Düsseldorf. Ex-Justizminister gewinnt als Außenseiter überraschend Kampfkandidatur um Landtagsfraktionsvorsitz und durchkreuzt die Personalpläne der alten Garde.
Thomas Kutschaty versteht es, sich in unmöglichen Situationen einen Weg zu bahnen. Es ist am Dienstagmittag kein Durchkommen im vollbesetzten Saal der Düsseldorfer Landespressekonferenz. Die Luft steht. Die Gänge sind mit Kamera-Stativen, Stühlen und Journalisten versperrt. Kutschaty schlängelt sich behände durch die Reihen zum Podium. „Hätte nicht gedacht, dass man es als Fraktionsvorsitzender so schwer hat“, scherzt er.
Kutschaty hat es tatsächlich geschafft. Mit 35 zu 31 Stimmen entschied er die Kampfkandidatur um den Vorsitz der SPD-Landtagsfraktion gegen Marc Herter für sich. Er ist nun Oppositionsführer in NRW und möglicher Herausforderer von Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) bei der Landtagswahl 2022.
Kutschaty sieht Erfolg als "Sieg der innerparteilichen Demokratie“
Sein Erfolg sei „ein Sieg der innerparteilichen Demokratie“, sagt Kutschaty. Es habe sich bestätigt, dass bei der SPD „keine Politik im Hinterzimmer“ mehr gemacht werden könne. Der 49-jährige Rechtsanwalt, der sieben Jahre Justizminister der Regierung Kraft war und nebenher die skandalerprobte Essener SPD zu retten versuchte, hatte keine Chance – und nutzte sie.
Der scheidende SPD-Fraktionschef Norbert Römer (71), ein einflussreicher Strippenzieher und Multifunktionär bei den Genossen, hatte mit dem Noch-Landesvorsitzenden Michael Groschek ein ganz anderes Personaltableau ausgekungelt.
Der aus Hamm stammende Herter (43), ein enger Vertrauter Römers aus dem größten Parteibezirk Westliches Westfalen, sollte Fraktionsvorsitzender werden. Die Duisburger Partei-Hoffnung Sarah Philipp (35, Bezirk Niederrhein) wurde mit Herters bisherigem Posten als Parlamentarische Geschäftsführerin geködert. Den arbeitsintensiven, aber wenig machtvollen Landesparteivorsitz wollte man dem angesehenen Kölner Fraktionsvize Martin Börschel (45, Mittelrhein) zuschieben, damit dieser keine Ambitionen auf den Fraktionsvorsitz entwickelt.
Kutschaty forderte Herter heraus
Weil Börschel dankend ablehnte und auf einen lukrativen Stadtwerke-Posten flüchtete, zauberte das Duo Römer/Groschek flugs den unbekannten, aber ebenfalls aus dem Bezirk Mittelrhein stammenden Bundestagsabgeordneten Sebastian Hartmann (40) als neuen Personalvorschlag für den Chefposten der Landespartei aus dem Hut. Seine Generalsekretärin sollte die Dortmunder Unterbezirkschefin Nadja Lüders (47, Westliches Westfalen) werden. Eine offizielle „Findungskommission“ musste das „SPD-Kleeblatt“ nur noch abnicken.
Kutschaty machte intern deutlich, wie sehr ihn dieser Postenpoker anwiderte. Zumal er sich selbst vorwarf, nicht schon direkt nach der verheerenden Wahlniederlage 2017 die Machtfrage gestellt zu haben. Statt gegen Römer zu putschen, ließ er ihn ein weiteres „Jahr des Übergangs“ gewähren. Nun aber begehrte Kutschaty gegen das Personalpaket auf und forderte Herter heraus. Da allein 30 Abgeordnete aus dem Bezirk Westliches Westfalen stammen, schien dies ein wenig aussichtsreiches Unterfangen zu sein. Eher eine Frage der Selbstachtung.
Kutschaty vermittelt Aufbruch in der Partei
Doch am Dienstag hält Kutschaty die spritzigere Bewerbungsrede, vermittelt Aufbruch in der deprimierten Partei. Er bringt einen neuen, ironischen Ton, der so anders klingt als die Wagenburg-Rhetorik vergangener Jahre. Es sei diesmal nicht nach Regionalproporz gewählt worden, sondern „nach Sympathie und Kompetenz“, heißt es hinterher. Wie zerrissen die Stimmungslage bleibt, zeigt anschließend die Wahl Philipps zur Parlamentarischen Geschäftsführerin: Obwohl sie ohne Konkurrenz antritt, wird sie mit nur 38 Ja-Stimmen abgestraft.
Nach dem Kutschaty-Coup scheint selbst die Wahl Hartmanns zum neuen Landeschef beim Parteitag Ende Juni in Bochum nicht mehr gewiss. Eine eigene Kandidatur auch für das Parteiamt will Kutschaty auf mehrfache Nachfrage nicht ausschließen. Es sei nie schlecht, der Partei verschiedene Kandidaturen anzubieten. Er spekuliert bereits, „ob es zu irgendeinem Zeitpunkt mal sinnvoll sein könnte“, Fraktions- und Parteivorsitz zusammenzulegen. Ob er sich die Spitzenkandidatur gegen Laschet zutraue? Wer sich auf Spitzenämter bewerbe, sagt Kutschaty kraftstrotzend, müsse „das Zeug und den Willen“ dazu haben.