Berlin. . Svenja Schulze ist noch keine 100 Tage im Amt – und findet sich mitten in der Schlacht um den Diesel wieder. Die Umweltministerin hat ausgerechnet, wie viel die Autobauer für Nachrüstung ausgeben müssten.

Svenja Schulze ist noch keine 100 Tage im Amt – und findet sich mitten in der Schlacht um den Diesel wieder. Die Umweltministerin hat ausgerechnet, wie viel die Autobauer für Nachrüstung ausgeben müssten.

Frau Ministerin, nehmen die Deutschen den Umweltschutz ernst genug?

Svenja Schulze : Umweltschutz hat in Deutschland einen hohen Stellenwert. Mein Eindruck ist, dass immer mehr Leute sich auch fragen, was sie selbst für die Umwelt und damit für ein gutes Leben tun können. Um nur ein Beispiel zu nennen: Ich finde es super, dass Kundinnen oder Kunden heute viel häufiger Nein sagen, wenn ihnen eine Plastiktüte zum Kauf angeboten wird.

Was sind die wichtigsten Regeln für ein umweltgerechtes Leben?

Ich mag als Umweltpolitikerin nicht den Zeigefinger heben. Eigentlich wissen doch alle, wie man sich umweltgerecht verhält. Aber mal ehrlich, in Wirklichkeit sind doch die meisten nur Teilzeit-Naturschützer: Es ist besser, mit der Bahn zu fahren als mit dem Auto – trotzdem geht Bahnfahren nicht jeden Tag, und es geht nicht auf jeder Strecke. Es ist besser, in heimischen Gefilden Urlaub zu machen – aber wer will nicht auch mal in die Ferne fliegen? Für ganz wichtig halte ich: Wir sollten Müll möglichst vermeiden und jedenfalls trennen, damit Rohstoffe wiederverwendet werden können.

Müssen Besitzer von alten Dieselfahrzeugen ein schlechtes Gewissen haben?

Es geht hier doch nicht um alte Autos, die Euro-5-Fahrzeuge sind erst wenige Jahre auf dem Markt! Aber zu Ihrer Frage: Die Verbraucher müssen kein schlechtes Gewissen haben, sie haben ihre Dieselfahrzeuge ja auch deshalb gekauft, weil die weniger Sprit verbrauchen als Benziner – und damit auch weniger Kohlendioxid ausstoßen. Außerdem hat die Autoindustrie ihnen die Diesel als sauber angepriesen. Ich finde es wirklich unfair, dass die Leute jetzt auch noch mit dem Wertverlust ihrer Fahrzeuge alleinegelassen werden sollen. Auch deshalb setzte ich mich ja so für technische Nachrüstungen ein.

In der ersten deutschen Stadt, in Hamburg, sind jetzt Diesel-Fahrverbote verhängt worden. Eine gute Nachricht für die Umwelt?

Die Hamburger Behörden mussten so handeln. Aber ich möchte genau diese Zwangssituationen für Kommunen vermeiden. Ich möchte keine Fahrverbote, sondern sauberere Autos, und das erreichen wir vor allem mit Hardware-Nachrüstungen auf Kosten der Autoindustrie. Wenn ich mir Fahrverbote erst im Ruhrgebiet vorstelle – du liebe Güte! Ich will sicherstellen, dass die Leute mobil sind und ihren Arbeitsplatz erreichen können.

Fruchten Ihre Appelle an die Autoindus­trie?

Das hoffe ich. Die Hersteller müssen jetzt endlich mal das schon Versprochene umsetzen, nämlich schnell die Software von Dieselfahrzeugen auf den neuesten Stand bringen. Die EU-Kommission hat beschlossen, Deutschland zu verklagen, weil die bisherigen Maßnahmen leider nicht reichen. Wir tun schon einiges mit dem Sofortprogramm Saubere Luft, zum Beispiel fördern wir Elek­trobusse. Aber wir müssen mehr tun.

Was genau verlangen Sie?

Ich rufe die Hersteller dazu auf, zunächst ein Nachrüstungsangebot zu machen für die Städte, in denen es die größten Pro­bleme gibt. Wir sollten anfangen in den Städten mit den höchsten Stickstoffwerten und dem jeweiligen Pendler-Umland. 17 Städte liegen über dem Jahresmittelwert von 50 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft. Ganz oben auf der Liste stehen München, Stuttgart und Köln, aber auch Hamburg und die Ruhrgebietsstädte Bochum, Dortmund und Essen sind darunter. Mit einer Hardware-Nachrüstung würde man eine massive Verbesserung der Luftqualität in diesen Städten erreichen: Der Stickstoffausstoß von Dieselfahrzeugen würde sich um 70 Prozent verringern.

Nachrüstung ist teuer. Fühlen Sie sich auch für das Wohlergehen der deutschen Autobauer verantwortlich?

Die Kosten halten sich in Grenzen, finde ich, wenn man sie ins Verhältnis zu den Gewinnen der Automobilindustrie setzt. Selbst wenn man einen Maximalwert von 3000 Euro pro Fahrzeug zugrunde legt, kostet die Hardware-Nachrüstung in den 17 am stärksten belasteten Städten nach unseren Berechnungen 2,9 Milliarden Euro. Nimmt man jeweils das Pendler-Umland hinzu, kommt man auf 4,4 Milliarden Euro. Der Gewinn der deutschen Automobilindustrie lag allein im vergangenen Jahr deutlich höher. Da können die Hersteller auch 4,4 Milliarden in saubere Luft investieren. Das würde auch dem ramponierten Image der Dieselautos helfen.

Der Grenzwert liegt bei 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid, nicht bei 50.

Ja, wir haben insgesamt 65 Städte, die über dem Grenzwert liegen. Ich plädiere deshalb für einen Stufenplan. In einem zweiten Schritt sollte dort die Hardware von Dieselfahrzeugen nachgerüstet werden. Das würde beispielsweise das gesamte Ruhrgebiet und auch den Großraum Berlin betreffen. Auch das ist für die Autobauer zumutbar.