Düsseldorf. . NRW legt erstmals Standards für die Regelbeschulung von behinderten und verhaltensauffälligen Kindern fest – mit Folgen auch für Förderschulen.
Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) hat eine Kehrtwende in der umstrittenen schulischen Inklusion angekündigt. Vom Schuljahr 2019/20 an sollen Kinder mit Handicap nur noch in Regelschulen unterrichtet werden, die klare Kriterien erfüllen. „In Zukunft wird wieder das Wohl der Kinder zur Richtschnur des Handelns“, sagte sie. Bei der Inklusion in NRW gehe künftig wieder Qualität vor Quoten. Eine Übersicht:
Welche neuen Qualitätsstandards gelten für die Inklusion?
Seit dem Schuljahr 2014/15 besteht in NRW ein Rechtsanspruch für Eltern behinderter oder verhaltensauffälliger Kinder, diese an einer Regelschule und nicht mehr ausschließlich an Förderschulen anzumelden. Ein Drittel der rund 3000 weiterführenden Schulen in NRW hat seither Inklusionsunterricht angeboten, obwohl häufig Lehrer, Sonderpädagogen, Ausstattung oder schlicht Erfahrung fehlten. Zum Schuljahr 2019/20 dürfen Bezirksregierung und Kommunen nur noch Schulen als „Orte des Gemeinsamen Lernens“ ausweisen, die ein entsprechendes pädagogisches Konzept, ausreichend ausgebildete Lehrkräfte und die räumlichen Voraussetzungen haben.
Findet Inklusion nur noch an Schwerpunktschulen statt?
Die aktuell rund 1000 weiterführenden Schulen in NRW, die Inklusion bereits anbieten, unterrichten oft nur jeweils ein oder zwei Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf pro Eingangsklasse. Die Zersplitterung ergab sich aus dem Elternwahlrecht auf Regelbeschulung ihrer Kinder, das in jeder Kommune irgendwie und irgendwo umgesetzt wurde. Künftig gilt für Inklusionsschulen die „Formel 25-3-1,5“. Das bedeutet: 25 Schüler pro Klasse, davon drei mit Behinderung, unterrichtet von einer halben Lehrerstelle zusätzlich. Ziel dieser festen Kriterien ist eine Bündelung der Inklusion an Schwerpunktschulen. Zurzeit werden landesweit lediglich in 109 weiterführenden Schulen mindestens drei Kinder mit Förderbedarf pro Eingangsklasse unterrichtet.
Müssen auch Gymnasien weiterhin Inklusion anbieten?
Inklusion an Gymnasien wird stark eingeschränkt. Sonderpädagogische Förderung soll dort in der Regel nur noch „zielgleich“ stattfinden. Das bedeutet: Nur Kinder mit Handicap, die für das Abitur in Frage kommen, sollen dort mitunterrichtet werden. Und das auch nur, wenn zwei Eingangsklassen mit jeweils zwei Förderschülern dieses Leistungsvermögens gebildet werden können. Eine „zieldifferente“ Beschulung am Gymnasium, also etwa die parallele Förderung von sozial-emotional gestörten Kindern mit völlig anderen Lernstoffen, wird es nur noch geben, wenn die Schulleitung das freiwillig anbieten will.
Was wird aus den Grundschulen?
Inklusion ist und bleibt vor allem ein Thema der Grundschulen in NRW: Von landesweit 2787 Grundschulen unterrichten 2026 auch Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Oft wird dieser erst im Laufe der Grundschulzeit festgestellt. Die Landesregierung will die Grundschulen für diese Arbeit besser ausrüsten und hat im Haushalt 2018 rund 600 zusätzliche Stellen für sozialpädagogische Fachkräfte geschaffen. Im kommenden Jahr sollen weiter 600 folgen.
Welche Rolle spielen die Förderschulen?
In den vergangenen Jahren hat eine massive Verschiebung der Schülerzahlen weg von den Förderschulen stattgefunden. Von den landesweit 140.000 Kindern mit Handicap werden inzwischen nur noch 80.000 an Förderschulen unterrichtet. Um Förderschulen am Leben zu halten und Wahlfreiheit für Kinder zu sichern, die dieses Spezialangebot brauchen, senkt die Landesregierung die gesetzlichen Mindestgrößen weiter. Neu: Künftig können Förderschulgruppen auch mit mindestens drei Klassen je 14 Schüler unter dem Dach einer Regelschule eingerichtet werden.
Was kostet das neue Inklusionskonzept?
In einer Modellrechnung wird das Land bis zum Schuljahr 2024/25 für die Inklusion an weiterführenden Schulen etwa 9133 zusätzliche Stellen für Lehrer und zusätzliche Kräfte benötigen. Das bedeutet im Endausbau eine Haushaltsbelastung von 127 Millionen Euro.
Was sagen die Kritiker?
Die Inklusionsbefürworter des Elternvereins „mittendrin e.V.“ beklagen eine Bevorzugung der Förderschulen, fehlende Konzepte gegen den Mangel an Sonderpädagogen und eine Aushöhlung des Elternwahlrechts. Die SPD-Opposition kritisiert eine Zementierung des Förderschul-Systems und eine Entlassung der Gymnasium aus dem Menschenrecht der Inklusion.