Essen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Regeln der Grundsteuer gekippt. Mieter und Hausbesitzer sind verunsichert, Städte sorgen sich um Einnahmen.

Der Karlsruher Richterspruch zur Neuberechnung der Grundsteuer hat am Dienstag ein breites Echo ausgelöst. Das Thema betrifft fast jeden. Für die Kommunen, für Hausbesitzer und für Mieter geht es um viel Geld. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten.

Was ist die Grundsteuer?

Neben Gewerbesteuer und Einkommenssteueranteilen ist die Grundsteuer die wichtigste Einnahmequelle der Kommunen. Bedeutsam ist die Grundsteuer B. Sie wird auf bebaute oder bebaubare Grundstücke und Gebäude erhoben. Betroffen sind also auch alle Wohnhäuser. Die Grundsteuer A auf land- und forstwirtschaftliches Vermögen fällt in Ballungsräumen kaum ins Gewicht.

Wer muss Grundsteuern bezahlen?

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Im Prinzip jeder. Zahlungspflichtig sind zunächst die Immobilienbesitzer. Vermieter können die Grundsteuer aber vollständig auf ihre Mieter umlegen. Die Grundsteuer B ist somit fester Bestandteil der Wohnnebenkosten. Nach Berechnungen des Mieterbundes NRW macht sie im Durchschnitt rund zehn Prozent der Nebenkosten aus. Auch Betriebe sind betroffen, sofern sie Immobilien und Grundstücke besitzen, was in der Regel der Fall ist. Der Bundesverband der deutschen Industrie warnte nach dem Urteil daher vor einem „enorm hohen Bewertungsaufwand“ für Betriebe. Die Neuregelung müsse „effizient und verfassungsfest“ werden.

Warum wurde die Grundsteuer ein Fall fürs Bundesverfassungsgericht?

Karlsruhe hält die aktuelle Regel für verfassungswidrig. Die Richter bemängelten, dass die so genannten Einheitswerte für Grundstücke, Häuser oder Eigentumswohnungen im Westen seit 1964 bestehen und seitdem nie angepasst wurden. Im Osten gilt sogar noch der Einheitswert von 1935. Die teils massiven Veränderungen im Gebäudebestand und auf dem Immobilienmarkt spiegeln sich in den Einheitswerten also nicht wider. Eigentlich sollen die Werte alle sechs Jahre neu festgestellt werden. Das ist jedoch nicht geschehen. Daher kann es sein, dass in einer Stadt für ein neues Haus eine deutlich höhere Grundsteuer fällig wird als für ein altes Haus in vergleichbarer Lage und Größe. Die Richter sehen darin einen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot.

Welche Folgen hat das Urteil für Eigentümer?

Hans-Jochem Witzke, Deutscher Mieterbund NRW.
Hans-Jochem Witzke, Deutscher Mieterbund NRW. © Thomas Schmidtke

Das ist noch völlig unklar. Das Bundesfinanzministerium will die erforderliche Neuregelung der Grundsteuer gemeinsam mit den Ländern zügig angehen. Staatssekretärin Christine Lambrecht sagte am Dienstag, das Hebesatzrecht der Gemeinden müsse beibehalten werden. Ein Reformvorschlag der Länder sieht vor, dass die Einheitsbewertung durch eine Kombination aus Bodenricht- und Gebäudewert abgelöst wird und pauschale Herstellungskosten sowie eine Alterswertminderung Berücksichtigung finden. Der Steuerzahlerbund NRW fürchtet, dass dadurch die Abgabe im Einzelfall steigen könnte.

Womit müssen Mieter rechnen?

Da die Grundsteuer auf die Nebenkosten umgelegt werden kann, befürchtet der Mieterbund NRW, dass die Neubewertung zu erheblichen Mehrbelastungen für Mieter führt. „Zu den hohen Kaltmieten, die viele Mieter jetzt schon kaum noch aufbringen können, dürfen nicht noch zusätzliche Kosten durch die Erhöhung der Grundsteuer bei den Betriebskosten kommen“, warnte Mieterbund-Chef Hans-Jochem Witzke. Der Mieterbund hält die Umlagefähigkeit der Grundsteuer ohnehin für systemwidrig und fordert deren Abschaffung.

Wie wichtig ist die Grundsteuer für die Städte?

Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds Nordrhein-Westfalen, Bernd Jürgen Schneider.
Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds Nordrhein-Westfalen, Bernd Jürgen Schneider. © HO

Gerade in finanzschwachen Kommunen macht die Grundsteuer einen Großteil der Einnahmen aus. Allein in NRW geht es um die Sicherung eines Steueraufkommens von jährlich mehr als 3,5 Milliarden Euro, bundesweit sind es weit über 13 Milliarden Euro. Auch bei einer aufkommensneutralen Neubewertung könnte sich die Einnahmenstruktur zu zuungunsten einzelner Kommunen verschieben.

Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes NRW, Bernd Jürgen Schneider, beeilte sich daher, die Bedeutung der Grundsteuer für die NRW-Kommunen zu betonen: „Die Gemeinden können auf die Einnahmen aus der Grundsteuer nicht verzichten.“ Der aus kommunaler Sicht schlimmste Fall ist aber nicht eingetreten. Das Verfassungsgericht hätte die Steuer auch komplett kippen können.

Warum sorgt die Grundsteuer gerade im Ruhrgebiet für Diskussionen?

Weil viele Revierbürger zuletzt teils drastische Grundsteuer-Erhöhungen hinnehmen mussten. Aus blanker Finanznot haben viele Revierstädte die Hebesätze, die sie selbst festlegen können, massiv heraufgesetzt und damit ihre Einnahmen deutlich verbessern können. So stiegen die Grundsteuererträge in Duisburg zwischen 2014 und 2016 um 26 Millionen Euro, in Bochum um fast zehn Millionen Euro.

Aus Bürgersicht zählt das Ruhrgebiet in Sachen Grundsteuer B zu den bundesweit teuersten Pflastern. Duisburg hat den Hebesatz auf 855 Punkte angehoben, um Haushaltslöcher zu stopfen. Hattingen erhöhte auf 875 Punkte. In Hagen liegt er bei 750 Prozentpunkten. Und Witten hat mit 910 ­Prozentpunkten den mit Ausnahme weniger Kleinstädte höchsten Wert einer deutschen Kommune überhaupt. Düsseldorf dagegen kann es sich leisten, den Hebesatz seit Jahren unverändert bei 440 Punkten zu belassen.