Chemnitz. Ein Afghane, der seit Jahren in Chemnitz lebt, ist am Samstag von Vermummten zusammengeschlagen worden. Die Polizei ermittelt.

Ein glasiger, starrer Blick, die Haltung zusammengekauert – Saifullah Z. steht unter Schock. Die Prellungen unter den Augen und eine Schnittwunde auf der rechte Wange sind frisch, wenige Stunden ist es her, dass er in zusammengeschlagen wurde. „Ich habe sie nicht kommen sehen, plötzlich lag ich auf dem Boden und hatte furchtbare Angst,“ sagt der 20-jährige Afghane in holprigem Deutsch.

Sein Freund Jibril Ali A., ein Flüchtling aus Somalia, war dabei, er hat gesehen, was passiert ist. „Ich bin ganz schnell gerannt, deshalb haben sie mir nichts getan“, sagt er.

Die Freunde kamen gegen 19.35 Uhr vom Einkaufen und gingen im Chemnitzer Stadtteil Markersdorf die Wolgograder Allee entlang, da hatte sich die rechte Demo – ein Schulterschluss aus AfD, Pegida und dem rechtsextremen Verein – in der Innenstadt gerade aufgelöst.

Flüchtling in Chemnitzer Wohngegend zusammengeschlagen

Eigentlich ist Markersdorf eine ruhige Gegend außerhalb der Innenstadt, „wie im Dorf“ sei es hier normalerweise, sagt Jibril Ali A.

Am Sonnabend war das anders: „Plötzlich kamen sechs oder sieben vermummte Männer, sie rannten uns nach, ich sah ihre schwarze Kleidung, ihre schwarzen Masken“, sagt A.. Sein Freund, kleiner und schmächtiger als er, sei nicht schnell genug gewesen, die Männer hätten ihm ins Gesicht geschlagen, er sei zu Boden gegangen.

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    Die sächsische Polizei bestätigt die Attacke in ihrem Bericht über den Einsatz zur Demonstration, spricht aber von vier vermummten Personen, nicht von sechs oder sieben. Man habe die Ermittlungen wegen gefährlicher Körperverletzung aufgenommen. Derzeit ist offen, ob die Täter aus den Reihen der rechten Demonstranten kamen.

    Entlassung auf eigenen Wunsch

    Dann seien die Angreifer davongerannt. Die Polizei war sehr schnell vor Ort – nach einer Minute, sagt Jibril A.. Ein Krankenwagen transportierte Saifullah Z., der seit vier Jahren in Chemnitz lebt, in die Notaufnahme. „Multiple oberflächliche Verletzungen des Kopfes, Schlag ins Gesicht ohne Bewusstlosigkeit“, notiert die Ärztin auf dem Entlassungsbogen.

    Denn Saifullah Z. wird auf eigenen Wunsch nach wenige Stunden entlassen. „Ich konnte im Krankenhaus nicht schlafen, ich musste zurück zu meinen Freunden“, sagt er.

    Ein trister Plattenbau, elf Stockwerke geht es hoch. In einer winzigen Einzimmerwohnung sitzen die zwei Freunde auf einem grauen Plüschsofa, im Fernsehen laufen die Nachrichten – auf Deutsch. „Wir müssen ja lernen“, sagt Saifullah Z. und lächelt zum ersten Mal an diesem Abend.

    Es duftet nach würzigen Kräutern, ein Freund hat gekocht, es gibt gebackenes Huhn und Zuchini aus dem Ofen. Doch so richtig Hunger hat hier keiner, zu tief sitzt der Schock. Und die Angst.

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      Chemnitz ist kein Einzelfall

      „Die Männer haben uns gejagt“, erklärt Jibril Ali A.. Das sei in Chemnitz kein Einzelfall, jeden Tag habe er Angst, und versuche, niemals alleine auf die Straße zu gehen. Zur Arbeit oder zum Deutschunterricht gehe man immer mindestens zu zweit, erzählen die Freunde.

      Oft muss ich überlegen: Gehe ich zur Arbeit oder bleibe ich zu Hause?“ Schiefe Blicke im Supermarkt, das sei Alltag. Aber in letzter Zeit sei die Fremdenfeindlichkeit aggressiver geworden.

      Die Bundesregierung hatte das scharf verurteilt: „Solche Zusammenrottungen, Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens, anderer Herkunft, oder der Versuch, Hass auf den Straßen zu verbreiten, das nehmen wir nicht hin“, hatte Regierungssprecher Steffen Seibert gesagt.

      Den drei Flüchtlingen ist die Terminologie egal – sie haben einfach nur Angst. Diese Furcht sieht man ihnen an, aber auch das Unverständnis. Warum machen Menschen sowas? „Ich will doch nur arbeiten, egal was, ich habe eine richtige Aufenthaltserlaubnis“, sagt Jibril Ali A. Stolz zeigt er seinen laminierten Aufenthaltstitel vor.

      Rechtsextremismus ist ostdeutsches Problem

      Die Erlaubnis gilt noch bis Januar 2020. Nur: So lange will der Somalier auf keinen Fall in Chemnitz bleiben. Drei Jahre ist er jetzt in Deutschland, drei Monate davon war er in Düsseldorf. Seine Augen glänzen, wenn er von seiner Zeit in Nordrhein-Westfalen erzählt. Auf jeden Fall müsse er raus aus Ostdeutschland. Das Leben dort sei für Flüchtlinge zu gefährlich geworden.

      Die Lage im Osten ist angespannt, auch wenn es dort viel weniger Asylbewerber gibt als in den meisten westlichen Bundesländern: So haben laut einer aktuellen Statistik des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) im Zeitraum von Januar bis Juli 2018 genau 4.461 Menschen einen Asylantrag in Sachsen gestellt.

      Zum Vergleich: Im deutlich größeren Nordrhein-Westfalen waren es im gleichen Zeitraum 22.816 Asylanträge. Das belegt eine Studie.

      Für den Afghanen Saifullah Z. bedeuten diese Zahlen vor allem eines: Weniger Menschen in der gleichen Lage, die ihn zum Supermarkt begleiten und so vor Angreifern schützen können.