Münster/Düsseldorf. . Sami A. muss nach Deutschland zurückgeholt werden, hat das OVG entschieden. Minister Stamp gerät in Bedrängnis – sein Rücktritt wird gefordert.

In der vergangenen Woche präsentierte Joachim Stamp bei Facebook den Schnappschuss eines herrlichen Sonnenuntergangs aus seinem Urlaubsort Kreta. Wenn es mal mit der Politik nicht mehr laufe, kommentierte der NRW-Flüchtlingsminister launig, werde er halt „Postkarten-Fotograf“. Dass der FDP-Politiker und Vize-Ministerpräsident bereits kurz nach seiner Rückkehr nach Düsseldorf von existenziellen Fragen durchgeschüttelt werden würde, mochte er sich da wohl noch nicht vorstellen.

Am Mittwoch verpasste das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster jedoch Stamp nicht weniger als eine juristische Ohrfeige. Der im Juli nach Tunesien abgeschobene Islamist Sami A. muss auf Staatskosten nach Deutschland zurückgeholt werden. Die umstrittene Ausreise per Charterflug nach Tunis sei „offensichtlich rechtswidrig gewesen“, urteilten die Richter letztinstanzlich und gaben damit dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen auf ganzer Linie Recht.

Ein Funkspruch hätte gereicht

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Minister Stamp hatte „die persönliche Verantwortung“ für die umstrittene Abschiebung vom 13. Juli übernommen. Er wollte den 42-jährigen Sami A., der als ehemaliger Leibwächter des Top-Terroristen Osama bin Laden gilt und als Gefährder seit Jahren von Sozialleistungen in Bochum lebte, „so schnell wie möglich und so direkt wie möglich“ in die Heimat schicken. Das rechtliche Abschiebehindernis der Gefahr einer möglichen Folter oder erniedrigenden Haltung für Sami A. war aber noch gar nicht abschließend geklärt.

Das Oberverwaltungsgericht mit Sitz in Münster legte nun ausführlich dar, dass die Justiz regelrecht ausgetrickst wurde. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen sei über den Abschiebetermin im Unklaren gelassen worden. Es sei vom Bundesamt für Migration (Bamf) im Irrglauben beruhigt worden, dass Stamp und das zuständige Ausländeramt Bochum einen ursprünglich für den 12. Juli gebuchten Linienflug storniert hätten und deshalb keine Eilentscheidung notwendig sei. Der zu diesem Zeitpunkt bereits organisierte Charterflug nur neun Stunden später sei „dem Verwaltungsgericht trotz dessen Nachfragen nicht genannt“ worden.

Bochum will doch keine Verfassungsbeschwerde einlegen

Zudem monierte das OVG, dass die Abschiebung am 13. Juli selbst nicht mehr abgebrochen wurde. Die Entscheidung, dass Sami A. wegen einer möglichen Folterdrohung nicht nach Tunesien abgeschoben werden dürfe, sei dem Bamf um 8.14 Uhr und damit eine Stunde vor dessen Übergabe an die tunesischen Sicherheitskräfte mitgeteilt worden. Spätestens um 8.44 Uhr habe davon die Stadt Bochum Kenntnis gehabt. Die organisatorisch eingebundene Bundespolizei hatte eingeräumt, dass bereits ein Funkspruch ins Cockpit für den Abbruch der Aktion ausgereicht hätte.

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Die Stadt Bochumwill nun nicht mehr Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe einlegen. Sami A. muss nach Deutschland zurückgeholt werden. Dass er zurzeit keinen Pass besitzt und in Tunesien möglicherweise wegen dortiger Ermittlungen mit einer Ausreisesperre belegt wird, stelle für die Rückkehr keine „dauerhaften Hindernisse“ dar. Das Oberverwaltungsgericht erwartet diplomatische Bemühungen und die Erteilung einer „Betretungserlaubnis“, um einen Mann zurückzuholen, den die Sicherheitsbehörden für einen islamistischen Gefährder und Hetzer ohne Aufenthaltsrecht halten.

Wie schnell Sami A. nun nach Deutschland zurückkehren könnte, ist unklar. Der 42-Jährige werde nicht geholt, sondern müsse von sich aus nach Deutschland zurückreisen, sagte ein Sprecher der Stadt Bochum. Das Auswärtige Amt müsse Sami A. ein Visum für die Einreise ausstellen. "Wir als Stadt geben der Anwältin von Sami A. jetzt eine Kostenzusage für den Rückflug", sagte Sprecher Thomas Sprenger. Mehr könne die Stadt dann nicht tun. Zuletzt hatte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft in Tunesien allerdings betont, gegen den aus Deutschland abgeschobenen Gefährder werde ermittelt, und er müsse in Tunesien bleiben.

Grüne fordern Stamps Rücktritt

Für die Polizei dürfte es schwer werden, die Kreise des 42-Jährigen nach einer möglichen Rückkehr nach Bochum auf Schritt und Tritt zu überwachen. Schon vor der Abschiebung, als Sami A. Gegenstand permanenter Boulevard-Berichterstattung war, sahen die Ermittlungsbehörden eine wachsende Gefahr. Die Sorge, dass der Mann „durchknallt“, war groß. Die Polizeidienststelle, auf der sich Sami A. seit Jahren in Bochum einmal täglich melden muss, wurde gewechselt.

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Für Stamp, immerhin Vorsitzender der Rechtsstaatspartei FDP in NRW, wird es ebenfalls ungemütlich. Missachtung von Gerichtsentscheidungen – das grenzt an politische Selbstjustiz. SPD und Grüne forderten noch am Mittwoch Stamps Rücktritt: „Für diesen unglaublichen Vorgang und das daraus entstandene Chaos ist allein Joachim Stamp verantwortlich“, sagte Grünen-Rechtsexperte Stefan Engstfeld.

Kutschaty kritisiert Stamp scharf

Auch der frühere NRW-Justizminister und jetzige SPD-Fraktionsvorsitzende im Landtag, Thomas Kutschaty, den für die Abschiebung verantwortlichen Integrationsminister scharf angegriffen: „Den Schlamassel haben wir Herrn Stamp zu verdanken“, erklärte Kutschaty gegenüber dieser Redaktion. „Er hat das Gelsenkirchener Gericht getäuscht und den Rechtsstaat in einer Dimension beschädigt, wie ich es in 25 Jahren in der Justiz noch nie erlebt habe.“

Es gebe jetzt keine Möglichkeit mehr, den Gefährder in Gewahrsam zu nehmen, da ihm keine Straftat vorgeworfen wird und eine Abschiebung derzeit ausgeschlossen sei. „Dafür ist Joachim Stamp verantwortlich“, sagte Kutschaty und fragte: „Erstattet er jetzt persönlich die Kosten für den Flug?“ Allein die Reise nach Tunesien habe 35.000 Euro gekostet.

Stamp nach wie vor überzeugt, dass Sami A. keine Folter droht

Auch Ministerpräsident Armin Laschet, der erklärt habe, die Abschiebung sei nach Recht und Gesetz verlaufen, sei in der Verantwortung: „Entschuldigt er sich jetzt beim Verwaltungsgericht in Gelsenkirchen?“

Stamp bedauerte, dass sich das OVG nicht mit dem angeblichen Abschiebehindernis in der Sache befasst habe: „Wir sind nach wie vor der festen Überzeugung, dass Sami A. in Tunesien weder gefoltert wurde, noch ihm dort künftig Folter droht.“ Das Gericht lasse ihn ratlos zurück. Den Vorwurf, das Gericht getäuscht zu haben, will er mit der Veröffentlichung von Dokumenten entkräften, kündigte er an und versicherte: „Unser Kurs der konsequenten Abschiebung von Gefährdern wird unverändert fortgesetzt.“