Düsseldorf. . Noch ist offen, wer den Gefährder gegen den Willen der Justiz nach Tunesien bringen ließ. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu dem Fall.
Selten hat ein Fall für so viel Streit zwischen Behörden geführt wie der von Sami A.: Erst wird der tunesische Gefährder abgeschoben, dann soll er wieder zurückkommen, weil es ein Gericht so will. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu dem Fall:
Wer ist Sami A.?
Der heute 42-jährige Tunesier kam im Jahr 1997 zum Studium nach Deutschland. Er studierte unter anderem in Bochum, wo er in den vergangenen Jahren mit seiner Ehefrau und seinen vier Kindern lebte. Frau und Kinder haben die deutsche und die tunesische Staatsbürgerschaft. Die Familie lebt von staatlicher Unterstützung.
Ist Sami A. gefährlich?
Er soll in einem Al-Kaida-Lager in Afghanistan militärisch ausgebildet worden sein und zur Leibgarde des Terroristenführers Osama bin Laden gehört haben. A. selbst bestreitet dies. Schwere Straftaten konnten ihm nicht nachgewiesen werden. Sicherheitsbehörden halten A. aber für einen gefährlichen Islamisten. Er soll eine Größe in der salafistischen Szene im Ruhrgebiet sein.
Warum gibt es Ärger um die Abschiebung?
Weil sie gegen den Willen des Verwaltungsgerichtes Gelsenkirchen geschah. Die Richter vermuten, dass dem Islamisten in Tunesien Misshandlungen drohen. Ein richterliches Verbot erreichte die mit der Abschiebung befassten Behörden aber erst, als A. schon im Flieger nach Tunis saß.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), das Bundesinnenministerium, das NRW-Flüchtlingsministerium und die Bochumer Ausländerbehörde fühlen sich im Recht. Das Bamf hatte schon am 20. Juni die Abschiebung angeordnet. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen wies das Bamf mehrfach darauf hin, dass A. nicht ohne ein Urteil abgeschoben werden dürfe. Dennoch geschah genau dies.
Warum wurde ohne Urteil abgeschoben?
Das Verwaltungsgericht hatte kurz zuvor eine „Abschiebungsandrohung“ für rechtens erklärt. Darin wurde Sami A. mitgeteilt, dass er in Kürze Deutschland verlassen müsse. Offenbar interpretierten das Bamf und andere Ämter das Akzeptieren dieser Androhung durch die Richter als Einverständnis zur Rückführung. Das stimmte aber nicht, erklärt Wolfgang Thewes, Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Gelsenkirchen.
Das Gericht habe das Bundesamt mehrfach um eine „Stillhaltezusage“ gebeten. Das heißt, es sollte keine Abschiebung ohne ein Urteil geben. Das Bamf sollte dem Gericht auch einen Termin für die geplante Abschiebung nennen. Diese Bitten blieben aber offenbar ungehört.
Sind die Bedenken des Gerichts nachvollziehbar?
Menschenrechtsorganisationen berichten von Folter in tunesischen Gefängnissen. Die Justiz dort funktioniere nicht nach vergleichbaren rechtsstaatlichen Prinzipien wie in Deutschland. Der Bochumer Landtagsabgeordnete Serdar Yüksel (SPD) kritisiert das Gericht in Gelsenkirchen dennoch: „Es hat Dutzende Male Abschiebungen nach Tunesien genehmigt, ohne auf Folterrisiken hinzuweisen. Ich verstehe nicht, warum es bei Sami A. auf einmal Abschiebehindernisse sieht.“
Welche Fragen sind offen?
Es ist ungeklärt, wer genau die Abschiebung von Sami A. durchsetzte und organisierte. War das Bamf die treibende Kraft oder sogar der dieser Behörde übergeordnete Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) persönlich? Der Bayer hatte diesen Fall früher schon zur „Chefsache“ erklärt.
Welche Rolle spielte NRW-Flüchtlingsminister Joachim Stamp (FDP)? Hat sein Ministerium den Fall Sami A. mit einer konsequenten Abschiebung beenden wollen? Der Minister gibt sich wortkarg und verweist auf ein „laufendes Verfahren“. Interessant: Am Dienstag treffen sich Horst Seehofer und Joachim Stamp zu einem Spitzengespräch in Düsseldorf. Sie werden dann auch mit Nachfragen zu Sami A. konfrontiert werden.
Wie geht es weiter?
Das NRW-Flüchtlingsministerium und die Ausländerbehörde Bochum bereiten eine Beschwerde gegen den Beschluss des Gelsenkirchener Gerichts vor, Sami A. wieder nach Deutschland zurückzuholen. Über diese Beschwerde muss das Oberverwaltungsgericht NRW entscheiden.
Die Juristen könnten die Abschiebung nachträglich für rechtens erklären oder den Argumenten ihrer Kollegen in Gelsenkirchen folgen. Fraglich ist aber, ob die Behörden in Tunesien Sami A. dann zügig freilassen und seinen Rücktransport nach Deutschland ermöglichen. Die Behörden in Tunis zeigten zuletzt keinerlei Bereitschaft dazu.