. . Eine neue Biografie würdigt das Leben des heute zu Unrecht etwas in Vergessenheit geratenen Malers Georg Grosz.

1948 zieht George Grosz eine bedrückte Zwischenbilanz seines Lebens. Der Künstler, der seit 1932 in den USA lebt, habe es zu „einem kleinen Weltruhm“ gebracht, wie er in einem Brief festhält, doch die allgegenwärtige Sorge um die Finanzen lässt ihn nicht los. Ihm fehle „eine Handelsmannbegabung“, es gebe eine „mir unerklärliche discrepanz zwischen ,Namen‘ und meiner Unfaehigkeit Geld zu verdienen“. Mit 54 Jahren, so schreibt er, „bin ich ein failure“, also ein Versager.

George Grosz, 1893 in Berlin geboren und 1959 auch hier verstorben, ist nicht mehr angesagt. Das „Time“-Magazin kürt 1950 Jackson Pollock als „größten lebenden amerikanischen Künstler“, der totale Siegeszug der abstrakten Kunst bedeutet für Grosz, dass er nicht mehr an führender Stelle steht. Seine politische, aufwühlende, konfrontative Kunst, die gut 30 Jahre zuvor noch mit gleicher Aufmerksamkeit wertgeschätzt wurde wie gegenstandslose Kunst von Wassily Kandinsky und Robert Delaunay, ist nun gestrig. Das angestaubte Image hat seinen Preis: Bei Auktionen wechseln im Nachkriegsdeutschland seine Ölbilder für 100 bis 200 D-Mark den Besitzer.

Er entdeckte zum richtigen Zeitpunkt den Dadaismus für sich

In Michel Houellebecqs Künstlerroman „Karte und Gebiet“ ist es der Protagonist Jed Martin, „der, wie die Kommentatoren der Tour de France es ausdrücken, ,vom Feld geschluckt‘“ wurde, in Alexander Kluys Biografie „König ohne Land“ ist es George Grosz, der mit seiner Auswanderung in die USA beginnend einen stetigen Kampf gegen die – gefühlt – abnehmende Bedeutung führt. „Müde“ sei er „eines mir sinnlos erscheinenden Marktgetriebes“, schreibt er in einem Brief Ende der 30er-Jahre. Von diesem von der Vergänglichkeit der eigenen Bedeutung umwehten Ton ist auch seine Biografie „Ein kleines Ja und ein großes Nein“, erstmals 1946 in New York erschienen und vor einigen Jahren im Schöffling Verlag wieder aufgelegt, durchzogen.

George Grosz übersah, wie ungewöhnlich lange er zur Avantgarde zählte. Er prägte die Neue Sachlichkeit und entdeckte zum richtigen Zeitpunkt den Dadaismus für sich – und verabschiedete sich auch zur rechten Zeit. Er gab „der herrschenden Klasse der Weimarer Republik erst das wahre Gesicht“, wie Alexander Kluy richtig vermerkt.

Grosz’ immer wiederkehrende Motive sind preußische Offiziere, Kapitalisten, Geistliche, Kriminelle, Proletarier und Huren. In den Jahren rund um den Ersten Weltkrieg verabscheut er Menschen im Allgemeinen und Deutsche im Besonderen – „die hässliche Erscheinung der Deutschen“, wie er 1916 in einem Brief festhält. Wenige Jahre später bezeichnet er sich als „richtig misanthropischen und skeptischen Individualisten“. Festzuhalten ist aber auch, dass er durchaus feierfreudig, gesellig und trinkfest ist.

Er absolviert die Kunsthochschule in Dresden, seine Kindheit verbringt er mal im pommerischen Stolp, mal in Berlin. 1912 in Berlin zieht er mit einem Studienfreund nach Südende. Seine Kleidung ist extravagant, in der Öffentlichkeit wandelt er in einer Mischung aus Dandy und Rampensau, doch ist er auch ein fleißiger Arbeiter. Tag für Tag arbeitet er Blatt für Blatt, er verdient sein erstes Geld, indem er Zeichnungen an die Redaktionen verkauft, später gründet er Zeitschriften mit so schönen Namen wie „Die Pleite“, „Jedermann sein eigener Fußball“ oder „Der blutige Ernst“. Er schreibt Gedichte, malt Porträts und fängt die Hektik des Lebens in Berlin ein.

Ein Verdienst von Kluys Biografie ist, dass er Grosz’ Leben in die Fiebrigkeit und das Tempo der Jahre einbettet. George Grosz staunt über seine Mitmenschen, er verachtet sie und kommt nicht los davon, ihr Wesen zu studieren und abzubilden. Das Aperçu Toni Morrisons, wonach „die beste Kunst politisch ist“, impliziert, dass jede Kunst den politischen Erregungslevel einer Gesellschaft abbildet. Die Zeiten sind damals hochpolitisch, der Kommunismus ist unerprobt und noch ein Versprechen. Und George Grosz ist der richtige Maler zur richtigen Zeit.

Von 1918 bis 1925 ist Grosz Mitglied der Kommunistischen Partei. Im Nachhinein ist ihm das Bekenntnis zur Linken unangenehm: „Ich hielt Reden, nicht aus irgendeiner Überzeugung, sondern weil überall zu jeder Tageszeit Streitende herumstanden und ich aus meinen bisherigen Erfahrungen noch nichts gelernt hatte. Meine Reden waren ein dummes, nachgeplappertes Aufklärungsgeschwätz“, schreibt er in seiner Autobiografie. Auch Alexander Kluy umschifft die Mitgliedschaft mit wenigen Worten und speichert sie unter späte Jugendsünde ab. Reflektierter sind die Überlegungen des Nobelpreisträgers Mario Vargas Llosa in seinem Essayband „Touchstones: Essays on Literature, Art, and Politics“, der sich überraschenderweise nicht in Kluys überbordendem Literaturverzeichnis wiederfindet. Vargas Llosa beschreibt George Grosz’ Abscheu vor dem Regime, seinen Hass auf die Herrschenden. Doch auch den Proletariern vertraute er nicht, und mit der Vision einer klassenlosen Gesellschaft brauchte man ihm nicht zu kommen. Er hatte eine tief sitzende Abneigung gegen Anordnungen, Hierarchie und Disziplin, die bestens korrespondierte mit seinem „nicht zu unterdrückenden Wunsch zu provozieren“.

Alexander Kluys Biografie würdigt Grosz’ Leben und Verdienste mit viel Sympathie, ohne die Distanz zu verlieren. Einige Mängel sind unübersehbar: Die Einleitung ist verpatzt, endlose Zitate werden zusammengebunden, in seinem Bemühen, George Grosz zu würdigen, reiht der Autor Floskeln aneinander (ein Entertainer und Clown, ein Seiltänzer und Charmeur, ein Rollenspieler und Rollensucher). Die Sprache ist zuweilen ungelenk, gerade die Verbbildung bereitet Mühe: Depressionen, unter denen Grosz leidet, werden nicht „beschert“, Sätze bleiben immer wieder unverständlich: „Die Wochen kasernierter Unfreiheit führen zu anklagenden Zeichnungen, die physisches Elend und seelische Not ausdrücken und elementare Triebe, deren Fesseln in Grenzsituationen durchschlagen werden.“

Größte Schwachstelle ist, dass der Autor es auf 380 Seiten nicht versteht, George Grosz kunstgeschichtlich einzuordnen. Der Beginn der 20. Jahrhunderts war Startschuss für eine künstlerisch ungemein produktive, 30 Jahre währende Zeit. Dass George Grosz in einen Kontext mit damals gegenwärtigen, aber für ihn fernen Kunsterscheinungen wie Suprematismus, Bauhaus, Readymades gesetzt wird, dieses Wissen setzt man einfach voraus. So bleibt das Buch seltsam positionslos. Was bleibt, ist Anregung und Ansporn, sich mit einem Künstler zu beschäftigen, der in seinen besten Momenten ein Inferno des Weltenlaufs aufzeigte, vor dem Brueghel und Hieronymus Bosch 500 Jahre zuvor gewarnt hatten.