Berlin. . Plantagen ohne Bienen, Wiesen ohne Falter? Die Bundesregierung stuft den Rückgang der Insekten in Deutschland als dramatisch ein und sieht einen „akuten Handlungsbedarf“, um Folgen für Ökosysteme und Menschen abzuwenden. Das geht aus einem unveröffentlichten Bericht des Bundesumweltministeriums hervor, der dieser Redaktion vorliegt.

Plantagen ohne Bienen, Wiesen ohne Falter? Die Bundesregierung stuft den Rückgang der Insekten in Deutschland als dramatisch ein und sieht einen „akuten Handlungsbedarf“, um Folgen für Ökosysteme und Menschen abzuwenden. Das geht aus einem unveröffentlichten Bericht des Bundesumweltministeriums hervor, der dieser Redaktion vorliegt.

Von den bislang in den Roten Listen bewerteten 8000 Insektenarten in Deutschland gelten demnach 42 Prozent als bestandsgefährdet, ex­trem selten, bereits ausgestorben oder verschollen. Hauptursache sei der Verlust von Lebensräumen. Aber auch Pflanzengifte sowie Schadstoffe in Böden und Wasser hätten viele Arten an den Rand des Aussterbens gebracht. „Dieser Artenschwund findet nicht in fernen Ländern statt, sondern direkt vor unserer Haustür“, sagte Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) dieser Zeitung.

Vom Rückgang betroffen sind sowohl tagaktive als auch nachtaktive Arten – Käfer, Fluginsekten und auch solche Arten, die im Wasser lebten, schreiben die Experten des Bundesamtes für Naturschutz. Ihr Bericht, der am morgigen Mittwoch auf der Umweltministerkonferenz der Länder in Bremen vorgelegt werden soll, fasst die neuesten Forschungserkenntnisse zusammen. Ausdrücklich erwähnt wird darin die Studie des Entomologischen Vereins Krefeld aus dem vergangenen Jahr. Über einen Zeitraum von 27 Jahren wurden in 63 Schutzgebieten flugfähige Insekten in Fallen gefangen. Dabei wurde ein Rückgang der Biomasse um 76 Prozent festgestellt.

„Kein lokales Phänomen“

Im Mittelpunkt der Warnungen stehen dabei die Bestäuberinsekten. Von den bislang untersuchten 557 Wildbienenarten – Hummeln eingeschlossen – seien aktuell über 40 Prozent in ihrem Bestand gefährdet. Sieben Prozent seien in Deutschland bereits ausgestorben oder so selten, dass sie als verschollen gelten. Beim Rückgang der Insekten handle es sich nicht um ein lokales Phänomen, sondern um eine bundesweite und klar belegbare Entwicklung.

Die Ursachen des Insektenrückgangs seien vielfältig, aber bereits wissenschaftlich hinreichend belegt.

Die Trockenlegung von Feuchtgebieten, die Zunahme des Maisanbaus als Energiepflanze sowie die Umwandlung von Grünland in Ackerland raube den Insekten die Lebensräume. Gleiches gelte für das Abholzen von Alleen oder Straßenbäumen – eine Maßnahme, die eigentlich der Verkehrssicherheit dienen soll. Auch neuartige Bedrohungen zählen die Naturschutzexperten auf: die Lichtverschmutzung. Nachtaktive Insekten würden von künstlichen Lichtquellen angezogen, die wie Fallen wirkten.

Warnung vor Insektizid

Zur Gefahr für viele Arten würden zunehmend auch die laut Experten großen Mengen von Insektiziden in der Landwirtschaft. Neonikotinoide seien die seit den 90er-Jahren am weitesten verbreiteten Insektizide, sie wirkten jedoch auf das Nervensystem aller Insektenarten, so der Bericht.

Explizit warnen Experten vor der Zulassung des neuen Insektizidwirkstoffes Cyantraniliprole, bei dem bereits der einfache Kontakt die Muskulatur von Insekten lähme und so bei Gliedertieren zum Tode führe. Cyantraniliprole-haltige Pflanzenschutzmittel seien bisher in Deutschland nicht zugelassen, heißt es in dem Bericht. Allerdings dürfe nach EU-Recht mit Cyantraniliprole gebeiztes Saatgut aus Polen importiert werden.

„Wir brauchen eine andere Pflanzenschutzpolitik, besseres Monitoring der Insektenbestände und mehr landwirtschaftliche Flächen, auf denen Insekten leben können“, sagte Umweltministerin Schulze. Noch im Sommer sollen mit den Bundesländern die Details eines Insektenmonitorings abgestimmt werden. In ganz Deutschland sollen dann Insekten gefangen und in der Menge erfasst werden.

„Es ist gut und richtig, dass die Bundesregierung den dramatischen Insektenschwund endlich angehen will“, sagte Olaf Tschimpke, Präsident des größten deutschen Naturschutzverbandes Nabu. „Alle insektenschädlichen Neonikotinoide und ähnliche Stoffe müssen schnellstmöglich und komplett vom Markt verschwinden.“