Essen. . Sozialer Arbeitsmarkt, Begrenzung der Abgabenlast, kommunale Schulden: Die SPD-Bundestagsabgeordneten sehen die Region in Berlin gut aufgestellt.
Gegen eine GroKo im Bund gab und gibt es bei der Revier-SPD viele Vorbehalte. Nur wenige Tage vor dem Start der Verhandlungen zwischen Union und SPD Anfang Januar äußerten sich die SPD-Bundestagsabgeordneten aus dem Ruhrgebiet noch überwiegend skeptisch über die Erfolgsaussichten einer gemeinsamen Regierung mit der Union in Berlin. Die Botschaft damals war deutlich: Eine Regierungsbeteiligung der SPD dürfe es ohne Berücksichtigung der Nöte des Reviers nicht geben.
Heute regiert die SPD in Berlin mit der Union und stellt sechs Bundesminister. Doch was ist aus den Forderungen der Ruhr-SPD geworden? Konnte sich die als einflussreich geltende Revier-Gruppe innerhalb der Fraktion und gegenüber der Union durchsetzen? „Wir haben viel erreicht“, sagen die Parlamentarier beim erneuten Besuch unserer Redaktion. Ein Überblick.
Arbeit und Soziales
Die Sicherung des Rentenniveaus von 48 Prozent bis 2025, der Wegfall des Solidaritätszuschlages für Mittel- und Geringverdiener, die Abschaffung des Arbeitnehmer-Zusatzbeitrages zur Krankenversicherung, das Recht auf befristete Teilzeit, das Pflege-Sofortprogramm: Von all diesen Vorhaben der GroKo profitiert auch das Ruhrgebiet, sagen die Revier-Abgeordneten. Doch auf die speziellen Bedürfnisse des Reviers sind diese Maßnahmen nicht zugeschnitten.
Anders sieht das beim Thema Langzeitarbeitslosigkeit aus. 150 000 Menschen ohne Beschäftigungsperspektive will die Große Koalition dauerhaft in Lohn und Brot bringen – und dafür vier Milliarden Euro bereitstellen. Die sollen fließen als Lohnkostenzuschuss für niederschwellige Jobs in Unternehmen, Kommunen oder Wohlfahrtsverbänden. Das Stichwort heißt sozialer Arbeitsmarkt, schriftlich fixiert im Koalitionsvertrag. Die Revier-SPD erhebt hier Anspruch auf das Urheberrecht.
Jetzt gehe es darum, das Programm zügig umzusetzen, sagen die Abgeordneten. „Der soziale Arbeitsmarkt muss so ausgestaltet werden, dass er die verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit im Ruhrgebiet endlich knackt. Wir brauchen ein System, dass von den Praktikern vor Ort gestaltet werden kann“, sagt der Essener Abgeordnete Dirk Heidenblut. Der Sprecher der Ruhr-Abgeordneten, Michael Groß, rechnet mit mindestens 30 000 Nutznießern im Ruhrgebiet. Das heißt: Ein Fünftel der Bundesmittel soll an die Ruhr gelenkt werden. Doch wohin genau? „Die Mittel müssen nach regionalen Erfordernissen verteilt werden, nicht mit der Gießkanne. Das kann bis auf Stadtbezirksebene gehen“, sagt Arno Klare (Mülheim/Essen).
Markus Töns (Gelsenkirchen) möchte das Modellprojekt zum Regelinstrumentarium der Arbeitsförderung ausbauen. Verwirklicht werden könnte der soziale Arbeitsmarkt, den es auf kommunaler Ebene etwa in Dortmund bereits gibt, schon bald. Bis zum Sommer will Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) einen Gesetzesentwurf vorlegen. Starten könne das Programm Anfang 2019.
Handlungsfähige Städte
Hilfe für die finanziell klammen Revierkommunen bleibt für die Ruhr-Abgeordneten ein zentrales Anliegen. Im Koalitionsvertrag sei festgeschrieben, dass den Kommunen keine weiteren Abgabenlasten aufgebürdet werden. Das schütze auch die finanzschwachen Revierstädte davor, durch steigende Kosten in eine Verschuldungsspirale zu fallen, heißt es in einem Eckpunkte-Papier der Abgeordneten
Die Altschuldenproblematik der Revierstädte ist damit aber nicht gelöst. Finanzexperten attestieren den Revierkommunen, dass sie aus eigener Kraft kaum mehr aus der Schuldenfalle kommen können. Das Thema steht aber in Berlin keineswegs ganz oben auf der Agenda. Eine Kommission mit dem weitgefassten Arbeitstitel „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ soll zwar bis zum Ende der Legislaturperiode Vorschläge vorlegen. Eine schnelle Lösung, wie sie etwa das in Mülheim gegründete Aktionsbündnis „Für die Würde unserer Städte“ fordert, sieht aber anders aus. „Ein Altschuldenfonds ist kein leichtes Thema“, sagt denn auch Michael Groß. „Wir sind schon froh, dass wir es im Koalitionsvertrag positionieren konnten.“
Sogar in der eigenen Fraktion hatten die Revier-Abgeordneten damit einen schweren Stand. „Viele Städte in anderen Regionen sind von der Problematik gar nicht betroffen“, sagt Axel Schäfer (Bochum). Der Druck sei aber inzwischen angekommen. Aus Sicht von Bärbel Bas (Duisburg) liegt die Lösung in einer Bad Bank, die die Altschulden übernimmt. „Allerdings ist das Thema bei den Ländern hoch umstritten“, schränkt Bas ein. Eine solche Bad Bank könne also nur auf Bundesebene installiert werden.
Ruhrkonferenz
Die von CDU-Ministerpräsident Armin Laschet geplante „Ruhrkonferenz“, die für das Revier nach dem Ende des Bergbaus neue Perspektiven erarbeiten soll, ist den SPD-Abgeordneten bislang zu wenig konkret. „Die Probleme des Ruhrgebiets sind seit 20 Jahren bekannt“, sagt Michael Groß. Es gebe kein Analyse-, sondern ein Umsetzungsproblem. Als Beispiel nennt Groß den Regionalplan Ruhrgebiet, der endlich verabschiedet werden müsse. „Der Regionalplan ist eine bedeutsame Klammer für das Revier“. In ihm werde festgelegt, welche Flächen wie genutzt werden sollen, etwa für Gewerbe, Wohnen, Verkehr oder Grün. Die Verabschiedung aber verhindere derzeit die CDU-Fraktion im Regionalverband Ruhr (RVR).
Das Gespräch führten Michael Kohlstadt, Christopher Onkelbach, Andreas Tyrock und Stephanie Weltmann.