Berlin. CSU-Mann Alexander Dobrindt will den 68er-Aufbruch zurückdrehen. Doch wofür steht 1968 in der deutschen Geschichte? Ein Rückblick.

„Wir müssen 1968 hinter uns lassen“, fordert der Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Dobrindt. In einem Beitrag für die „Welt“ (Bezahlinhalt) mahnt er eine „konservative Revolution“ an, die sich auch gegen die Ideale und Errungenschaften der 68er-Bewegung richtet. In einem viel diskutierten Auftritt im

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wiederholte er seine Thesen.

Doch worin besteht das Erbe jenes Jahres, das vor nunmehr einem halben Jahrhundert den Beginn eines grundlegenden gesellschaftlichen Wandels in der alten Bundespublik markierte? Ein Überblick.

• Die Gesellschaft im Jahr 1968

Die umstrittenen Notstandsgesetze zur Einschränkung bestimmter Bürgerrechte; das Fehlen einer starken Opposition im Bundestag, wo die erste große Koalition regierte; die sehr zögerliche Aufarbeitung der NS-Zeit; Alt-Nazis an hohen Stellen in Politik und Verwaltung; der Vietnamkrieg der USA; eine in Konventionen erstarrte Gesellschaft – all diese Faktoren bildeten die Grundlage für den Wandel, der sich schon seit einigen Jahren abzeichnete, aber 1968 an Dynamik gewann.

Die Köpfe der 68er-Bewegung

Rudi Dutschke: Der Studentenführer galt als Kopf der außerparlamentarischen Opposition, die mit radikal-sozialistischen Ideen etwa gegen Vietnamkrieg, Nato und Notstandsgesetze kämpfte. Wir zeigen in dieser Fotostrecke die Symbolfiguren der 68er-Bewegung.
Rudi Dutschke: Der Studentenführer galt als Kopf der außerparlamentarischen Opposition, die mit radikal-sozialistischen Ideen etwa gegen Vietnamkrieg, Nato und Notstandsgesetze kämpfte. Wir zeigen in dieser Fotostrecke die Symbolfiguren der 68er-Bewegung. © dpa | Hemann
Am 11. April 1968 schoss in Berlin ein Rechtsextremer Rudi Dutschke in den Kopf. Es folgten die bis dahin schwersten Krawalle in der Bundesrepublik. Dutschke überlebte, litt aber danach an Epilepsie. Er starb 1979.
Am 11. April 1968 schoss in Berlin ein Rechtsextremer Rudi Dutschke in den Kopf. Es folgten die bis dahin schwersten Krawalle in der Bundesrepublik. Dutschke überlebte, litt aber danach an Epilepsie. Er starb 1979. © imago stock&people | imago stock&people
Daniel Cohn-Bendit: Wegen seiner führenden Rolle bei den Pariser Unruhen 1968 verwies Frankreich den Sohn eines vor den Nazis geflohenen deutsch-jüdischen Anwalts und einer Französin des Landes, erst Jahre später wurde das Einreiseverbot aufgehoben.
Daniel Cohn-Bendit: Wegen seiner führenden Rolle bei den Pariser Unruhen 1968 verwies Frankreich den Sohn eines vor den Nazis geflohenen deutsch-jüdischen Anwalts und einer Französin des Landes, erst Jahre später wurde das Einreiseverbot aufgehoben. © dpa | Manfred Rehm
Von 1994 bis 2014 saß der „rote Dany“ für die Grünen im EU-Parlament. 2015 erhielt er neben der deutschen die französische Staatsbürgerschaft.
Von 1994 bis 2014 saß der „rote Dany“ für die Grünen im EU-Parlament. 2015 erhielt er neben der deutschen die französische Staatsbürgerschaft. © picture-alliance / Sven Simon | dpa Picture-Alliance / SVEN SIMON
Uschi Obermaier: Sie war das schöne Gesicht der 68er und der Schwarm einer ganzen Generation. Obermaier wurde zur Sex-Ikone, ließ sich auf Drogen und Rockstars wie Mick Jagger, Keith Richards und Jimi Hendrix ein. Das Fotomodel lebte damals in der „Kommune 1“, war aber - wie sie später selbst sagte - nicht politisch.
Uschi Obermaier: Sie war das schöne Gesicht der 68er und der Schwarm einer ganzen Generation. Obermaier wurde zur Sex-Ikone, ließ sich auf Drogen und Rockstars wie Mick Jagger, Keith Richards und Jimi Hendrix ein. Das Fotomodel lebte damals in der „Kommune 1“, war aber - wie sie später selbst sagte - nicht politisch. © dpa | dpa
Heute arbeitet das Ex-Model als Schmuckdesignerin in Kalifornien.
Heute arbeitet das Ex-Model als Schmuckdesignerin in Kalifornien. © picture alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / Uschi Obermaier
Rainer Langhans: Er war einer der Gründer der „Kommune 1“ in Berlin. In der Wohngemeinschaft wurde diskutiert, gefeiert und geliebt – ein Gegenentwurf zur bürgerlichen Kleinfamilie.
Rainer Langhans: Er war einer der Gründer der „Kommune 1“ in Berlin. In der Wohngemeinschaft wurde diskutiert, gefeiert und geliebt – ein Gegenentwurf zur bürgerlichen Kleinfamilie. © picture alliance/ASSOCIATED PRESS | AP Content
Später zog Langhans nach München und lebte dort mit mehreren Frauen in einer lockeren Lebensgemeinschaft. 2011 zog der heute 77-Jährige am RTL-„Dschungelcamp“. Dieses Foto zeigt Rainer Langhans und Uschi Obermaier gemeinsam beim Essen in einem Restaurant in München im Jahr 1969.
Später zog Langhans nach München und lebte dort mit mehreren Frauen in einer lockeren Lebensgemeinschaft. 2011 zog der heute 77-Jährige am RTL-„Dschungelcamp“. Dieses Foto zeigt Rainer Langhans und Uschi Obermaier gemeinsam beim Essen in einem Restaurant in München im Jahr 1969. © picture alliance / Keystone / Ke | dpa Picture-Alliance / Keystone /
Benno Ohnesorg: Die Schüsse, mit denen der Westberliner Polizist Karl-Heinz Kurras den Studenten am 2. Juni 1967 während der Proteste gegen den Schah von Persien tötete, veränderten die Republik. Zum Symbol wurde das Foto des sterbenden Ohnesorg. In der Folge kam es zu landesweiten Demonstrationen. Später benannte sich die linksterroristische „Bewegung 2. Juni“ nach Ohnesorgs Todesdatum.
Benno Ohnesorg: Die Schüsse, mit denen der Westberliner Polizist Karl-Heinz Kurras den Studenten am 2. Juni 1967 während der Proteste gegen den Schah von Persien tötete, veränderten die Republik. Zum Symbol wurde das Foto des sterbenden Ohnesorg. In der Folge kam es zu landesweiten Demonstrationen. Später benannte sich die linksterroristische „Bewegung 2. Juni“ nach Ohnesorgs Todesdatum. © dpa | Joachim Barfknecht
Fritz Teufel: Das „Kommune-1“-Gründungsmitglied sorgte durch spektakuläre Aktionen wie das „Torten-Attentat“ auf US-Vizepräsident Hubert Humphrey für Schlagzeilen. Später radikalisierte er sich und musste in Haft, zog sich danach vom Protest zurück. Nach seinem Tod machte Teufel noch einmal Schlagzeilen: 2010 verschwand seine Urne und tauchte an Rudi Dutschkes Grab wieder auf.
Fritz Teufel: Das „Kommune-1“-Gründungsmitglied sorgte durch spektakuläre Aktionen wie das „Torten-Attentat“ auf US-Vizepräsident Hubert Humphrey für Schlagzeilen. Später radikalisierte er sich und musste in Haft, zog sich danach vom Protest zurück. Nach seinem Tod machte Teufel noch einmal Schlagzeilen: 2010 verschwand seine Urne und tauchte an Rudi Dutschkes Grab wieder auf. © dpa | Roland Witschel
Beate Klarsfeld: Auf einem CDU-Parteitag 1968 in Berlin ohrfeigt die aus Berlin stammende Französin Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) aus Protest gegen dessen NS-Vergangenheit. Es war eine Abrechnung mit dem „Schweigen der Väter“.
Beate Klarsfeld: Auf einem CDU-Parteitag 1968 in Berlin ohrfeigt die aus Berlin stammende Französin Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) aus Protest gegen dessen NS-Vergangenheit. Es war eine Abrechnung mit dem „Schweigen der Väter“. © picture-alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / dpa
Mit ihrem Mann Serge spürte die Journalistin später untergetauchte Nazis auf.
Mit ihrem Mann Serge spürte die Journalistin später untergetauchte Nazis auf. © dpa | Roland Scheidemann
2012 ging Klarsfeld für die Partei Die Linke ins Rennen um das Amt des Bundespräsidenten, scheiterte aber.
2012 ging Klarsfeld für die Partei Die Linke ins Rennen um das Amt des Bundespräsidenten, scheiterte aber. © © epd-bild / Rolf Zöllner | Rolf Zöllner
Hans Magnus Enzensberger: Als einer der führenden Denker der Autorenvereinigung „Gruppe 47“ war das von ihm herausgegebene „Kursbuch“ ein Leitmedium der Studentenbewegung. Enzensberger selbst war kein Vorkämpfer, aber doch dicht dran: Während er auf Reisen war, zog 1967 kurzzeitig die „Kommune 1“ in seine Berliner Villa. Seine Stimme hat bis heute Gewicht.
Hans Magnus Enzensberger: Als einer der führenden Denker der Autorenvereinigung „Gruppe 47“ war das von ihm herausgegebene „Kursbuch“ ein Leitmedium der Studentenbewegung. Enzensberger selbst war kein Vorkämpfer, aber doch dicht dran: Während er auf Reisen war, zog 1967 kurzzeitig die „Kommune 1“ in seine Berliner Villa. Seine Stimme hat bis heute Gewicht. © dpa | Manfred Rehm
Herbert Marcuse: Für die Studentenbewegung war er so etwas wie ein „Philosoph zum Anfassen“. Eines seiner Schlagworte: „Befreiung“.
Herbert Marcuse: Für die Studentenbewegung war er so etwas wie ein „Philosoph zum Anfassen“. Eines seiner Schlagworte: „Befreiung“. © dpa | DB
Marcuse war einer der herausragenden Vertreter der Frankfurter Schule, der auch Theodor W. Adorno und Max Horkheimer angehören. Mit der Machtübernahme Hitlers verließ er Deutschland Richtung USA. Seine Analysen der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft gehören zu den Standardwerken der 68er.
Marcuse war einer der herausragenden Vertreter der Frankfurter Schule, der auch Theodor W. Adorno und Max Horkheimer angehören. Mit der Machtübernahme Hitlers verließ er Deutschland Richtung USA. Seine Analysen der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft gehören zu den Standardwerken der 68er. © picture alliance / Everett Colle | dpa Picture-Alliance /
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Fritz Teufel, Mitglied der legendären „Kommune I“, verkündete: „Man muss die Gesellschaft ändern, um sich selbst ändern zu können. Man muss sich selbst ändern, um die Gesellschaft ändern zu können.“

• Die Studentenrevolte

Der Protest gegen den Vietnamkrieg der USA war fester Bestandteil der Studentenbewegung.
Der Protest gegen den Vietnamkrieg der USA war fester Bestandteil der Studentenbewegung. © dpa | UPI

Die Universitäten wurden zu einer Keimzelle der 68er-Bewegung. Die Parole „Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren“ wurde zum Motto der Studentenrevolte, die sich gegen die verkrusteten Strukturen in den Hochschulen, aber auch in der Gesellschaft insgesamt richtete. Das Zentrum dieser „Außerparlamentarischen Opposition“ (APO) Bewegung war West-Berlin. Mehr Demokratie und mehr Mitspracherechte, so lauteten die Forderungen. Alles wurde politisiert, links war Trumpf.

„Für die meisten Beteiligten war der Protest mehr Lebensgefühl als Ergebnis theoretischer Analyse“, sagt der Hamburger Zeitgeschichtler Axel Schild. „Aber deshalb war er noch lange nicht unpolitisch, sondern umschloss durchaus Utopien einer radikalen Gesellschaftsveränderung.“ Dass 1969 die jahrzehntelange Regierungszeit der Union endete und mit Willy Brandt erstmals ein Sozialdemokrat Bundeskanzler wurde – ohne die APO wäre dies kaum denkbar gewesen.

• Lange Haare, laute Musik, Drogen

Die Beatles exportierten aus Liverpool nicht nur ihre Musik, sondern auch die lässig-langen Haare in die Welt der westlichen Jugend. Man träumte vor dem heimischen Plattenspieler von Swinging London, trampte ans Mittelmeer, rauchte Haschisch. Historiker sprechen heute vom Entstehen einer „Gegenkultur“, die sich auch als Auflehnung gegen Elternhaus und Autoritäten verstand. Widersprüche nahm man gelassen hin: Auf dem Bundeswehrparka klebte der „Make love, not War“-Sticker. Man wetterte gegen den Konsumterror – und sparte eifrig auf die neue Stereoanlage.

„Der Wunsch nach Selbstverwirklichung und Teilhabe überlagerte traditionelle Normen wie Ordnung und Subordination“, analysiert der Historiker Detlef Siegfried. „Nicht mehr Aufsparen für ein erhofftes Glück im Erwachsenenalter bildete das Leitbild, sondern – von der Werbung nach Kräften forciert – Lebensgenuss hier und jetzt.“ Und die Eltern schauten ratlos zu.

• Die sexuelle Revolution

Symbolfigur der freien Liebe: Fotomodell Uschi Obermaier.
Symbolfigur der freien Liebe: Fotomodell Uschi Obermaier. © dpa | dpa

Die Bundesrepublik in den 50er- und frühen 60er-Jahren – das war eine verklemmte Republik. Sex fand im Dunkeln und unter der Bettdecke statt. Ein erster Bruch erfolgte 1961, als die Anti-Baby-Pille auf den Markt kam. Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche ging zurück, Frauen begannen ihre sexuellen Bedürfnisse sorgenfrei auszuleben.

Jugendliche demonstrierten für „Liebeszimmer“ in den Schulen, freie Pillenverteilung und Nacktheit und Sex auf Ferienreisen. „Asexuelles Miteinander ist lebensfeindlich“ war eine Parole der Ära. Rainer Langhans und Uschi Obermaier lebten in der „Kommune 1“ vor, wie freie Liebe geht. Die ersten Nackedei-Filmchen kamen in die Kinos.

Als im Mai 1969 schließlich der Bundestag die Strafbarkeit homosexueller Handlungen aufhob, erlebte auch die Schwulen- und Lesbenbewegung einen enormen Aufschwung.

In welchem Land werden die meisten Pornos geguckt?

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    • Die neue Frauenbewegung

    Anti-Baby-Pille, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, Abschaffung des Abtreibungsparagrafen 218 – die Forderungen der 68er-Frauenbewegung waren vielfältig. Der BH galt als Symbol der patriarchalen Unterdrückung und gehörte öffentlich verbrannt. Die Berufstätigkeit von Frauen war in den 60er-Jahren in der kollektiven Wahrnehmung etwas, das sich nicht gehörte und die altbewährte Geschlechterordnung durcheinander brachte. Damit sollte nun Schluss sein. Die feministische Bewegung der Siebziger – sie nahm 1968 ihren Anfang.

    Der Minirock wurde zum Modehit und zugleich zum Zeichen des neuen weiblichen Selbstbewusstseins. Es entstand das Schlagwort „Emanzipation“, in Uni-Städten entstanden sogenannte Frauen- und Weiberräte. Allerdings: In der 68er-Bewegung selbst hatten es die neuen Frauenrechtlerinnen schwer. Die Sozialgeschichtlerin Kristina Schulz schreibt: „Während die männlichen Aktivisten demonstrierten, diskutierten und repräsentierten, blieben an den Frauen die Zuarbeiten hängen.“