Essen. . Ein alter Begriff macht Karriere. Nach München und Düsseldorf bekommt auch Berlin ein Heimatministerium. Das Ziel bleibt nebulös. Eine Analyse.

Gleich zu Beginn ihrer Amtszeit begab sich Ina Scharrenbach auf eine sechstägige Heimat-Tour zu den schönsten und traditionsreichsten Orten Nordrhein-Westfalens. Ihre Reise führte sie quer durchs Land von Olfen über Lüdinghausen und Coesfeld über Gummersbach und Kalkar bis zur Zeche Zollverein in Essen – schließlich ist die CDU-Politikerin die erste Heimatministerin in der Geschichte des Landes. Zahlreiche Begegnungen und Fotos vor Dörfern, Wiesen und Seen sollten eine Botschaft transportieren: Das ist unsere Heimat, das wollen wir pflegen und bewahren.

Denn wo das Heimatgefühl stark ist, so die Ministerin, da fühlen sich die Menschen wohl und sicher. 113 Millionen Euro darf sie in dieser Legislatur ausgeben, um diese Gefühle in NRW zu wecken.

Sehnsucht nach Heimat oder Zeichen der Krise?

Bayern hat seit 2014 ein Ministerium für Heimat, die Bundesregierung will dem Beispiel nun folgen – mit Horst Seehofer an der Spitze. Nordrhein-Westfalen hat seit dem Regierungswechsel 2017 ebenfalls ein Heimat-Ressort. Doch wozu? Woher kommt die Renaissance des Heimatbegriffs? Bedient er eine lang verschüttete Sehnsucht der Bürger, ist er eine politische Erfindung oder ein Symptom für eine gesellschaftliche Krise, in der immer mehr Menschen in einer zunehmend als unübersichtlich und fremd empfundenen Welt einen sicheren Ort suchen?

„Holen Sie sich Ihr Land zurück“, appellierte die AfD-Politikerin Alice Weidel an die Bürger. Und ihr Parteikollege Alexander Gauland rief nach der Bundestagswahl ganz ähnlich: „Wir holen uns unser Land zurück!“ Was nichts anderes bedeuten soll als: Deutschland ist „unsere“ Heimat – und nicht die „der anderen“. Diese „Schlachtrufe“ markieren sicherlich ein Motiv, für die neuerdings sprießenden Heimatministerien. Die etablierten Parteien reagieren damit auf rechtspopulistische Parolen, wollen rechten Ideologen den Heimatbegriff nicht überlassen, sondern in scharfer Abgrenzung mit eigenen Inhalten füllen. Aber mit welchen?

Globalisierung und Terrorangst

Ina Scharrenbach möchte als Heimatministerin „den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft stärken“. In Zeiten einer unübersichtlichen Globalisierung, grassierender Terrorangst und rasantem demografischem Wandel will sie „Leitplanken“ setzen, die den Menschen „Halt und Orientierung“ bieten. Leitplanken? Soll das bedeuten, dass man die Gesinnung der Bürger nicht nach rechts und links abdriften lassen, sondern möglichst in der politischen Fahrbahnmitte halten will?

Die Gründung ihres Ministeriums lässt sich wohl auch als eine Reaktion auf die Probleme der Zuwanderung verstehen. Das Gefühl vieler Menschen in manchen Großstadtquartieren, sich in ihrem Viertel, in ihrer Straße nicht mehr „heimisch“ zu fühlen, darf Politik nicht ignorieren. „Man muss es ernst nehmen, dass die Menschen auf Globalisierung und Zuwanderung reagieren und etwas verteidigen wollen, das sie Heimat nennen“, sagt der Bielefelder Sozialpsychologe und Konfliktforscher Andreas Zick. Teile der Bevölkerung sehen sich abgekoppelt von der Politik, von Bildung, Wohlstand und Aufstiegschancen und empfinden dies als Verlust von Heimat und Sicherheit. Ihnen fehlt der gesellschaftliche Boden unter den Füßen.

Heimat soll niemanden ausschließen

Das Problem der Debatte aber sei, so Zick, dass Heimat meist als ein exklusiver Ort verstanden werde. Soll heißen: Ein solcher Heimatbegriff schließt nur Einheimische ein, Fremde aber aus. Zick plädiert hingegen für ein „modernes Konzept von Heimat“, das offen ist für Menschen, die sich eine neue Heimat schaffen wollen. „Es fällt immer noch vielen Menschen schwer zu verstehen, dass sich auch Zugewanderte eine Heimat erarbeiten wollen.“

Diesen Ansatz vermisse er in der politischen Diskussion. Daher hätte er sich statt eines neuen Heimatministeriums ein Integrationsministerium in Berlin gewünscht. Ina Scharrenbach scheint die Gefahr zu sehen, denn sie betont: „Heimat grenzt ein, nicht aus. Sie kann als Formel und Auftrag zur Umsetzung der Gleichwertigkeit von Lebensverhältnissen gewertet werden. Heimat ist demnach eine Form gesellschaftlicher Teilhabe.“

Allgemeine Verunsicherung

Aber was eigentlich ist Heimat? Und braucht man das im 21. Jahrhundert? Für die Mehrheit der Deutschen ist die Antwort klar: Mit Heimat verbinden 92 Prozent „Menschen, die ich liebe, Familie, Freunde und Verwandtschaft“, ergab eine Infratest-Umfrage im Jahr 2015. Für 88 Prozent ist Heimat der Ort, an dem sie leben. Auf ähnlich hohe Werte kamen „mein Zuhause“ sowie Gefühle wie „Geborgenheit“ und „Sicherheit“. Folgerichtig spielt Deutschland bei der Heimatfrage gar keine Rolle. Die AfD-Parole, sich sein Land „zurückzuholen“, dürfte demnach kaum verfangen. Eher schon das Spiel mit der Angst der Menschen um Familie, Geborgenheit und Sicherheit.

Die Rückkehr der Heimat-Sehnsucht lässt sich also als Reaktion auf eine allgemein empfundene Verunsicherung verstehen, zumal die Frage nach der Heimat wellenförmig bei gesellschaftlichen Umbrüchen auftaucht, wie etwa auch nach der Wiedervereinigung. Ob ein Heimatministerium das Sicherheitsbedürfnis und Zugehörigkeitsgefühl der Menschen stärken kann, erscheint fraglich, denn die politischen Konzepte bleiben unscharf. Andreas Zick sagt: „Heimat lässt sich nicht vom Staat verordnen.“ Ministerin Scharrenbach will ihre Heimat-Touren aber auf jeden Fall fortsetzen.

>>>> Der erste Heimatkongress

Ein Kongress am 17. März in Münster unter dem Motto „Heimat. Zukunft. Nordrhein-Westfalen“ soll die Heumatgefühle der Bürger wecken. 400 Teilnehmer werden zu Vorträgen und Diskussionen erwartet. Vertreter der drei großen Heimatverbände sowie der NRW-Stiftung beraten, wie Menschen für ihre Heimat begeistert werden können.