Düsseldorf. Özil, Gündogan - jahrelang waren sie Aushängeschilder für gelungene Integration in Deutschland.

Der Fall Mesut Özil ist aus wissenschaftlicher Sicht ein Paradebeispiel für Integrationshürden und heimatliche Zerrissenheit der "Deutsch-Türken". Charakteristisch sei ein sogenanntes Integrationsparadoxon, erklärte Prof. Haci-Halil Uslucan am Montag in Düsseldorf bei der Vorstellung einer neuen Studie des Zentrums für Türkeistudien.

Demnach empfinden sich gerade objektiv besser Integrierte, wie der gebürtige Gelsenkirchener Top-Fußballer Özil, häufig als nicht zugehörig, weil sie besonders sensibel für gesellschaftliche Diskriminierung seien. "Sie meinen, eine aktive Integrationsarbeit geleistet zu haben und bekommen dennoch die Quittung: "Nee, du gehörst doch nicht dazu. Du bist nur Pass-Deutscher"", beschreibt der Essener Migrationsforscher und Psychologe die tief empfundene Zurückweisung.

Özil hatte am Sonntag in seiner Rücktrittserklärung geschrieben: "Ich fühle mich ungewollt und denke, dass das, was ich seit meinem Länderspiel-Debüt 2009 erreicht habe, vergessen ist.

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"Seit 2010 steige die Zahl der türkeistämmigen Zuwanderer, die sich eher der Türkei denn Deutschland verbunden fühlen, berichtete Uslucan. Dies sei auch einer sehr stark ausgrenzenden Debatte geschuldet, ausgelöst unter anderem durch das umstrittene Buch "Deutschland schafft sich ab" von Thilo Sarrazin.In der jüngsten repräsentativen Befragung gaben 61 Prozent an, sich sehr stark der Türkei zugehörig zu fühlen, nur 38 Prozent sagten das über Deutschland (in NRW: 35 Prozent). Rückläufig ist seit 2010 auch die Zahl derer, die sich - bei möglichen Mehrfachnennungen - mit beiden Ländern identifizieren. 2017 bejahten das etwa 48 Prozent der Befragten - 2010 noch rund 65 Prozent.

Auch in der Nachfolgegeneration ist die Verbundenheit zur Türkei noch hoch. Uslucan führt das unter anderem auf überhitzte Türkei-Debatten in Deutschland, das Werben der türkischen Regierung sowie Erfahrungen mit Diskriminierung zurück.

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Diese sogenannte hybride Identität sollte nicht skandalisiert oder dramatisiert werden, empfahl Uslucan. Dass noch immer zwei Herzen in der Brust vieler Deutsch-Türken schlügen, sei "kein Zeichen von Desintegration", sondern menschlich verständlich und politisch nur bedingt zu beeinflussen. Insofern sollten Analysen nach dem Motto "Was haben wir bloß falsch gemacht?" jetzt nicht überzogen werden, mahnte der Wissenschaftler.

Manchmal sei Heimatgefühl nur eine Utopie oder ein Sehnsuchtsort, heißt es in der Studie. Abträglich seien der Identifikation mit Deutschland aber in jedem Fall gesellschaftliche Exklusion und fehlende Perspektiven.Die Kränkung, die Özil zu seiner spektakulären Abrechnung getrieben habe, werde von vielen Deutsch-Türken zutiefst nachempfunden, berichtete NRW-Integrationsstaatssekretärin Serap Güler (CDU) über Rückmeldungen aus der türkischen Community. Viele fühlten sich in ihrer Opferrolle bestätigt: "Solange du gut bist, wirst du akzeptiert, sobald du einen Fehler machst, wirst du abgeschrieben." Özil hatte beklagt, er sei "Deutscher, wenn wir gewinnen, aber ein Immigrant, wenn wir verlieren".

Die Debatte sei gefährlich, weil sie Rassisten in beiden Ländern in die Hände spiele, mahnte Güler. "Die Nationalisten auf türkischer Seite werden jetzt sagen: Seht Ihr, Ihr könnt machen, was Ihr wollt. Ihr werdet nie akzeptiert werden."NRW-Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) will Özil und Ilkay Gündogan, der ebenfalls heftig wegen gemeinsamer Fotos mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan unter Beschuss steht, nach den Sommerferien zu einem gemeinsamen Gespräch über Werte und über ihre Vorbildfunktion einladen - aber nicht, um den beiden Spitzenfußballern "aus dem Ruhrpott" eine Gardinenpredigt zu halten. "In einer offenen Gesellschaft müssen wir Kontroversen unaufgeregter aushalten." (dpa)