Berlin. . Von CDU-Politiker Jens Spahn ist ein flapsiger Spruch über den neuen Koalitionsvertrag überliefert. Es sei „alles wie immer, nur teurer“, soll Spahn gesagt haben, als er aus den Verhandlungen kam. Tatsächlich summieren sich die von Union und SPD vereinbarten Projekte bis zum Jahr 2021 auf insgesamt 46 Milliarden Euro.

Von CDU-Politiker Jens Spahn ist ein flapsiger Spruch über den neuen Koalitionsvertrag überliefert. Es sei „alles wie immer, nur teurer“, soll Spahn gesagt haben, als er aus den Verhandlungen kam. Tatsächlich summieren sich die von Union und SPD vereinbarten Projekte bis zum Jahr 2021 auf insgesamt 46 Milliarden Euro.

Das aber ist längst nicht alles. Vieles, was die Koalitionäre in dem Vertrag vereinbart haben, steht nicht in der zusammenfassenden Tabelle auf Seite 67. Dazu gehören die umstrittene Mütterrente, die geplante Grundrente für Geringverdiener oder die höheren Zuschüsse an Krankenkassen für Hartz-IV-Empfänger. Alles in allem, so schätzen Haushaltspolitiker, kommen auf den Bundeshaushalt in den nächsten Jahren zusätzliche Ausgaben in Höhe von 100 Milliarden Euro zu – also das Doppelte der Summe, die aus heutiger Sicht nur zur Verfügung steht.

Seit 2015 wird die kalte Progression jedes Jahr ausgeglichen

Dabei plant die GroKo noch nicht einmal eine große Steuerreform. Ganz am Ende der Wahlperiode soll der Solidaritätszuschlag für zehn Milliarden Euro teilweise abgeschafft werden. Eine weitere Erleichterung bei der Steuerbelastung steht zwar im Vertrag, ist aber nicht weiter beziffert: der Abbau der „kalten Progression“.

Damit ist das Phänomen gemeint, dass die Steuerbelastung eines Arbeitnehmers quasi durch die Hintertür steigt. Das passiert dann, wenn eine Lohn- oder Gehaltserhöhung nicht nur durch die Inflation, sondern auch durch einen dann fälligen höheren Durchschnittssteuersatz zunichte gemacht wird. Damit Einkommensteigerungen nicht auf diese Weise verpuffen, wurde der Effekt seit 2015 regelmäßig ausgeglichen: Der Einkommensteuertarif wurde jedes Jahr um den Wert der Inflation korrigiert. Das Problem: Die Kosten dafür sind auf den 177 Seiten des Vertragswerks an keiner Stelle einkalkuliert.

Nach Berechnungen des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) fehlen dem Bundeshaushalt durch den Abbau der kalten Progression bis zum Ende der Wahlperiode bis zu neun Milliarden Euro. Rechnet man die Einnahmeausfälle hinzu, die Ländern und Gemeinden bei der Einkommensteuer entstehen, sind es bis zu 21 Milliarden Euro.

„Im Sinne einer soliden Finanzplanung müsste dieser Wert auch im Finanztableau des Koalitionsvertrags auftauchen“, sagte IW-Finanzexperte Martin Beznoska dieser Redaktion. Wenn die gute Konjunktur nicht noch zusätzliche Steuereinnahmen bringe, müsse eine neue Regierung an anderer Stelle sparen oder geplante Ausgaben zurückstellen, so der Experte. Neue Schulden lehnen Union und SPD explizit ab.

Die für Haushalt und Finanzen zuständige SPD-Fraktionsvizechefin Christine Lambrecht kündigte an, weiter gegen die kalte Progression kämpfen zu wollen: „Selbstverständlich haben wir einen Blick auf die kalte Progression und halten an der bewährten Praxis fest“, sagte sie dieser Redaktion. Das künftig von der SPD geführte Finanzministerium werde voraussichtlich im Herbst wieder einen Bericht zur Entwicklung der kalten Progression vorlegen. Auch der haushaltspolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Eckhardt Rehberg, will an dem von Ex-Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) eingeführten Verfahren zum Abbau der kalten Progression festhalten. Dies sei „auch in den nächsten Jahren politisch geboten, um gerade die Mittelschicht vor inflationsbedingten Steuerbelastungen zu schützen“, sagte Rehberg.

In Koalitionskreisen wird eingeräumt, dass die Kosten für die kalte Progression bisher nicht berücksichtigt sind. Die vom IW errechneten Werte seien aber zu hoch. Der Anteil des Bundes betrage rund sieben Milliarden Euro.

Kritik an den Plänen kommt von der FDP. Deren Fraktionsvize Christian Dürr nannte sie „Lippenbekenntnisse“ und kritisierte vor allem, dass der Bundesfinanzminister immer wieder neu entscheidet, ob er die kalte Progression ausgleicht oder nicht. Besser sei ein „Steuertarif auf Rädern“, der sich automatisch an Inflation und steigende Löhne angleicht.