Duisburg. . Schrottimmobilien und Brautmoden beim Antrittsbesuch von Bundespräsident Walter Steinmeier in Nordrhein-Westfalen. Grundschule singt Ständchen.
Manche Schule erkennt man an ihren Liedern. Das der Grundschule Henriettenstraße in Duisburg-Marxloh etwa geht so: „Guten Morgen, . . . dzien dobry . . . buna dimineata . . . günaydin.“ Guten Morgen in insgesamt elf Sprachen, „das singen wir hier öfter“, sagt eine Lehrerin. Und das ist auch hier entstanden, hier, wo mehr als 90 Prozent der Kinder einen Migrationshintergrund haben.
So kommt es, dass Bundespräsident Frank-Walter-Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender an diesem Dienstagmorgen vermutlich zum ersten Mal im Leben ,Guten Morgen’ auch noch auf Albanisch singen: „Miremengjes.“
Marxloh muss wieder als Dreckecke herhalten
Es ist, im Treppenhaus, der gut gelaunte Auftakt eines problematisierten Besuches. Und dass die Kinder zuvor, als Steinmeier sich ein paar Minuten verspätete, witzigerweise „Bruder Jakob, schläfst du noch?“ sangen, muss ihm ja niemand verraten.
Doch dann wird es gleich beinhart. „Vorstellung der sozialräumlichen Situation“ in einer geschlossenen Gesprächsrunde. Man sieht es schnell: Beim protokollarisch erforderlichen, dennoch kuriosen Antrittsbesuch des Bundespräsidenten in Nordrhein-Westfalen – kurios, weil er Nordrhein-Westfale ist – muss Duisburg-Marxloh wieder mal als Dreck-Ecke des Landes herhalten. Auch wenn es eine Sprecherin in die allerdickste Sprachregelungswatte packt: als „Ort, wo noch Arbeit vor uns liegt“.
Schrottimmobilien, in denen sich Bewohner stapeln
Etwa mit der Schrottimmobilie 100 Meter weiter, die Steinmeier nach der Schule ansteuert. Verriegelt, verrammelt, versiegelt, verkommen, Spanplatten hinter Fensterscheiben – und außerdem hat der Besitzer Betreten nicht gestattet. Oberbürgermeister Sören Link (SPD) und Polizeipräsidentin Elke Bartels erzählen ihm von kriminellen Vermietern, von Rumänen und Bulgaren, die sich in solchen Häusern stapeln, von Müll und Verwahrlosung.
Und jener städtischen Einsatzgruppe, die nach Kräften daran arbeitet, Häuser wie dieses dichtzumachen, leerzuziehen und in städtischen Besitz zu überführen. „Wie oft hat das denn schon geklappt?“, fragt Steinmeier. „Einmal“, sagt Link. Steinmeier: „Einmal?“ Das nächste Haus und das nächste Haus sind ebenso verrammelt. Städtisch sind sie nicht.
„Situation statisch. Nummer 1 geht jetzt weiter“
Es ist kalt, es ist nass in der Kaiser-Wilhelm-Straße, Marxloh ist lieber zuhause geblieben trotz des Besuchs aus Berlin, und unter den wenigen Menschen, die aussehen wie normale Passanten, sind noch etliche mit Knopf im Ohr. Sie reden so: „Situation statisch. Nummer 1 geht jetzt weiter.“
Nummer 1 nähert sich in einer großen Menschentraube aus Sicherheit, Polizei, Bundespräsidialamt und Medien dem Geschäft „Melisam Brautmoden“ und trifft hier endlich auf das Positive, Herrn Tercan Küccük nämlich, den Inhaber. Der kleine rote Teppich liegt freilich immer bei ihm im Eingang.
„Ich habe ihm gesagt, dass wir kein Getto sind“
Noch eine geschlossene Runde. „Ich habe ihm gesagt, dass wir definitiv kein Getto sind, keine No-go-area, sondern der romantischste Stadtteil von Deutschland“, sagt Küccük später und meint damit die einzigartige Straße der Brautkleider. Doch wegen der vielen negativen Berichte kämen weit weniger Kunden her, als kommen könnten.
Zwei Stunden, 300 Meter Marxloh. Dann fährt die Kolonne aus Limousinen und Polizeiwagen weiter zu den nächsten Stationen: Dortmund, Altena und Arnsberg. Zurück bleibt die Frage, warum als „Orte, wo noch Arbeit vor uns liegt“, nie die Problemviertel von Köln, Düsseldorf, Aachen oder Münster gezeigt werden. Lohnt sich nämlich mal.
Steinmeier jedenfalls ist weg, da erzählt Tercan Küccük weiter von Marxloh. „Ich lebe selbst seit über 20 Jahren hier, ich habe hier drei Kinder großgezogen“, sagt er. Eines ist auf dem Gymnasium, zwei sind Kaufleute. Und ihre Grundschule war: Henriettenstraße. „Guten Morgen . . . günaydin“.