Berlin. René Müller hat einen sonderbaren Job. „Wir arbeiten im Verborgenen“, sagt er. Er redet vom Strafvollzug. Es ist eine eigene Welt. Es fehlt an Personal und an Haftplätzen. Viele Anstalten sind baufällig. Drogenkonsum und illegaler Handel florieren. Gefangene greifen Beamte an – und werden umgekehrt von Stationsleitern gemobbt. Es wird die Gefängnisse womöglich unvorbereitet treffen, wenn Bund und Länder ihr Versprechen einhalten sollten, 15 000 Stellen bei den Sicherheitsbehörden und 2000 bei der Justiz zu schaffen; in der Folge würden mehr Verbrechen aufgedeckt und verhandelt, mehr Strafen verhängt und vollstreckt. „Der Justizvollzug“, warnt René Müller, der dem Bund der Strafvollzugsbediensteten vorsteht, „ist zurzeit komplett überlastet.“ Diese Redaktion hat mit Politikern, mit Funktionären und mit Gefangenen gesprochen und die Justizministerien aller 16 Bundesländer befragt. Das Ergebnis ist beunruhigend.

René Müller hat einen sonderbaren Job. „Wir arbeiten im Verborgenen“, sagt er. Er redet vom Strafvollzug. Es ist eine eigene Welt. Es fehlt an Personal und an Haftplätzen. Viele Anstalten sind baufällig. Drogenkonsum und illegaler Handel florieren. Gefangene greifen Beamte an – und werden umgekehrt von Stationsleitern gemobbt. Es wird die Gefängnisse womöglich unvorbereitet treffen, wenn Bund und Länder ihr Versprechen einhalten sollten, 15 000 Stellen bei den Sicherheitsbehörden und 2000 bei der Justiz zu schaffen; in der Folge würden mehr Verbrechen aufgedeckt und verhandelt, mehr Strafen verhängt und vollstreckt. „Der Justizvollzug“, warnt René Müller, der dem Bund der Strafvollzugsbediensteten vorsteht, „ist zurzeit komplett überlastet.“ Diese Redaktion hat mit Politikern, mit Funktionären und mit Gefangenen gesprochen und die Justizministerien aller 16 Bundesländer befragt. Das Ergebnis ist beunruhigend.

Übervolle Haftanstalten

Ende 2017 saßen bundesweit mehr als 64 000 Menschen in Haft, zehn Prozent mehr als 2012 (58 073). Allein Nordrhein-Westfalen (15 698) und Bayern (11 612) beherbergen 42 Prozent aller Gefangenen. Berlin stellt mit 3943 Häftlingen rund 850 mehr als Rheinland-Pfalz. Schon bei einer Auslastung zwischen 85 und 90 Prozent sprechen Fachleute von einer Vollbelegung, da es immer vorkommen kann, dass Teile einer Anstalt gesperrt oder renoviert werden. In Berlin liegt die Belegungsquote bei 91,5, in Hamburg und Bayern bei 95 Prozent. Rheinland-Pfalz stößt an Grenzen: Im geschlossenen Vollzug für Männer sind die Kapazitäten erschöpft. In der letzten Januarwoche 2018 sprang die Auslastung von 99,9 auf 100,6 Prozent. Hamburg hat einige Gefangene in Mecklenburg-Vorpommern untergebracht, das Saarland und Rheinland-Pfalz arbeiten zusammen. So kann es vorkommen, dass ein Häftling in einem Land sitzt, aber einem anderen zugezählt wird.

Gefangene länger in Haft

In NRW kommen auf einen Wärter 1,9 Gefangene. Bloß: „Diese Zahlen spiegeln nicht den allgemeinen Vollzugsdienst wider“, mahnt Müller. Ein Gefängnis sei wie eine Kleinstadt, sagt er. Es gebe eine Sicherungsgruppe, Revisions- und Besuchsabteilung, Bedienstete in Betrieben, Kammern und Küchen, an Pforten und Schleusen. Die Folge sei, dass ein Aufseher gelegentlich „bis zu 70, 80 Gefangene betreuen muss“, erzählt Müller. Die Zahl der Verurteilten ist rückläufig – hinter Gittern ist davon wenig zu spüren. Die Zahl der Untersuchungshäftlinge, aber auch der Anteil der Personen mit Vorstrafen nimmt zu. Die Folge: Freiheitsstrafen werden länger, Bewährungsstrafen widerrufen, Gefangene bleiben länger hinter Gittern.

Islamistische Zelle n

Gerade eine Gruppe bereitet den Behörden Sorge: Islamisten. Seit 2013 habe sich ihr Anteil an den Inhaftierten „mehr als verdreifacht“, berichtet das Justizministerium in Hessen. Anfang 2018 saßen in NRW-Gefängnissen 34 Islamisten – gegenüber sechs im Jahr 2012. Anwerbeversuche sind in bayerischen JVA „schon länger bekannt“. 2017 saßen im Freistaat 99 Islamisten hinter Gittern. Eine Arbeitsgruppe der Länder empfiehlt, Islamisten und Terroristen in ausgesuchte Anstalten zu bringen – dezentral, um geschlossene „Hochschulen der Dschihadisten“ zu verhindern.

Organisierte Kriminalität

Strukturen von organisierter Kriminalität ließen sich „nie vollständig verhindern“, räumt das Justizministerium Schleswig-Holstein ein. Die Ministerien in Sachsen und Niedersachsen berichten von „organisierten kriminellen Strukturen“. Rockergruppen hätten eine „gewisse Bedeutung“, speziell beim Handel mit unerlaubten Gegenständen, so das Justizministerium in Baden-Württemberg. Bayern rechnet 109 Gefangene der OK zu, großteils russisch-eurasische Gruppen, Berlin wiederum Rocker, bestimmte arabische Großfamilien, tsche­tschenische Verbindungen. Sie handeln im Knast mit Drogen und Handys. Hessen hat seit Jahren Erkenntnisse über die osteuropäische Gruppe „Diebe im Gesetz“. In Thüringens Gefängnissen sind die russische Mafia, der Motorradclub Bandidos und die Jugendgang „Saat des Bösen“ aktiv.

Mehr Angriffe auf JVA-Personal

Laut Gewerkschaftssprecherin Franke führen aber auch die mangelhafte Betreuung sowie die Enge in den Zellentrakten zu Aggressivität, meist zu Konflikten zwischen Gefangenen. Manchmal trifft es die Wärter. 2016 meldeten einige Länder Höchststände. In Hamburg kam es zu 33 Attacken auf Betreuer, ein Jahr später 25. Dafür stieg die Zahl der Angriffe in Niedersachsen von 17 auf 45, in Rheinland-Pfalz von 18 auf 41. NRW registrierte 72 Tätlichkeiten gegen Bedienstete, gegenüber 34 im Jahr 2016.

Die Gefangenengewerkschaft meldet Fälle, in denen Inhaftierte durch Beamte attackiert würden, meist verbal. „Unsere Erfahrung ist: Leiter einer Station nutzen ihre Machtposition aus“, so Franke. Mobbing. Und noch eine Entwicklung gibt zu denken. Die Zahl der Suizide stieg seit 2015 von 66 auf zuletzt 82.