Essen. . Das Projekt „Lehrkräfte plus“ bildet an den Unis Bochum und Bielefeld geflohene Pädagogen als Vertretungskräfte aus. Das Interesse ist groß.
Flüchtlingskinder stellen die Schulen vor große Herausforderungen. Zugleich sind viele Lehrerinnen und Lehrer aus ihrer Heimat geflohen und würden gerne wieder unterrichten. In NRW sind zudem die Lehrkräfte knapp – warum also nicht die Fähigkeiten dieser Pädagogen nutzen? Ein in Nordrhein-Westfalen bislang einzigartiges Projekt an den Universitäten in Bochum und Bielefeld gibt geflohenen Lehrern eine Chance.
„Ich denke, ich bin als Lehrerin geboren"
„Der Umgang mit den Kindern hat mir sehr gefehlt“, sagt Shogine Kamoyan (40) aus Armenien. Gemeinsam mit Marwa Sulaiman (29) aus Syrien hospitiert sie an einer Bielefelder Gesamtschule im Englisch- und Mathematikunterricht in einer 5. Klasse. „Ich denke, ich bin als Lehrerin geboren – ich muss wieder zurück zur Schule gehen“, sagt Kamoyan anschließend. Mehr als 18 Jahre lang hat sie als Englisch- und Spanischlehrerin gearbeitet, Marwa Sulaiman war in Syrien Englischlehrerin, beide sprechen fließend Deutsch. „Mit diesem Programm wird mein Traum in Erfüllung gehen, wieder als Lehrerin zu arbeiten“, meint Sulaiman. Im kommenden Jahr könnte es soweit sein.
Die beiden Frauen sind zwei von insgesamt 25 Teilnehmern eines Pilotprojekts in NRW, das auch bundesweit Vorbildcharakter hat. Das Programm „Lehrkräfte plus“, das nach dem Bielefelder Vorbild nun auch an der Ruhr-Universität Bochum startet, richtet sich an Flüchtlinge, die gut Deutsch sprechen und in ihrer Heimat als Lehrer gearbeitet haben. Nach einer einjährigen Vorbereitungsphase und intensiven Schulungen können sie als Vertretungslehrer an Haupt-, Real-, Sekundar- und Gesamtschulen arbeiten. Die Anforderungen sind streng: Die Bewerber müssen einen Lehramtsabschluss in einem der Mangelfächer in NRW besitzen, das sind Mathematik, Physik, Englisch, Französisch, Chemie und Sport. Außerdem sind zwei Jahre Berufserfahrung nötig sowie sehr gute Deutschkenntnisse (B 1-Niveau). Voraussetzung ist überdies eine „günstige Bleibeperspektive“ mit einer Aufenthaltsgenehmigung mindestens für die Dauer der Qualifikation.
Enormes Echo: 270 Bewerber
Das Angebot hat ein enormes Echo ausgelöst: 270 Bewerber sprachen in Bielefeld vor, nur 25 Plätze waren zu vergeben. Nun nehmen acht Frauen und 17 Männer aus Afghanistan, Armenien, Guinea, Irak, Pakistan und Syrien daran teil und beginnen bereits mit der praktischen Phase des Programms. Zuvor haben sie ein halbes Jahr lang Deutsch gebüffelt, bis sie den C 1-Standard erreichten – dieser berechtigt zu einem Studium. Besser ist nur noch C 2 – das Niveau von Muttersprachlern. Zudem lernten sie die Eigenheiten des deutschen Schulsystems kennen und wurden in modernen Lernmethoden wie Gruppenarbeit oder integrativen Unterricht eingewiesen. Denn aus ihren Heimatländern sind viele Lehrer eher den klassischen Frontalunterricht gewohnt.
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Während die angehenden Lehrer in Bielefeld bereits mit ihrer praktischen Arbeit in den Schulen beginnen, läuft in Bochum noch bis Ende Januar die Bewerbungsfrist. Auch die Ruhr-Uni registriert eine starke Nachfrage: „Wir bieten wie Bielefeld 25 Plätze und haben bereits jetzt mehr als 90 Bewerbungen“, sagt Projektleiterin Marie Vanderbeke. Sie erwartet, dass noch Dutzende folgen werden. Während der dreijährigen Laufzeit des Programms sind aber pro Uni nur 75 Plätze zu vergeben. „Das Projekt könnte deutlich ausgeweitet werden. Mehrere Hochschulen haben bereits bei uns angefragt und zeigen Interesse, ebenfalls ein solches Programm zu starten.“
Bei den Vorstellungsgesprächen hat Vanderbeke den Eindruck gewonnen, dass die Bewerber äußerst motiviert und engagiert sind, schließlich könnte „Lehrkräfte plus“ ihnen eine Zukunft in Deutschland eröffnen. „Wir haben viele sehr gute Bewerbungen, etwa aus Afghanistan, der Türkei und natürlich auch aus Syrien.“ Wie jene syrische Physiklehrerin, die bereits 15 Jahre Berufserfahrung vorweisen kann und ihren Sohn zum Vorgespräch mitbrachte. „Oft kommen ganze Familien“, erzählt Marie Vanderbeke. „Lehrkräfte plus“ könne zudem die Schulen durch zusätzliche Kräfte in den Mangelfächern entlasten. Und auch die Schüler mit Migrationshintergrund oder Fluchterfahrungen profitierten.
Zum Start des Programms hatte Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) die Initiative begrüßt, dies sei „ein Beitrag zu einer erfolgreichen Integration“. An eine Ausweitung des Programms sei derzeit aber nicht gedacht, zunächst soll das dreijährige Pilotvorhaben erfolgreich beendet werden, teilt das Schulministerium mit. Anschließend will das Land Gespräche über eine mögliche Fortsetzung des Programms führen.