sich die CDU Ruhr, weitere Rathäuser im Revier zu erobern, etwa in der SPD-Herzkammer Dortmund?
Wir sprechen im Bezirksvorstand darüber. Wir haben auch konkrete Vorstellungen in der einen oder anderen Stadt. Natürlich verweisen wir mit Freude darauf, dass da, wo die CDU den Oberbürgermeister stellt, diese blendend dastehen. Thomas Kufen in Essen, Daniel Schranz in Oberhausen, Christoph Tesche in Recklinghausen, Thomas Hunsteger-Petermann in Hamm und Tobias Stockhoff in Dorsten machen einen hervorragenden Job, um nur einige zu nennen. Wir müssen uns, anders als die SPD in Mülheim, für keinen Oberbürgermeister oder Bürgermeister schämen.