Essen. . Ronald Lünser wird neuer Vorstandssprecher des VRR. Erstmals steht ein gelernter Eisenbahner an der Spitze des größten Verkehrsverbundes Europas.
Für Führungsaufgaben im Schienenverkehr hat sich Ronald Lünser schon früh qualifiziert. Als junger Mann absolvierte er eine Ausbildung zum Schienenfahrzeugtechniker bei der DDR-Reichsbahn. „Ich bin gelernter Eisenbahner“, sagt Lünser, der aus Mecklenburg-Vorpommern stammt, gleich nach der Wende „rüber machte“ in den Westen und seitdem im Ruhrgebiet lebt. Mit seiner immer wieder aufgefrischten Lokführerlizens könnte der 53-Jährige auch heute noch jeden Triebwagen steuern. Doch Lünser entschied sich zeitig für andere Weichenstellungen, machte Karriere bei der Deutschen Bahn und bei privaten Bahnunternehmen. Der Branche blieb er treu. Am Freitag wählte ihn der Verwaltungsrat des Verkehrsverbundes Rhein Ruhr in Essen einstimmig zum neuen Vorstandssprecher des größten Verkehrsverbundes in Europa.
Es ist eine wichtige Position, vielleicht die wichtigste im Verkehrssektor des Ballungsraumes Rhein-Ruhr. Sicher ist es eine der kompliziertesten. Der VRR ist kein Unternehmen, sondern eine Art Tausendfüßler des ÖPNV im Dreieck Dortmund, Mönchengladbach, Wuppertal mit dem Ruhrgebiet als Kern. Kontrolliert von politischen Gremien, ist der Verbund zuständig für den überörtlichen Schienennahverkehr, das im Verbundgebiet einheitliche Tarifsystem und zudem Bewilligungsbehörde für Infrastrukturförderungen.
Über eine Milliarde Fahrgäste
Ronald Lünser steht somit vor gewaltigen Herausforderungen. Das Nahverkehrssystem im VRR-Gebiet mit seinen acht Millionen Menschen platzt aus allen Nähten und gerät immer wieder an seine Leistungsgrenzen. Übers Jahr gerechnet transportieren die insgesamt 40 VRR-Betriebe deutlich über eine Milliarde Fahrgäste. Tendenz steigend. Selbst die Verkehrsbetriebe in der Hauptstadt Berlin kommen da nicht mit.
Lünsers derzeitiger Job als Geschäftsführer des privaten Bahnbetreibers Abellio Rail NRW mit Sitz in Hagen ist da vergleichsweise übersichtlich. Dennoch bringt der Vater zweier erwachsener Kinder nach Überzeugung des VRR-Verwaltungsrats beste Voraussetzungen für sein künftiges Amt mit. Erstmals überhaupt nämlich kommt ein VRR-Vorstandssprecher aus der Branche, hat anders als der noch bis Ende des Jahres amtierende, langjährige VRR-Chef Martin Husmann keine politischen Wurzeln. „Ein absoluter Top-Fachmann, der sein Handwerk von der Pike auf gelernt hat“, urteilt denn auch Andreas Hartnigk, Vizechef der im Fall der Vorstandssprecherposition vorschlagsberechtigten CDU-Fraktion im VRR-Verwaltungsrat.
Rangeleien im Vorfeld
Trotzdem hatte es im Vorfeld der Wahl Rangeleien um die Personalie Lünser gegeben. Zwar stand der Name des Hobby-Motorradfahrers als einziger auf der Vorschlagsliste der Findungskommission. Doch einige Verwaltungsratsmitglieder sorgten sich um mögliche Interessenkonflikte. Lünsers derzeitiger Arbeitgeber Abellio ist größter Vertragspartner des VRR nach der Deutschen Bahn. Die Deutschland-Tochter der niederländischen Staatsbahn bedient bereits zentrale VRR-Linien und wird künftige auch Teile des RRX-Netzes betreiben. Zuständig für die Kontrolle und Vergabe sämtlicher Schienenverkehrsaufträge ist laut Aufgabenbeschreibung der VRR-Vorstandssprecher. Anfang Januar hatten die Grünen im VRR-Rat ihrem CDU-Koalitionspartner deshalb signalisiert, Lünser wegen dieser Verquickung nicht mittragen zu wollen. Doch nun will der VRR seine Anti-Korruptions-Regeln (Compliance) überarbeiten. „Damit sind unsere Vorbehalte ausgeräumt“, sagte Grünen-Fraktionschef Norbert Czerwinski dieser Zeitung.
Eine andere Hürde zum VRR wird Ronald Lünser wohl sportlich nehmen müssen. Sein täglicher Arbeitsweg zur VRR-Zentrale führt den eingefleischten BVB-Fan demnächst ins Herz der Schalke-Region: nach Gelsenkirchen.
Sein Büro in der VRR-Zentrale in Gelsenkirchen wird Ronald Lünser Anfang Dezember beziehen. Offiziell übernimmt er den Chefposten zum 1. Januar 2019. Dann verabschiedet sich Martin Husmann, der den VRR 15 Jahre steuerte, vorzeitig in den Ruhestand. Der 62-Jährige wird Lünser für eine Übergangszeit aber noch beratend zur Seite stehen.
Zu den größten Herausforderungen als VRR-Chef zählt Lünser die Digitalisierung, neue Antriebstechniken für Schienenfahrzeuge und die Bezahlbarkeit des ÖPNV. Außerdem will Lünser mehr Fahrgäste in Busse und Bahnen locken. VRR-Vorstandsmitglied José Luis Castrillo wurde am Freitag für weitere fünf Jahre im Amt bestätigt.