Düsseldorf. . In vielen Städten ist die Nachfrage nach Gesamtschulen weit höher als das Angebot. Landeselternschaft schreibt Brief an Schulministerin Gebauer.
Wer dachte, der Schwenk der meisten Gymnasien vom ungeliebten G8 auf G9 werde die Attraktivität der Gesamtschulen schmälern, muss sich eines Besseren belehren lassen. Die Gesamtschulen in NRW sind populärer als je zuvor. So beliebt, dass immer mehr Kinder, die sich dort anmelden, abgewiesen werden müssen. Die Landeselternschaft der integrierten Schulen (Leis NRW) schlägt daher Alarm und hat NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) einen Brandbrief geschickt.
In Köln müssen sich in diesem Jahr rund 1000 Kinder, die eigentlich eine Gesamtschule besuchen wollen, eine andere Schulform suchen, weil Plätze fehlen. Im Jahr davor wurden dort rund 750 Ablehnungen gezählt. In Köln wie in Münster müssten etwa ein Drittel der angemeldeten Kinder auf den Gesamtschulbesuch verzichten, kritisiert der Elternverband.
Ansturm auf Gesamtschulen groß
Auch im Ruhrgebiet ist der Ansturm auf die Gesamtschulen vielerorts groß. Gelsenkirchen zählt für das Schuljahr 2018/19 insgesamt 1257 Anmeldungen, aber nur 909 Kinder werden berücksichtigt. Und das, obwohl zuletzt sogar in drei Gesamtschulen neue Klassen geschaffen wurden. „Fast überall in Gelsenkirchen gibt es mehr Anmeldungen als Kapazitäten“, sagte ein Stadt-Sprecher.
Von steigenden Anmeldezahlen für Gesamtschulen berichtet auch die Stadt Essen. Im Essener Norden wird wegen der großen Nachfrage eine neue Gesamtschule gebaut. In Düsseldorf stieg die Zahl der Gesamtschul-Anmeldungen um 223 auf 1011. In Dortmund müssen die Gesamtschulen in diesem Jahr 89 Kinder abweisen, in Schwerte an der Ruhr sind die beiden Gesamtschulen – gemessen an den Anmeldungen – inzwischen beliebter als die Gymnasien.
Alle Schulabschlüsse sind möglich
Ralf Radke, Vorsitzender von Leis NRW, hat nicht nur Ministerin Gebauer, sondern auch der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker geschrieben. Dass so viele Kinder abgewiesen werden, sei „bestürzend“. Gebauer möge den Städten dabei helfen, ein „ausreichendes, bedarfsgerechtes und flächendeckendes Angebot integrierter Schulen“ zu schaffen. Im Klartext heißt das: „Baut mehr Gesamt- und Sekundarschulen.“ Das Ministerium kündigte an, den Brief zu beantworten. Eine Stellungnahme gab es gestern dazu noch nicht.
Warum wählen so viele Eltern für ihre Kinder eine Gesamtschule? Dorothea Schäfer, Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), glaubt, dass dahinter der Wunsch steht, dem Kind größere Bildungschancen zu eröffnen. „Gesamtschulen bieten vielfältige Möglichkeiten und lassen den Bildungsweg offen.“ Alle Abschlüsse bis zur Hochschulreife sind möglich.
Gewerkschaft unterstützt Protest der Eltern
Mindestens ebenso wichtig ist laut Schäfer, dass alle Gesamtschulen in NRW gebundene Ganztagsschulen sind, also auch nachmittags Unterricht anbieten. An den meisten Grundschulen ist Nachmittags-Betreuung im offenen Ganztag heute Standard. Vor dem Wechsel der Kinder an eine weiterführende Schule stellen die Eltern dann aber fest, dass „Ganztag“ in den Gymnasien noch nicht selbstverständlich ist.
Gut möglich, dass auch die Krise anderer Schulformen den Gesamtschulen den Zulauf beschert. Erst vor wenigen Tagen meldete das Statistische Landesamt (IT NRW), dass die Zahl der Hauptschüler zuletzt noch einmal im Jahresvergleich um 18 Prozent auf rund 72 000 gesunken ist. Die Gesamtschulen verzeichneten hingegen seit dem Schuljahr 2008/09 einen Zuwachs von 32,3 Prozent.
Die GEW unterstützt den Protest der Landeselternschaft. „Kinder und Eltern, die als weiterführende Schule eine Sekundar- oder Gesamtschule wählen wollen, müssen ihr Recht auf freie Schulwahl wahrnehmen können“, sagte Dorothea Schäfer am Dienstag. Aus Kreisen der Landesregierung war gestern zu hören, dass die Situation in Köln auch wegen einer völlig verkorksten Schulentwicklungsplanung so arg sei.
>>>> Nachfrage Nach Ganzteag steigt
Der offene Ganztag (OGS) erfreut sich in NRW wachsender Beliebtheit. Die Zahl der betreuten Schüler stieg im Vergleich zum vergangenen Schuljahr um 3,4 Prozent auf 295 824, wie das Schulministerium mitteilte. Schulministerin Yvonne Gebauer kündigte an, die Fördermittel für den offenen Ganztag zum 1. August 2018 zu erhöhen.
Sie erinnerte auch an ihren Erlass vom Februar: Seit dem zweiten Schulhalbjahr können Schüler auch während der Zeiten des offenen Ganztags an außerschulischen Angeboten teilnehmen, zum Beispiel in Sportvereinen oder in Musikschulen.
Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) begrüßte die angekündigte Erhöhung der Mittel. Doch wäre es besser gewesen, wenn die qualitative Stärkung des offenen Ganztags schon vor der Flexibilisierung gekommen wäre, sagte VBE-Landeschef Stefan Behlau. Die SPD-Landtagsfraktion wird einen Antrag für einen „OGS-Gipfel“ ins Parlament bringen. Wer den Ganztag verbessern möchte, müsste alle Akteure an einen Tisch bringen, so die SPD.