Essen. . Beinahe jeder Sanitäter erlebte im letzten Jahr Gewalt. Zu dem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie der Ruhr-Uni Bochum.
„Wenn ich dich irgendwann mal ohne Uniform sehe, bist du tot!“ Solche und ähnliche Drohungen müssen sich fast alle Rettungskräfte im Einsatz anhören. In den letzten zwölf Monaten wurden 94 Prozent der Einsatzkräfte im Rettungsdienst und 42 Prozent der Feuerwehrleute im Brandeinsatz Opfer von Bedrohungen, Beschimpfungen oder gar von körperlicher Gewalt.
Zu diesem Ergebnis kommt der Abschlussbericht der Studie „Gewalt gegen Einsatzkräfte“ von Prof. Thomas Feltes und Marvin Weigert vom Lehrstuhl für Kriminologie der Ruhr-Uni Bochum, die im Auftrag der Landesregierung erstellt wurde. Das Team hat dafür 4500 Rettungskräfte in NRW befragt und rund 810 Antworten ausgewertet. Ein bedenkenswerter Befund: Rund 80 Prozent der angegriffenen Einsatzkräfte meldeten den Vorfall ihren Vorgesetzten nicht. Die Begründung: Das würde ja ohnehin nichts ändern.
Rettungskräfte: Respektlosigkeit nimmt zu
„Mal kommt plötzlich ein Tisch geflogen, mal zückt jemand ein Messer“, berichteten DRK-Sanitäter von ihren Erlebnissen. Rettungsgassen würden nicht geöffnet, Autofahrer, die sich behindert fühlten, zeigten den „Stinkefinger“. Besonders kritisch seien nächtliche Einsätze wegen „häuslicher Gewalt“, berichtet Stefanie Kutschker vom DRK-Landesverband Nordrhein.
„Sogar bei einer Wiederbelebungsaktion wurden die Sanitäter angepöbelt.“ Generell hätten die Rettungskräfte den Eindruck, dass die Respektlosigkeit zunehme. Aber zur Wahrheit gehöre auch, dass Notärzte und Sanitäter bei Großveranstaltungen oft sehr viel Zuspruch erhielten.
Die Studie unterscheidet zwischen verbaler Gewalt (Pöbelei), nonverbaler Gewalt (Vogel oder Mittelfinger zeigen) und körperlicher Gewalt (Schlagen, Schubsen, Spucken). Danach sind 13 Prozent der Einsatzkräfte in solcher Art angegriffen worden. Dabei gehen die Übergriffe meist von den Patienten selbst aus. „Es trifft die Einsatzkräfte auch persönlich, wenn sie im Notfall alles tun, um Kranken und Verletzten zu helfen und dann dabei Gewalt erleben“, sagt Studienautor Weigert.
Übergriffe geschehen vor allem in Großstädten
Zu Übergriffen kommt es laut der Studie vor allem in Großstädten. Die Täter sind fast immer junge Männer. In 40 Prozent der Fälle mit körperlicher Gewalt hatte der Täter nach Einschätzung der Retter einen Migrationshintergrund. Häufig sind Alkohol oder Drogen im Spiel.
Die Angriffe passierten meist ohne Vorwarnung. Deshalb müssten die Retter besser als bisher auf solche Situationen vorbereitet werden, betont Feltes. Zwar sei es zu begrüßen, wenn die Politik jetzt geeignete Präventionsmaßnahmen entwickle, von Schutzwesten, wie sie Innenminister Herbert Reul einführen will, halte er aber wenig. „Das lehnen die Rettungskräfte selbst ab.“