Brüssel/Paris/Berlin. Angela Merkel ist schon fast ein Dauergast in Paris. Zum dritten Mal in acht Monaten steigt die Kanzlerin am späten Freitagnachmittag die sieben Stufen hinauf in den Élysée-Palast, wo Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron die Kanzlerin zunächst zum Gespräch und später zum Dinner empfängt.
Angela Merkel ist schon fast ein Dauergast in Paris. Zum dritten Mal in acht Monaten steigt die Kanzlerin am späten Freitagnachmittag die sieben Stufen hinauf in den Élysée-Palast, wo Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron die Kanzlerin zunächst zum Gespräch und später zum Dinner empfängt.
Aber es ist alles andere als nur ein freundlicher Routinebesuch, den Merkel mit ihrer ersten Auslandsreise in ihrer vierten Amtszeit absolviert: Die Erwartungen sind ungewöhnlich hoch, vor allem bei ihrem Gastgeber. Macron, seit knapp einem Jahr im Amt, hat lange auf diesen Moment gewartet. Nach Merkels Wiederwahl will er nun endlich in der Europapolitik durchstarten, Reformen vor allem für die Eurozone durchsetzen.
Er und seine Leute machen aus der Ungeduld keinen Hehl. „Es ist unerlässlich, dass wir gemeinsam einen neuen Ehrgeiz entwickeln“, sagte Macron am Freitag bei der Pressekonferenz. Merkel ergänzte, man wolle gemeinsame Wege finden. Details zur Reform blieben zunächst offen. Einig war man sich darin, einen gesonderten deutsch-französischen Gipfel zu organisieren, um Entscheidungen in der Asylpolitik vorzubereiten. Zu diesem Thema soll es einen EU-Gipfel noch im Juni dieses Jahres geben.
Gemeinsame Position ist fraglich
Macrons Hoffnungen sind groß, weil parallel sein Finanzminister Bruno Le Maire den deutschen Kollegen Olaf Scholz in Paris empfängt. Und Merkel?Fast sechs Monate ließ die deutsche Kanzlerin verstreichen, ohne konkrete Antworten auf Macrons Vorschläge zu geben. Nun kommt sie mit einem Ja, aber: Der Schulterschluss mit Macron ist ihr wichtig, die deutsch-französische Zusammenarbeit soll neue Dynamik entfalten – aber in zentralen Fragen der künftigen EU-Politik bringt die Kanzlerin weniger mit als erhofft. Dass Deutschland und Frankreich wie angekündigt beim EU-Gipfel kommende Woche eine gemeinsame Position zur Reform der Eurozone präsentieren, ist erst mal nicht in Sicht.
Macron muss wohl zurückstecken: Der 40 Jahre alte Präsident wollte für die Eurozone einen eigenen Haushalt und einen Finanzminister durchsetzen, beides trifft auf Skepsis im Kanzleramt – und in vielen anderen EU-Staaten. Die für den Sommer geplante Vollendung einer Bankenunion steht auf der Kippe, weil unter anderem Deutschland sich wehrt, dass heimische Banken im Krisenfall mit den Einlagen ihrer Sparer für die Geldinstitute in anderen Ländern haften müssen.
Auch in Frankreich bekommt Jungstar Macron inzwischen Gegenwind. Bei der hoch verschuldeten Bahngesellschaft SNCF steht ein Streik vor der Tür, Rentner wehren sich gegen höhere Belastungen. Merkel will nun, dass Berlin und Paris „gemeinsame Pfade abstecken“, aber Einzelheiten bleiben in der Schwebe. Offiziell wird zur Entschuldigung auf die lange Regierungsbildung in Berlin verwiesen, in Wahrheit engen Kritiker in der Union Merkels Spielraum ein. Ein eigener Finanzminister für die Eurozone wäre bei CDU und CSU kaum durchsetzbar.
Und auch jenseits der deutsch-französischen Achse baut sich Widerstand auf: Die Niederlande sowie skandinavische und baltische Regierungen lehnen Macrons Reformpläne offen ab. EU-Diplomaten suchen deshalb schon nach Wegen, wie Macrons Ehrgeiz in andere Bahnen gelenkt werden könnte – etwa in Projekte der gemeinsamen EU-Verteidigungspolitik.
Als hilfreich zur Gesichtswahrung des Präsidenten könnte sich die internationale Lage erweisen: Der drohende Handelskrieg mit den USA, die Spannungen mit Russland lieferten auch Merkel und Macron ausreichend Gelegenheit zum engen Schulterschluss. Merkels Besuch am Freitag ist eine diplomatische Geste. Traditionell geht ihre erste Auslandsreise nach Amtsantritt zum französischen Präsidenten. Auch Vorgänger Gerhard Schröder hielt es so.