Berlin/Tunis. Die Entscheidung von US-Präsident Trump, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen, löst Unruhen aus – nicht nur im Westjordanland.
Egal ob Riad, Kairo, Damaskus oder Beirut: In der arabischen Welt hat die Jerusalem-Entscheidung von US-Präsident Donald Trump eine Welle der Entrüstung ausgelöst. Die radikalislamische Palästinensergruppe
Auch interessant
Die Palästinenser sollten den Aufstand ins Herz des „zionistischen Feindes“ tragen, forderte Hamas-Anführer Ismail Hanijeh am Donnerstag im Gazastreifen. Er rief für diesen Freitag zu Protesten und einem „Tag des Zorns“ auf. Zudem hatten die Palästinenser am Morgen einen Generalstreik begonnen.
Gewalt zwischen Palästinensern und israelischen Soldaten
Die Hamas kontrollierte in den vergangenen Jahren den Gazastreifen und schloss erst im Oktober ein Versöhnungsabkommen mit der Fatah, die im Westjordanland die Oberhand hat. Hunderte von Palästinensern lieferten sich am Donnerstag gewaltsame Auseinandersetzungen mit israelischen Soldaten. Dabei wurden mindestens ein Dutzend Palästinenser im Westjordanland verletzt, wie das palästinensische Gesundheitsministerium mitteilte.
Vier seien bei Ramallah und fünf nahe Bethlehem von Geschossen mit Hartgummimantel getroffen worden. Die Armee habe auch Tränengas eingesetzt. Eine israelische Armeesprecherin sagte, auch in Hebron sei es zu Unruhen gekommen. Nach Medienberichten warfen die Demonstranten Steine auf israelische Soldaten und setzten Autoreifen in Brand.
Donald Trump schoss alle Warnungen in den Wind
Trump hatte sich am Mittwoch über alle Warnungen der internationalen Gemeinschaft hinweggesetzt und
Auch interessant
Darüber hinaus soll die amerikanische Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verlegt werden.
Auch interessant
Begründung: Der Status Jerusalems solle erst zum Abschluss von Friedensverhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern festgelegt werden. Sämtliche US-Regierungen hielten sich an diese Linie, auch wenn der amerikanische Kongress 1995 einen Umzug der US-Botschaft nach Jerusalem beschlossen hatte. Umgesetzt wurde dieser Schritt aber nie.
Libanesische Zeitung titelte: „Tod für Amerika“
In der jordanischen Hauptstadt Amman kam es in Bezirken, in denen palästinensische Flüchtlinge wohnen, zu Demonstrationen. Hunderte Jugendliche riefen: „Nieder mit Amerika. Amerika ist die Mutter des Terrorismus.“ Auch vor dem US-Konsulat in Istanbul versammelten sich mehrere Hundert Demonstranten. Im Libanon titelte die Hisbollah-nahe Zeitung „Al-Achbar“: „Tod für Amerika.“
Saudi-Arabien, ein enger Verbündeter der USA in der Region, bezeichnete Trumps Entscheidung als unverantwortlich. „Dieser gefährliche Schritt ist eine Provokation für die Gefühle der Muslime weltweit“, sagte König Salman. Die US-Regierung wurde aufgefordert, die Entscheidung rückgängig zu machen. Der saudische König sieht sich als Hüter der heiligsten Stätten des Islam, Mekka und Medina. Jerusalem gilt als drittwichtigster Wallfahrtsort für Muslime.
Irak forderte die USA auf, ihre Entscheidung zurückzunehmen
Jordanien bezeichnete Trumps Vorstoß als rechtlich ungültig. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wird sich an diesem Freitag mit dem Thema befassen. Der Irak forderte die USA auf, die Entscheidung zurückzunehmen. Andernfalls würde ein Umfeld geschaffen, das Terrorismus begünstige. Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen ist einer prominenten proiranischen Miliz im Irak zufolge ein legitimer Grund, US-Truppen im Irak anzugreifen. Kritik kam auch aus Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Indonesien.
Die Empörungswellen aus Arabien sind jedoch mit Vorbehalt zu betrachten. Politisch hätten die USA diesen Paukenschlag nie riskiert, wenn sie nicht die sunnitische Vormacht Saudi-Arabien und auch Ägypten hinter sich wüssten. Denn trotz der störrischen Mahnungen des alten saudischen Königs Salman an die Adresse Trumps: Für die junge Garde unter seinem Sohn und Kronprinzen Mohammed bin Salman steht längst nicht mehr der alte Nahostkonflikt zwischen Israel und den Palästinensern im Mittelpunkt, sondern die totale Konfrontation mit dem schiitischen Erzfeind Iran.
Angeblich informelle Absprachen zwischen Saudis und Israel
Dieser Machtkampf wird aus ihrer Perspektive in den nächsten Jahrzehnten das Geschehen in Nahost dominieren. Der erbarmungslose Krieg im Jemen, die rabiate Isolation des Golfemirates Katar und der in Riad vermutlich erzwungene Kurzzeitrücktritt des libanesischen Premierministers Saad Hariri geben nur einen ersten Vorgeschmack. Für den 32-jährigen Thronfolger ist sein Gegenspieler in Teheran, Revolutionsführer Ali Khamenei, nichts weniger als der „neue Hitler“. In dieser apokalyptischen Panik weiß sich Riad mit Trump einig – und mit Israel. Angeblich gibt es bereits informelle Absprachen zwischen den Saudis und Israels Premier Benjamin Netanjahu.
Als Preis dafür ist das Königshaus bereit, bei den Hoffnungen der Palästinenser auf einen lebensfähigen, eigenen Staat mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt große Abstriche zu machen. Die Westbank-Führung konfrontierte der forsche Königssohn kürzlich mit einem Friedensplan, den Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas als Schlag ins Gesicht empfand. Als Territorium bliebe ihm nur noch ein Flickenteppich mit einer Handvoll Enklaven. Die meisten jüdischen Siedlungen würden nicht angetastet. Und zur neuen Hauptstadt ausgerufen würde ein Örtchen vor den Toren Ost-Jerusalems. Im Gegenzug versprach der Thronfolger den Palästinensern, Milliarden lockerzumachen.
Erdogan als Fürsprecher der palästinensischen Sache
Die EU will nun versuchen, eine aktivere Rolle im festgefahrenen Nahost-Friedensprozess zu übernehmen. „Die Europäische Union wird noch stärker auf die Konfliktparteien und die regionalen und internationalen Partner zugehen“, erklärte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini. Man bleibe aber davon überzeugt, dass den USA bei der Wiederbelebung des Friedensprozesses eine entscheidende Rolle zukomme.
Der wortgewaltigste Anwalt der palästinensischen Sache kommt in diesen Tagen jedoch nicht aus Arabien, sondern aus Ankara. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat derzeit den Vorsitz der Organisation für Islamische Kooperation (OIC) inne – jenem Zusammenschluss von 57 Staaten, der sich als „die kollektive Stimme der muslimischen Welt“ versteht. Wegen der Jerusalem-Krise berief Erdogan einen OIC-Sondergipfel ein, dessen Gastgeber er am Mittwoch in Istanbul sein wird. In Richtung Washington schlug der türkische Präsident bereits kräftige Pflöcke ein: „Herr Trump, Jerusalem ist die rote Linie der Muslime.“