Düsseldorf. . Wegen wachsender Zahl antisemtischer Übergriffe fordert der Vorsitzende jüdischer Gemeinden in NRW härteres Durchgreifen von Politik und Polizei.

Polizei vor der Tür, Sicherheitsschleusen, Überwachungskameras, Ausweis- und Taschenkontrolle – wer Dr. Oded Horowitz in der jüdischen Gemeinde Düsseldorf besuchen will, muss einige Sicherheits-Checks überwinden. Ein Zeichen dafür, dass jüdische Einrichtungen in Deutschland immer noch eines besonderen Schutzes bedürfen. Christopher Onkelbach sprach mit dem Vorstandsvorsitzenden des Landesverbands jüdischer Gemeinden von Nordrhein über die wachsende Judenfeindlichkeit.

Mobbing in der Schule, Attacken auf Kippa-Träger, Skandal bei der Echo-Verleihung – was haben Staat und Öffentlichkeit beim Kampf gegen Judenhass versäumt?

Horowitz: Es ist schwer zu sagen, ob etwas versäumt wurde oder sich über lange Zeit entwickelt hat. Aber es ist offensichtlich, dass die Atmosphäre judenfeindlicher geworden ist, das höre ich auch von den Gemeindemitgliedern. Es fehlt ein Aufschrei der Anständigen.

Wieso bleibt dieser Aufschrei aus?

Ich frage mich: Hat die deutsche Gesellschaft so viele Probleme, dass sie die Dinge, die Juden betreffen, nicht mehr als wichtig betrachtet? Oder kommen nun Tendenzen ans Licht, die lange unterdrückt waren? Es ist die Aufgabe der ganzen Gesellschaft, Missstände zu benennen und zu bekämpfen.

Wächst durch die Zuwanderung der muslimische Antisemitismus?

Früher erlebten wir den Antisemitismus vor allem vom politisch rechten Spektrum, nun kommt der muslimische Antisemitismus hinzu. Mein Eindruck ist, dass die deutsche Gesellschaft mit diesem Judenhass wesentlich hilfloser umgeht als mit der Feindschaft von rechten Gruppen. Das ist eine neue Qualität, die hinzugekommen ist.

Welche Erfahrungen machen jüdische Schüler im Alltag?

Erst gestern hörte ich von einer Schülerin, die von einem Mitschüler verbal attackiert wurde, weil sie Jüdin ist. Er beschimpfte sie immer wieder. Viele Kinder verbergen wieder, dass sie jüdisch sind. Ich muss sagen, es macht mich schon sehr betroffen, dass sich im Jahr 2018 Kinder jüdischen Glaubens verstecken müssen. Ich denke dann sofort an die Zeit vor dem Holocaust. Das ist ein Skandal und eine Schande für die Gesellschaft. Aber es ist so.

Wie sollten Schulen und Lehrer mit solchen Angriffen umgehen?

Ähnliche Geschichten höre ich immer wieder von den Kindern. Die Schulen wissen oft nicht, wie sie reagieren sollen. Lehrer fühlen sich überfordert und die Kinder bleiben mit ihrem Problem allein. Schulungen und klare Richtlinien sind nötig, damit Lehrer in Konfliktsituationen eingreifen und Übergriffe konsequent ahnden können. Man muss jüdische Kinder schützen und deutlich machen, dass diese Gesellschaft Diskriminierung und Judenfeindlichkeit nicht toleriert.

Sollten antisemitische Übergriffe von Zugewanderten Auswirkungen auf ihr Bleiberecht haben?

Wir Juden wissen aus unserer Geschichte, dass man Flüchtlingen und Menschen in Not helfen muss. Doch man muss ihnen auch klar machen, dass sie hier in einer Demokratie leben, wo Minderheiten geschützt werden. Sie sind selbstverständlich willkommen, so lange sie sich an Spielregeln halten. Wenn sie es nicht tun, müssen Konsequenzen folgen, die auch eine Abschiebung bedeuten können.

Fordern sie von der Politik mehr Druck auf antisemitische Zuwanderer?

Es ist nicht im Interesse unserer Gesellschaft, Menschen zu helfen, die unser Gemeinwesen missachten und letztlich auch zersetzen. Ich erwarte von der Politik, dass sie klare Regeln aufstellt und deutlich Konsequenzen folgen lässt für jene, die sich nicht daran halten. Wenn sich jemand offensichtlich resistent zeigt gegen Ermahnungen und Belehrungen, dann muss ein Staat bereit sein zu sagen: Dieser Mensch kann hier nicht bleiben.

Haben auch Zugewanderte eine Verantwortung für die deutsche Vergangenheit?

Wenn sie in eine Gesellschaft aufgenommen werden, dann teilen sie deren Geschichte und sind dafür mitverantwortlich. Sich gegenüber der aufnehmenden Gesellschaft dankbar und loyal zu zeigen, ist nicht zuviel verlangt. Zugewanderte sollten die Geschichte der Judenverfolgung in Deutschland kennen lernen und auch Konzentrationslager besuchen. Das kann prägen und macht die Geschichte anschaulich.

Es gibt Kritik an der Politik Israels, ist das bereits judenfeindlich?

Nein, man kann Israels Politik kritisch betrachten, darf damit aber keinen Judenhass transportieren. Sobald man Kritik mit antisemitischen Aspekten koppelt und jüdischen Kindern an den Kopf wirft, alle Israelis seien Mörder, ist das judenfeindlich. In Deutschland gibt es ein breites Bewusstsein für die Verpflichtung gegenüber Juden. Doch viele Menschen wollen 70 Jahre nach dem Holocaust nichts mehr davon hören und einen Schlussstrich ziehen.

Wächst der Ausreisewille von Juden wie zuletzt in Frankreich?

Viele französische Juden haben das Land verlassen, eine Holocaust-Überlebende wurde im März ermordet. Aber diese Tendenz sehe ich in Deutschland nicht. Die Juden leben gerne hier und wollen bleiben. Doch natürlich macht man sich bei jedem Anschlag und bei jedem Übergriff Gedanken.

Jüdischer Landesverband mit rund 17.000 Mitgliedern

Der Augenarzt Dr. Oded Horowitz ist Vorstandsvorsitzender des Landesverbands Jüdischer Gemeinden Nordrhein und Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf. Der Verband ist mit acht jüdischen Gemeinden und 17.000 Mitgliedern der größte Landesverband innerhalb des Zentralrats der Juden.

Zum Landesverband Nordrhein gehören die Gemeinden Bonn, Duisburg-Mülheim-Oberhausen, Krefeld, Aachen, Düsseldorf, Essen, Mönchengladbach und Wuppertal.