Duisburg/Essen. . Bis 2030 muss jede zweite Busfahrer-Stelle neu besetzt sein. Katja Wolters ist umgestiegen: Die 28-Jährige schätzt ihren Job als Busfahrerin.
Ihren anstehenden Jobwechsel hat Katja Wolters kaum einer glauben wollen. Dass die junge Frau ihren Beruf als Köchin an den Nagel hängen wollte, um ausgerechnet ein über 18 Meter langes, tonnenschweres Fahrzeug durch die oft verstopften Straßen von Duisburg zu lenken, war für ihre Freunde und Bekannten nicht gerade naheliegend.
Aber die 28-Jährige war sich sicher, sie wollte Busfahrerin werden. „Ich habe oft den ganzen Tag im geschlossenen Raum gearbeitet“, sagt Wolters vor dem Betriebshof der Duisburger Verkehrsgesellschaft (DVG). In ihrer Familie gebe es Busfahrer, die jeden Tag anderes zu berichten hatten. „Das wollte ich, raus und Abwechslung.“
Wo die Taktausdünnung besonders schmerzt
An diesem Mittag soll das die Linie 934 bieten, eine von 25 Stadtlinien in Duisburg, die einen Großteil der jährlich rund 62,5 Millionen Fahrgäste mitnehmen. Diese Linien sind so etwas wie der kleinste Teil des Nahverkehrs: Sie bringen Schüler, Senioren und Pendler dank eines feinen Haltestellennetzes bis an den Rand der Stadt. Es sind die Linien, wo es besonders schmerzt, wenn Takte ausgedünnt werden.
Die 934 fährt von Kaßlerfeld bis Großenbaum, 42 Minuten gespickt mit einem Dutzend Baustellen und Rückstau, der für erste Verspätung sorgt. Wolters bleibt geduldig: An einer Klinik bleibt ihr Bus stehen, bis eine Frau mit Rollator ausgestiegen ist. Die Dame winkt sogar.
Etwa 40.000 Stellen im Fahrdienst zu ersetzen
Die Busbetriebe brauchen Nachwuchs wie Katja Wolters. Von den bundesweit rund 103 000 Busfahrern gehen nach Einschätzung des Bundesverbandes deutscher Omnibusunternehmer viele bis 2030 in den Ruhestand. Laut einer Umfrage unter Privatbetrieben sind die Hälfte der Fahrer 51 Jahre und älter. Bei den städtischen sieht es ähnlich aus: Von den 85 000 Beschäftigten im öffentlichen Fahrdienst sind laut Verband deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) bis 2030 etwa 40 000 aus Altersgründen zu ersetzen.
Im Revier arbeiten die Verkehrsbetriebe vor. Bei der DVG liegt der Altersdurchschnitt dank Neueinstellungen bei 40 Jahren. Neulinge müssen mindestens 23 Jahre alt sein und seit zwei Jahren Auto fahren. Die Dortmunder Stadtwerke bilden im Jahr bis zu 50 Fahrer aus, private wie städtische Betriebe bemühen sich zudem um Arbeitslose oder Jobwechsler. Dennoch: Auch in der Region wird man nervös. Verkehrsbetriebe wie die Reviergröße Bogestra beteiligen sich an einer erstmals bundesweiten Kampagne, um den ÖPNV als Arbeitgeber zu bewerben. „Die Personalsuche ist anspruchsvoller geworden“, sagt Volker Wente vom VDV NRW.
Noch neue Ausbildung zur Fahrdienst-Fachkraft
Wer Busfahrer werden will, musste lange vor allem den entsprechenden Führerschein und Fahrpraxis vorweisen. Berufskraftfahrer, Handwerker oder Wehrdienstleistende, die einen Lkw-Führerschein gemacht haben, kamen in den Beruf. Erst seit diesem Jahrhundert gibt es die zweijährige Ausbildung zur Fachkraft im Fahrdienst, die auch im Ticketverkauf arbeiten kann. Die Bogestra gehörte zu den ersten Betrieben, die sie anboten.
Dass um Fahrer inzwischen regelrecht geworben werden muss, hat aus Sicht der Gewerkschaft Verdi zwei Gründe: „Die Belastung ist gestiegen, die Bezahlung hat sich aber nicht deutlich verbessert“, sagt Peter Büddiker, Verkehrsexperte bei Verdi NRW. In NRW verdienen Tarifangestellte, die nach 2010 eingestellt wurden, rund 2500 Euro; bei Privaten sei es bei einem Stundenlohn von 13,50 Euro weniger. Der dichte Verkehr sorge für Stress, die Anforderungen durch Fahrgäste würden komplizierter, Pausen durch Verspätungen beschnitten. „Viele fühlen sich alleingelassen“, so Büddiker. Hinzu kommen ruppige Kunden: 2017 hat die Ruhrbahn Sicherheitsscheiben in Fahrerkabinen eingesetzt, weil 51 Fälle von Spuck-Attacken oder Beleidigungen in einem Jahr gemeldet wurden.
Zukunftsfrage autonomes Fahren
Verdi fordert Perspektive ein: „Gerade wenn es um das autonome Fahren geht, also die Zeit, in der Busfahrer nicht mehr allein am Steuer sitzen, brauchen wir Lösungen für die Beschäftigten“, sagt Büddiker. Dass ihr Beruf einmal überflüssig wird, glaubt Wolters indes nicht. „Ich würde nicht in einen autonom fahrenden Bus einsteigen“, sagt die 28-Jährige, als sie an ihrer Endhaltestelle angekommen ist. Für sie komme mit ihrem Beruf eine große Verantwortung, die sie einer Maschine nicht übertragen will: „Wir fahren keine Paletten durch die Gegend. Fahrgäste fühlen sich sicherer, wenn sie ein Gesicht zum Fahrdienst haben.“
Seit zwei Jahren fährt Wolters Bus. Bei der DVG-eigenen Fahrschule hat sie ihren Führerschein gemacht, drei Monate Theorie und Praxis, die Kosten hat das Unternehmen getragen. Bei der ersten Fahrt habe sie noch einen Stein im Bauch gehabt, „und ich habe mich auch schon einmal verfahren“. Inzwischen sitze sie lieber im Bus als im Auto am Steuer. Sie möge es, Fahrgästen weiterzuhelfen. Und im Bus habe sie auch die bessere Sicht.