Berlin. Kritiker des strikten deutschen Kurses sehen sich von einem Urteil zugunsten eines jungen Syrers bestätigt. Was würde die GroKo tun?
Ein Urteil zugunsten des Nachzugs der Familie eines 16-Jährigen Syrers nach Deutschland lässt die Debatte über die Flüchtlingspolitik zu Weihnachten wieder aufflammen. Das Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts ist nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios am Freitag rechtskräftig geworden. Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) begrüßte das Urteil.
Demnach forderte das Gericht das Auswärtige Amt auf, dem Flüchtling mit einer schweren Traumatisierung aus Gründen des Kindeswohls den Nachzug von Eltern und Geschwistern zu ermöglichen. Dem Jugendlichen war nur subsidiärer, also eingeschränkter Schutz zuerkannt worden. Das Auswärtige Amt zog eine Berufung zurück.
Pro Asyl hält Trennung von Familien für grundgesetzwidrig
Für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutz ist der Familiennachzug bis März ausgesetzt. Die Aussetzung ist umstritten. Der Streit dürfte auch die Sondierungen von Union und SPD erschweren. Die Union beharrt auf einer weiteren Aussetzung, die SPD will sie beenden.
Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl wertete den Berliner Fall als richtungsweisend. „Das Urteil hat grundsätzliche Bedeutung über den Einzelfall hinaus“, sagte Geschäftsführer Günter Burkhardt der Deutschen Presse-Agentur. „Wir halten die Trennung der Familien für grundgesetzwidrig und integrationsfeindlich.“
Der Jugendliche war 2015 mit einem Cousin ins Land gekommen. Wegen seiner Traumatisierung wollte sein Vormund Thomas Henke laut ARD mehrfach eine Härtefallentscheidung erwirken. Er sei vom Auswärtigen Amt abgewiesen worden. Henke sagte der ARD: „Dass es jetzt so kurz vor Weihnachten geklappt hat, ist einfach unvorstellbar schön.“
CDU-Vize Strobl fordert härteren Kurs in der Migrationspolitik
Gabriel sagte der „Tagesschau“: „Wir haben als Sozialdemokraten immer gesagt, dass die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen von besonderer Bedeutung ist – wie wir überhaupt wissen, dass es natürlich schlecht ist, wenn Minderjährige hier ohne Eltern sind.“ Union und Innenministerium hätten oft eine andere Auffassung vertreten. „Dass wir jetzt Klarheit bekommen, ist eine gute Geschichte.“
Der CDU-Vizevorsitzende Thomas Strobl dringt auf eine drastischere Begrenzung des Flüchtlingszuzugs als bislang von der Union verlangt. „Ich mache mich dafür stark, dass wir wieder normale Zuzugszahlen bekommen – dabei denke ich gar nicht an die viel diskutierten 200.000 pro Jahr“, sagte Baden-Württembergs Innenminister der „Heilbronner Stimme“ (Samstag).
Das Ziel sollte eher die Zahl aus dem Jahr 2012 sein. „Damals kamen rund 65.000 Flüchtlinge. Diese Zahl hat uns nicht an Belastungsgrenzen gebracht und wurde von der Öffentlichkeit akzeptiert.“ CDU und CSU hatten sich im Oktober darauf geeinigt, dass maximal 200.000 Flüchtlinge im Jahr aufgenommen werden sollen.
207.157 Asylanträge von Januar bis November
In den ersten elf Monaten dieses Jahres gingen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) 207.157 Asylanträge ein.
Strobl forderte, dass der Bundestag die Aussetzung des Familiennachzug für subsidiär Geschützte rasch verlängern müsse. Andernfalls gebe es ab April 2018 wieder höhere Zugangszahlen. Burkhardt hielt dem entgegen, die Zahlen durch eine Wiederaufnahme des Familiennachzugs dürften überschaubar bleiben.
Das Thema spielt auch bei den Kirchen an Weihnachten eine Rolle. Die Hamburger und Lübecker Bischöfin Kirsten Fehrs rief die Politik dazu auf, den Familiennachzug wieder zu ermöglichen. Zugleich sprach sie sich gegen die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber in unsichere Herkunftsländer aus. Zur Empathie des Weihnachtsfestes gehöre auch die Botschaft: „Dass Menschen nicht in ein Land abgeschoben werden dürfen, das nicht sicher ist. Dass Familiennachzug möglich ist.“
Für Aufsehen sorgte die Diakonie Hessen und die Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau: Postkarten zeigen Krippenmotive, bei denen einzelne Figuren der „Heiligen Familie“ fehlen. Hingewiesen werden solle so auf die „dramatische Situation vieler Geflüchteter“, die teils über Jahre von ihren Angehörigen getrennt bleiben müssen. (dpa)