Essen. Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) erklärt im Interview, welche Schwerpunkte sie in der Bildungs- und Digitalpolitik setzen will.
Die Berufung der bislang weithin unbekannten CDU-Politikerin Anja Karliczek als Bildungs- und Forschungsministerin des schwarz-roten Kabinetts war eine Überraschung. Auf ihrer Rundreise durch die Bundesländer zu Gesprächen mit ihren Amtskollegen machte sie in der Essener WAZ-Zentralredaktion Station und erklärte, welche Schwerpunkte sie in der Bildungspolitik setzen will und was sie unter einer neuen Datenpolitik versteht.
Das Thema Digitalisierung treibt sie in den ersten Amtswochen um. Was ist Ihnen dabei wichtig?
Karlizcek: Wir müssen Theorie und Praxis enger miteinander verzahnen. Wir können nicht jahrelang lernen, um erst dann die Erkenntnisse in die Praxis umzusetzen. Wir müssen wissen, was sich auf dem Arbeitsmarkt in dieser Zeit verändert. Daher sind duale Studiengänge, die Theorie und Praxis verknüpfen, sehr attraktiv und werden derzeit ausgeweitet. Wir müssen das Innovationstempo hochhalten, um im internationalen Wettbewerb vorne zu bleiben und zugleich den Transfer von der Wissenschaft in die Wirtschaft beschleunigen.
Die Digitalisierung ist bei vielen Menschen mit Ängsten verbunden, wie reagieren Sie darauf?
Die Menschen sehen den Nutzen und die Chancen der Digitalisierung in ihrem Alltag, aber sie sehen auch die Gefahren für den Datenschutz und die Werte, denen wir verpflichtet sind. Die Gesellschaft bei diesem Prozess mitzunehmen, ist eine große Aufgabe der Politik. Sie muss einer Verunsicherung durch spürbaren Gestaltungsanspruch begegnen und deutlich machen, welchen Weg wir einschlagen wollen.
Wie wollen Sie Datenmissbrauch verhindern, ohne den Fortschritt zu bremsen?
Wir müssen ethische Standards setzen. Mit der Datenschutzgrundverordnung haben wir einen ersten Schritt gemacht, Internetgiganten Grenzen zu setzen. Dem müssen weitere folgen. Wir wollen jeden Menschen mitnehmen! Deshalb muss dieses komplexe Thema Stammtisch-tauglich werden.
Als neue Schlüsseltechnologie gilt die Künstliche Intelligenz (KI). Werden bald Maschinen die Entscheidungen für uns treffen?
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Nein, das glaube ich nicht. Es sollte klar sein, dass Maschinen den Menschen nicht dominieren dürfen. Ich sehe hier auch die Wissenschaft in der Pflicht, ethische Rahmenbedingungen für die Nutzung von KI in einem für die Gesellschaft transparenten Prozess zu diskutieren, Leitlinien zu formulieren und diese dann auch ihrer weiteren Arbeit zugrunde zu legen. Derzeit arbeiten wir an einem Aktionsplan für KI und denken über Clusterstrukturen und mehr Professuren nach. Ich werde die Forschungsbasis auf diesem Gebiet weiter ausbauen. Die Einrichtung von vier Kompetenzzentren zum Maschinellen Lernen in Berlin, Dortmund/St.Augustin, München und Tübingen mit 30 Millionen Euro ist schon beschlossen. Denn wir haben hier nicht nur ethische Probleme zu lösen. Wir brauchen Spitzenforschung und einen zügigen Transfer von Forschungsergebnissen in die Wirtschaft.
Das Bafög hält mit den Ausgaben der Studierenden, etwa für Mieten, nicht mit. Werden Sie eine Bafög-Reform auf den Weg bringen?
Wir sind dabei, das Konzept für eine Bafög-Reform zu entwickeln. Wir haben eine Milliarde Euro mehr zur Verfügung. Bis Jahresende sollen die Eckpunkte der Reform feststehen.
Kürzlich hat das Bundesverfassungsgericht die Medizin-Studienplatzvergabe nach Numerus Clausus gerügt. Wie wollen sie den Studienzugang gerechter gestalten?
Der NC wird weiterhin ein Aspekt beim Studienzugang bleiben, aber nicht mehr der zentrale. Ein Eignungstest könnte in Zukunft mehr Gewicht bekommen. Die Länder diskutieren derzeit darüber in der Kultusministerkonferenz (KMK). Wir begleiten den Prozess.
Das Bundeskabinett will das sogenannte Kooperationsverbot zwischen dem Bund und den Ländern im Schulbereich lockern. Was haben unsere Schulen davon?
Ich arbeite dafür, dass Bund und Länder mit einem gemeinsamen Kraftakt die schulischen Rahmenbedingungen in Deutschland verbessern. In diesem Sinne wollen wir zum Beispiel mit dem Digital-Pakt Schule digitale Bildung in allen Klassenzimmern möglich machen. Die hierfür notwendige Grundgesetzänderung hat die Bundesregierung schon Anfang Mai auf den Weg gebracht und kann nun zeitnah vom Deutschen Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden. Die Verhandlungen über eine Bund-Länder-Vereinbarung sind weit gediehen und können nach der Änderung des Grundgesetzes zügig abgeschlossen werden. Dann kann das Geld im kommenden Jahr an die Schulen gehen. Die Bundesregierung wird insgesamt fünf Milliarden Euro für die digitale Ausstattung der Schulen bereitstellen. Noch in dieser Legislaturperiode – also bis 2021 – sollen davon 3,5 Milliarden Euro fließen.
Für die notwendige Verfassungsänderung brauchen Sie im Bundestag eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Zieht die Opposition mit?
Klar ist, dass wir ohne die FDP und Grünen die Grundgesetzänderung nicht beschließen können. Ich bin jedoch zuversichtlich: Denn schließlich haben beide Parteien im Wahlkampf die Digitalisierung an Schulen versprochen und damit um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger geworben. Es ist Zeit, dass wir mit dem Digital-Pakt Schule endlich loslegen!