Essen. Europaminister Stephan Holthoff-Pförtner warnt davor, EU-Feinden bei der Europawahl 2019 das Feld zu überlassen. Hoffnung auf den Abschied vom Brexit.

Kiel, Erfurt, Hannover, München – NRW-Europaminister Stephan Holthoff-Pförtner (CDU) ist dieser Tage viel unterwegs. Im Juli übernahm er den Vorsitz der Europaminister-Konferenz und muss die Bundesländer in bewegten EU-Zeiten auf eine Linie einschwören. Beim Redaktionsbesuch in Essen schilderte er WAZ-Chefredakteur Andreas Tyrock, Lutz Heuken und Tobias Blasius, warum das Europawahljahr 2019 niemanden kalt lassen sollte.

Herr Minister, Sie reisen zurzeit als Vorsitzender der Europaminister-Konferenz zu allen Ihren Länderkollegen von Kiel bis München, um die Interessen zu koordinieren. Welches ist aktuell das brennendste Thema?

Holthoff-Pförtner: Die Europawahlen im Mai nächsten Jahres sind von alles entscheidender Bedeutung für die Zukunft der Europäischen Union. Wenn erstmals eine Europa ablehnende Parlamentsmehrheit in Brüssel und Straßburg zustande käme, würde dies die Arbeit der EU-Kommission und des Europäischen Rats extrem erschweren. Europa wäre gelähmt. Mein Anliegen ist es deshalb, gemeinsam mit meinen Länderkollegen einen Weckruf für eine hohe Wahlbeteiligung zu starten.

Wen wollen Sie wachrütteln?

Gerade die jüngere Generation lebt das geeinte Europa so selbstverständlich und selbstbewusst, dass sie sich gar nicht vorstellen kann, dass das alles gefährdet sein könnte. Wer mit Erasmus-Auslandsaufenthalt groß geworden ist und die Schlagbaum-Zeit vor Schengen nie kennengelernt hat, nimmt die Errungenschaften der Europäischen Union vielleicht zu sehr als gegeben hin. Das ist gefährlich in einer Zeit, in der Populisten mit Desinformation alles Negative der angeblichen Brüsseler Regulierungswut zuschreiben.

Wird die EU nicht vor allem vom zunehmenden Nationalismus ihrer osteuropäischen Mitgliedsstaaten bedroht?

Unsere zunehmende Dialogunfähigkeit mit schwierigen Partnern bereitet mir große Sorgen. Wir müssen von Ländern wie Polenund Ungarn natürlich das Bekenntnis zu Rechtsstaatlichkeit, Pressefreiheit und europäischen Werten deutlich einfordern, dürfen aber den zivilgesellschaftlichen Austausch in Wissenschaft, Sport und Kultur nicht abreißen lassen. Wenn wir in Europa aufhören, miteinander zu sprechen, bricht Europa auseinander. Es gibt etwa in Ungarn eine Zustimmung von über 80 Prozent zu Europa. Diese Menschen dürfen wir nicht durch Sprachlosigkeit oder Beschimpfungen in falsche Arme treiben.

Was kann die Landesregierung tun, um diesen Dialog aufrecht zu erhalten?

Die Landesregierung wird noch in diesem Jahr zu einem Kongress einladen, bei dem zivilgesellschaftliche Initiativen, Stiftungen und Verbände miteinander ins Gespräch kommen. Denn Sprachlosigkeit wäre das Ende einer Zusammenarbeit. Und die Kräfte, die Europa schwächen wollen, sind ja leider sehr erfolgreich am Werke.

An wen denken Sie?

US-Präsident Trump hat ganz sicher kein Interesse an einem starken und geeinten Europa. Russland verfolgte schon auf dem Höhepunkt der Griechenland-Krise 2015 eine eigene Agenda. Und dass China mit eigenem Geld den Hafen von Piräus ausbaut, ist sicher nicht mit Selbstlosigkeit zu erklären.

Die EU-Kommission erwägt, künftig die Mittelverteilung an rechtsstaatliche Prinzipien zu koppeln, um sperrige Regierungen in Osteuropa zu disziplinieren. Was halten Sie davon?

Ich halte überhaupt nichts davon, die Knete-Keule zu schwingen, wie man im Ruhrgebiet sagt. Taschengeld-Entzug ist kein gutes Erziehungsmittel. Ich würde es eher begrüßen, die Stärkung rechtsstaatlicher Strukturen gezielt zu fördern.

Was bedeutet der Brexit 2019 für Nordrhein-Westfalen?

Ich will die Hoffnung nicht aufgegeben, dass die Briten am Ende noch einmal über die ausgehandelten Scheidungsverträge mit der EU abstimmen dürfen und damit ihren Austrittsbeschluss korrigieren könnten. Ob das realistisch ist, weiß ich nicht. Wir müssen uns auf einen Brexit einstellen, der unbedingt geordnet ablaufen muss. Großbritannien ist für Nordrhein-Westfalen nicht nur ein enorm wichtiger Handelspartner. Die Briten waren Gründungspate unseres Bundeslandes und haben uns in Wissenschaft, Kultur und Medien stark geprägt. Es steht für alle viel auf dem Spiel.

Auch in Deutschland wirkt die Europa-Begeisterung erlahmt.

Wir sollten uns bewusst machen, dass wir so liberal, friedlich und wohlhabend in Europa leben können wie noch keine Generation vor uns. Die wirtschaftliche Stärke Deutschlands verdanken wir vor allem dem Handel im Europa ohne Grenzen. Gerade wir Deutschen täten gut daran, nicht alles Schlechte Brüssel anzulasten und weniger belehrend unseren Nachbarn gegenüber zu treten. Mehr Zuhören, weniger Besserwisserei – das stünde uns gut an.

>> ZUR PERSON

Stephan Holthoff-Pförtner (69), promovierter Jurist aus Essen, ist als Anwalt mit prominenten Mandanten wie Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl bekannt geworden.

Politisch engagierte er sich in den 80er-Jahren im Essener Stadtrat und bis 2017 als Schatzmeister der NRW-CDU. Zugleich ist er Mitgesellschafter der Funke Mediengruppe, in der auch diese Zeitung erscheint.