Ruhrgebiet. . Die „Extraschicht“ zelebrierte den Abschied vom Bergbau mit einer strahlenden Nacht. 300 000 Besucher, das bedeutet einen neuen Rekord.

Ihren Kopf ziert ein riesiger Zylinder, über dem roten Kleid trägt sie ein Korsett aus Leder. Mit rußverschmiertem Gesicht schaut die Reisende auf eine antike Taschenuhr: kurz vor 19 Uhr. Höchste Zeit zur Wittener Zeche Nachtigall zu kommen. Dort treffen sich am Samstagabend zur „Nacht der Industriekultur“ rund 2800 „Steampunker“ in ihren vom Dampfmaschinen- Zeitalter inspirierten Kostümen. Und welchen treffenderen Treffort könnte es geben als die Wiege des Bergbaus? Im Maschinenhaus stampft die historische Dampffördermaschine.

Das Revier ist in Bewegung an diesem strahlenden Abend, in dieser Nacht, die einfach weiter leuchtet. 200 000 Besucher hatten die Veranstalter erwartet, aber es sind sogar 300 000 unterwegs zwischen den 50 Spielorten der „Extraschicht“: von der Lasershow im Gelsenkirchener Nordsternpark zum Feuerwerk im Duisburger Innenhafen, vom Bergmannstag auf Zollverein mit seinen Knappen, Spielmannszügen und Chören bis zum „Zukunftsstandort Ewald“ in Herten, wo DJ Moguai mit dem Landesjugendchor NRW das Steigerlied neu interpretiert.

In diesem Jahr schließt die letzte aktive Zeche, und dies ist der Abend, an dem das Ruhrgebiet sich feierlich und staunend vom Bergbau verabschiedet.

Vorbei an Schlackefeldern und glühendem Stahl

Aber in den Werken der produzierenden Industrie ist diese Extraschicht auch ein Fest der Gegenwart. Die Dorstener Stiftsquelle ist erstmals dabei und bietet Einblick in ihre Mineralwasser-Produktion. Lange Schlangen auch vor dem ThyssenKrupp-Werk in Duisburg-Bruckhausen, Rundfahrt durch eine fremde Welt, fünf Mal so groß wie Monaco. Betty van Loon ist mit ihrer Familie aus Essen gekommen. Sie haben schon eine gewonnene Grubenfahrt hinter sich – dies war zum ersten und letzten Mal möglich bei dieser Extraschicht. „Deshalb haben wir uns gedacht, dass wir zur Kohle noch Stahl dazu nehmen. Das sind die Schätze des Ruhrgebiets.“ Vorbei an Schlackefeldern und glühenden Brammen – dann zockelt der Besucherbus hinter „Stahltrans 36“ her, der solche Stahlblöcke geladen hat. „Mit so einem Biest legt man sich besser nicht an“, brummelt der Fahrer.

Steven Sloane, Chef der Bochumer Symphoniker, griff selbst zur Gitarre zum Abschluss des „Day of Song“.
Steven Sloane, Chef der Bochumer Symphoniker, griff selbst zur Gitarre zum Abschluss des „Day of Song“. © Ingo Otto

Ein Glanzlicht der Nacht setzt die Jahrhunderthalle. Alles drängt zum Abschlusskonzert des „Day of Song“, der nach einer Auszeit wieder da ist als separate Veranstaltung mit seinerseits 11 Spielorten. Die Bochumer Symphoniker unter der Leitung des fast euphorisch wirkenden Steven Sloane rollen den orchestralen Teppich aus für Künstler der Extraklasse. Von Verdis Gefangenenchor bis zu John Lennons „Imagine“, von der Westside-Story bis zum israelischen Kanon. Höhepunkt und Finale ist wieder das Steigerlied – Strophe 1 und 7 geschmettert vom Publikum.