An Rhein und Ruhr. . Die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor fordert die muslimischen Gemeinden auf, Stellung gegen Judenfeindlichkeit zu beziehen.

Am Donnerstag sollte auf dem Synagogenfest in Mülheim das jüdische Lichterfest Chanukka stattfinden. Die jüdische Gemeinde hat die Veranstaltung aber abgesagt. Offiziell aus organisatorischen Gründen, tatsächlich aber wohl aus Sicherheitsbedenken. Nachdem die US-Regierung Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt hatte, kam es zu Protesten, bei denen offener Judenhass muslimischer Demonstranten zu Tage trat. Die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor zeigt sich im NRZ-Interview besorgt und wütend über die Entwicklung.


Frau Kaddor, die jüdische Gemeinde hat das Chanukka-Fest in Mülheim abgesagt. Hintergrund sollen Sicherheitsbedenken sein. Wie beurteilen Sie diese Absage?

Lamya Kaddor: Das ist ein Skandal, dass die Gemeinde im Deutschland des 21. Jahrhunderts gezwungen ist, aus Sicherheitsgründen eines ihrer wichtigsten Feste nicht öffentlich begehen zu können. Persönlich macht mich das sehr traurig. Deutschland darf so etwas nicht zulassen.


In Berlin haben muslimische Jugendliche israelische Fahnen verbrannt. Was haben Sie angesichts dieser Bilder gedacht?

Kaddor: Ich war wütend. Darüber, dass der Nahost-Konflikt wieder einmal auf unseren Straßen ausgetragen wird, und über die Heuchelei dieser Demonstranten. Auf der einen Seite beschweren sich Muslime über die zunehmende Islamfeindlichkeit in Deutschland. Auf der anderen Seite wenden manche Muslime den gleichen menschenfeindlichen Mechanismus auf eine andere Gruppe an. Gegen Islamismus aber auch gegen Islamfeindlichkeit, Rassismus tun sich Muslime schwer, auf die Straße zu gehen, gegen Israel nicht. Das ist ernüchternd.


Ist der Antisemitismus unter Muslimen nicht ernst genug genommen worden?

Kaddor: Das würde ich so nicht sehen. Ich glaube, die Größe des Phänomens Antisemitismus wurde generell nicht ausreichend beachtet. Bis zu einem Drittel der Menschen in Deutschland haben trotz der schlimmen Erfahrungen in der Vergangenheit immer noch antisemitische Einstellungen. Muslime sind davon eine Teilgruppe. Antisemitismus ist ein gewaltiges Problem, das gemeinsam angegangen werden muss.

Vergrößert sich dieses Problem durch die Zuwanderung aus arabischen Ländern?

Kaddor: Ja, viele dieser Zuwanderer bringen ein problematisches Bild von Juden und von Israel mit. Syrien befindet sich seit Jahrzehnten offiziell im Kriegszustand mit Israel. Die Gegnerschaft zu Israel gehörte quasi zur syrischen Staatsräson. Syrien ist seit Jahrzehnten eine knallharte Diktatur und die Menschen dort von der Staatspropaganda geprägt. Ich weiß nicht, ob man ihnen das vorwerfen kann. Aber man muss natürlich trotzdem genau hinschauen.


Hinschauen ist das eine, handeln das andere. Wie kriegt man den Antisemitismus aus den Köpfen?

Kaddor: Wir brauchen generell viel mehr politische Bildung, Demokratieerziehung. Man kann menschenverachtende Ideologien allerdings nicht gänzlich auslöschen. Es wird immer ein Bodensatz an Antisemitismus, Islamismus oder Islamfeindlichkeit da sein. Aber man kann sie eindämmen. Man sollte sich beispielsweise überlegen, die Aufklärung über Antisemitismus, das Verhältnis zwischen Deutschland und Israel, die deutsche Geschichte und den Nahostkonflikt als wesentliche Bestandteile in Integrationskurse einzubauen.


Wie erklären Sie sich den Antisemitismus unter muslimischen Jugendlichen mit Migrationshintergrund?

Kaddor: Oft spielt die Frage der Identität hier eine wichtige Rolle. Dass Israel noch als identitätsstiftendes Feindbild taugt, obwohl schon manche Eltern dieser Jugendlichen hier geboren wurden, ist ein Zeichen dafür, dass integrationspolitisch etwas falsch gelaufen ist. Rassismus und Ausgrenzung sind viel zu lange totgeschwiegen worden. Jetzt erleben wir ganz unterschiedliche Formen davon.


Müssen die Muslime nicht auch selbst gegen Antisemitismus aktiv werden?

Kaddor: Ja, unbedingt. Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden, hat immer wieder deutlich Stellung bezogen, wenn es zu islamfeindlichen Übergriffen gekommen ist. Ich frage mich, warum man das andersherum nicht schafft. Bis heute vermisse ich eine klare und eindeutig vernehmbare Verurteilung der antisemitischen Vorfälle durch die großen Islamverbände. Und selbst das kann dann nur der Anfang sein. Diese gegenwärtige Nichthaltung können wir uns nicht leisten. Wir müssen klare Kante zeigen gegen Antisemitismus.


Sie führen derzeit ein Projekt gegen Antisemitismus durch.

Kaddor: Richtig, das ist ein auf ein Jahr angelegtes Projekt an einem Gymnasium in Duisburg, das sich an muslimische Jugendliche richtet.

Wie sind Ihre Erfahrungen?

Kaddor: Viele Jugendliche haben tief sitzende Ressentiments, die allerdings vielfach unreflektiert sind. Es sind zumeist keine eingefleischten Judenhasser, sondern sie plappern Dinge nach, weil sie sich dann „cool“ finden. Wenn man sich vernünftig auf sie einlässt, bestehen durchaus Chancen, an dieser Haltung etwas zu ändern.