Bonn. In einem Moment, wo das Schicksal der SPD, der Kanzlerin und auch ein bisschen der Fortgang der Demokratie auf dem Spiel stehen, geht selbst ein Justizminister auf Nummer sicher. Jene Delegierten, die Koalitionsverhandlungen mit der Union wagen wollen, halten ihre roten Stimmkarten in die Höhe. Bei der Gegenprobe sind weniger Kärtchen zu sehen. Aber es sieht eng aus. Maas traut sich ein Ergebnis nicht zu. Er lässt die Stimmen auszählen. Das Ergebnis erfährt Martin Schulz vor allen anderen im Saal. Schatzmeister Dietmar Nietan, Mitglied der Zählkommission, geht zu ihm, raunt ihm das Resultat zu. Schulz, aufgeladen mit Adrenalin, sagt nichts.
In einem Moment, wo das Schicksal der SPD, der Kanzlerin und auch ein bisschen der Fortgang der Demokratie auf dem Spiel stehen, geht selbst ein Justizminister auf Nummer sicher. Jene Delegierten, die Koalitionsverhandlungen mit der Union wagen wollen, halten ihre roten Stimmkarten in die Höhe. Bei der Gegenprobe sind weniger Kärtchen zu sehen. Aber es sieht eng aus. Maas traut sich ein Ergebnis nicht zu. Er lässt die Stimmen auszählen. Das Ergebnis erfährt Martin Schulz vor allen anderen im Saal. Schatzmeister Dietmar Nietan, Mitglied der Zählkommission, geht zu ihm, raunt ihm das Resultat zu. Schulz, aufgeladen mit Adrenalin, sagt nichts.
Wenige Augenblicke später, um 16.29 Uhr, verkündet Maas offiziell, dass die SPD im Spiel um die Macht bleiben will – und Kanzlerin Angela Merkel, die in Berlin gebannt die Abstimmung verfolgt haben dürfte, weiter auf eine vierte Amtszeit mit stabiler Mehrheit hoffen kann. 362 Genossen wollen nach einem leidenschaftlichen, streckenweise dramatischen Parteitag einen Koalitionsvertrag mit der Union ausloten, 279 verweigern Schulz die GroKo-Gefolgschaft.
Nur wenig Applaus für die Rede des Vorsitzenden
Dass es so eine Zitterpartie wird, damit hatten sie in der SPD-Führung nicht gerechnet. Andrea Nahles ist aufgewühlt. Sie umarmt Schulz, rennt hin und her. Bei ihr kann sich Schulz bedanken. Mit einer Rede voller Leidenschaft und Kampfeslust – die Schulz in Bonn nicht zu halten vermochte – peitschte die Fraktionsvorsitzende den Parteitag Richtung GroKo. Bei einem Scheitern hätte Schulz’ Karriere in Trümmern gelegen – und die SPD wäre womöglich in eine existenzielle Krise geschlittert.
Um genau fünf vor zwölf beginnt Schulz die wichtigste Rede seiner Karriere. Das passt zur dramatischen Lage der SPD. Was hat der Vorsitzende in 58 Minuten an Argumenten zu bieten, die auf 20 Prozent dezimierte Sozialdemokratie in einer neuen großen Koalition erneuern zu können? Schulz ist der Druck anzumerken. Seit Tagen schleppt er eine Erkältung mit sich herum. Der 62-Jährige versucht, die Seele der Partei zu streicheln. Er lobt, wie fair Gegner und Befürworter der GroKo miteinander ringen. Diejenigen, die aber sagten, „egal, was wir erreichen können, wir gehen unter keinen Umständen in eine Regierung“, denen rufe er zu: „Das ist nicht meine Haltung und auch nicht mein Weg. Dafür bin ich nicht in die Politik gegangen!“
Solide arbeitet Schulz sein Pensum ab. Er preist die Erfolge aus den Sondierungen bei Krankenkassenbeiträgen, Pflege, Rente oder Soli-Abbau für kleine und mittlere Einkommen. Den Skeptikern verspricht er, bei der Härtefall-Regelung beim Familiennachzug für bestimmte Flüchtlinge werde die SPD noch mehr herausholen. Ebenso bei mehr Rechten für befristete Arbeitsverträge.
Stark ist er beim Kampf gegen Rechts. Viele in der SPD fürchten, ein neues Bündnis der Volksparteien werde die Ränder stärken, die AfD noch größer machen. Hinten rechts, wo viele Jusos sitzen, wird bei dieser These gejubelt. „Bei allem Respekt vor den Zweifeln, die viele von Euch haben, bitte ich Euch um Vertrauen“, fleht er beinahe um Zustimmung. Der Applaus setzt ein. Pflichtschuldig, müde. Noch nicht einmal 60 Sekunden danken die Delegierten ihrem Vorsitzenden. Vor zehn Monaten feierten sie ihn noch mit 100 Prozent. Jetzt ist er bei 56 Prozent angekommen.
Nach ihm müssen alle SPD-Promis ran. Olaf Scholz, Stephan Weil, sogar Ex-Parteichef Rudolf Scharping redet den Genossen ins Gewissen. Dann taucht der Rebell auf. Kevin Kühnert, der Gegenspieler von Schulz. Wie der erst 28 Jahre alte Politikstudent aus Berlin die vertrackte Lage analysiert, hat Klasse. Es lässt erahnen, dass dieser 1,70 Meter kleine Mann eine größere Karriere in der Politik vor sich haben könnte. „Unsere Leute haben gut verhandelt.“ Aber die Gemeinsamkeiten mit der Union seien nach acht GroKo-Jahren aufgebraucht. „Wo keine sind, kann ich keine aufschreiben.“ Kühnert traut sich, den Schlingerkurs von Schulz zu kritisieren. Die „wahnwitzigen Kehrtwenden“ hätten zu einem Vertrauensverlust geführt.
In Andrea Nahles brodelt es. Sie habe keine Angst vor Neuwahlen, sondern vor dem Zorn der Bürger, wenn die SPD sich verkrieche: „Die zeigen uns ‘nen Vogel“, ruft sie. „Wir werden verhandeln, bis es quietscht!“ Die Delegierten springen auf, wie befreit. „Nahles hat den Parteitag gedreht, Schulz gerettet“, sagt ein Genosse. Am Montagabend könnten Merkel, Schulz und Seehofer den Fahrplan für Koalitionsgespräche festlegen. Dann haben die 440 000 SPD-Mitglieder das letzte Wort – Ausgang offen.