Berlin. Falls Deniz Yücel immer noch nicht weiß, warum er aus türkischer Haft entlassen wurde, sollte er Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) zuhören. Nach der Freilassung des Journalisten will Gabriel „das Momentum“ nutzen, um „alle Gesprächsformate wieder zu beleben“. Der „Welt“-Korrespondent ist auf freiem Fuß, weil die Türkei die Beziehungen zu Deutschland normalisieren will. Um Wohlwollen geht es, auf beiden Seiten.
Falls Deniz Yücel immer noch nicht weiß, warum er aus türkischer Haft entlassen wurde, sollte er Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) zuhören. Nach der Freilassung des Journalisten will Gabriel „das Momentum“ nutzen, um „alle Gesprächsformate wieder zu beleben“. Der „Welt“-Korrespondent ist auf freiem Fuß, weil die Türkei die Beziehungen zu Deutschland normalisieren will. Um Wohlwollen geht es, auf beiden Seiten.
Aus seinem Kalkül macht der türkische Regierungschef Binali Yildirim keinen Hehl. Er kündigte am Rand der Münchner Sicherheitskonferenz häufigere und hochrangige Kontakte an, darunter einen Deutschlandbesuch von Präsident Recep Tayyip Erdogan und eine Gegenvisite von Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Das dürfte mehr als bloßes Wunschdenken sein. Erst am Donnerstag hatte er sich mit Merkel beraten. Die Kanzlerin hat nie den Kontakt abreißen lassen. Sie war seit 2015 fünfmal in der Türkei, zuletzt im Februar 2017.
Die Gelegenheit für die Türkei ist günstig
Yildirim wünscht sich auch die Zustimmung zu mehr Auftritten von türkischen Politikern in Deutschland. „Diese Treffen mit den Menschen aus der Türkei sind keine Anlässe, die Deutschland stören sollten“, sagte er. Nicht zuletzt erhofft sich Yildirim eine stärkere Rüstungskooperation, konkret: eine Beteiligung am Bau von 1000 Kampfpanzern des Typs „Altay“.
Yücel hatte getwittert, das „Witzige“ sei, dass er nicht wisse, warum er freigelassen worden sei. Die Türkei hatte er in der Videobotschaft als Willkürstaat kritisiert und an die anderen noch in der Türkei verhafteten Journalisten erinnert, „die nichts anderes getan haben, als ihren Beruf auszuüben“.
Wenn es eine Gegenleistung gibt, dann ist es der Dialog. Einen „Deal“ hatte Gabriel stets dementiert. Die Türkei könne von Deutschland nichts erwarten, „außer, dass wir im Gespräch bleiben“, wohl wissend, dass es nicht einfach werde, „dass das nicht von heute auf morgen zu ganz einfachen Zeiten führt“. Er kenne keine andere Methode, „als gute Situationen zu nutzen, um die besseren anzusteuern“, betonte der Außenminister.
Die Gelegenheit ist für die Türkei denkbar günstig, weil sich in Berlin eine große Koalition abzeichnet, nachdem ein Jamaika-Bündnis nicht zustande gekommen war. Nicht auszumalen, wie kompliziert es mit den Grünen geworden wäre, die für eine besonders restriktive Rüstungsexportpolitik stehen und bei denen der türkischstämmige Cem Özdemir als Außenminister im Gespräch war. Den halten die Türken für einen Terroristen. Bei der Sicherheitskonferenz in München wurde er drei Tage lang vorsorglich von der Polizei zu Terminen eskortiert.
Ein Minenfeld bleiben die Fragen von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit. Die Türkei verbittet sich Kritik. „Kein Land der Welt hat das Recht, die Rechtsstaatlichkeit eines anderen Landes infrage zu stellen“, sagte Yildirim. Auch in Deutschland seien mehr als 3000 Menschen mit türkischer Herkunft in Haft, dafür gebe es wohl ebenso gute Gründe wie im Fall der in der Türkei Inhaftierten. Angesprochen auf die mehr als 150 Journalisten, die sich in seinem Land in Haft befinden, pochte Yildirim darauf, dass die entsprechenden Verfahren Sache der türkischen Gerichte seien. Das türkische Parlament könne die Verfahren lediglich beschleunigen – falls nötig. „Beschleunigung“: Die Vokabel der Verharmlosung hatte Gabriel schon am Freitag bei seiner Dankesrede an die Türkei benutzt. Präsident Erdogan soll das Gesicht wahren können. Keine Versprechen, aber Wohlwollen, das scheint Gabriels Devise für den Umgang mit der Türkei zu sein.
Unklar ist auch, wie es für Yücel weitergehen könnte. Nach einem Jahr in Haft muss er Abstand gewinnen. Das gelingt im Ausland, wo er sich gerade aufhält, besser als in Deutschland, wo er ein gefragter Mann ist. Er twitterte ein Foto im Kreis von Freunden, vermutlich irgendwo in Südeuropa.
Yücel ist frei, aber nicht freigesprochen
Die Frage ist, ob Yücel das Risiko eingeht, sich vor einem Gericht in der Türkei zu verteidigen und auszusagen. Er ist frei, nicht freigesprochen. Wenn er verurteilt wird und sich der Haft entzieht, könnte die Türkei ihn bei Interpol als Gesuchten ausschreiben lassen und seine Auslieferung beantragen. Dann könnte es ihm so ergehen wie dem Schriftsteller Dogan Akhanli, der bei einem Spanienurlaub festgenommen worden war. Deniz Yücel bleibt auf der Agenda der deutsch-türkischen Beziehungen.