Essen. . Über 90 Prozent der Bürger würden Verwaltungsvorgänge lieber online erledigen. Experte: Digitalisierung der Behörden ist „Herkulesaufgabe“.
Beim schnellen Datentransfer hinkt Deutschland in Europa hinterher. Im Vergleich zu Vorreitern der Digitalisierung wie Estland, Dänemark oder Österreich gibt es hierzulande besonders beim Online-Angebot deutscher Behörden viele Hürden. Ein digitales Rathaus, das den lästigen Gang zum Amt in vielen Bereichen überflüssig machen würde, ist bislang weitgehend Utopie. Dabei zeigt eine aktuelle Studie, dass eine überwältigende Mehrheit sich lieber heute als morgen deutlich mehr digitale Verwaltungsangebote wünscht.
91 Prozent der Befragten sind laut der Erhebung des Beratungsunternehmens PwC bereit, Verwaltungsvorgänge online zu erledigen. 90 Prozent befürworten ein sogenanntes Bürgerkonto als zentrale Schnittstelle für mehrere Verwaltungsschritte etwa beim Wohnortwechsel. 96 Prozent wünschen sich ein digitales Bürgerkonto als zentrale Speicherplattform für Dokumente.
Nur 37 Prozent haben Datenschutzbedenken
Damit verknüpft ist die Erwartung, dass sich Wege und Wartezeiten reduzieren, Kosten gespart werden und die Umwelt durch geringeren Papieraufwand geschont wird. Das Vertrauen in die Sicherheit scheint dabei groß zu sein: Datenschutzbedenken äußerten der Studie zufolge nur 37 Prozent der Befragten.
Warum aber verläuft der Weg ins Digitalzeitalter in einem Hochtechnologieland wie der Bundesrepublik so schleppend? Für den Verwaltungswissenschaftler Johannes Rosenboom, der sich beruflich seit über 20 Jahren mit Fragen der Informationstechnologie (IT) und der Organisation in der öffentlichen Verwaltung beschäftigt, liegen die Gründe auf der Hand.
Viele Behörden seien derzeit weder finanziell noch personell in der Lage, die Digitalisierung umzusetzen, sagte Rosenboom dieser Zeitung. „In den Amtsstuben gibt es zum Teil viel zu wenig IT-Know-how“, so der 49-Jährige, der beim Dortmunder Software-Haus Materna den Ausbau des Geschäftsfeldes öffentliche Verwaltung verantwortet und zuvor im selben Bereich beim US-Software-Riesen Microsoft arbeitete. Zudem habe der Öffentliche Dienst als Arbeitgeber im Wettbewerb um die viel zu wenigen und ohnehin stark umworbenen IT-Kräfte oft das Nachsehen.
Technisch kein Problem
Technisch gesehen, so Rosenboom, wäre es jedenfalls kein Problem, die historisch gewachsene Zersplitterung der Software-Landschaft in den Verwaltungen zu überwinden. Für den Datenaustausch zwischen den Behörden und Fachbereichen wären nicht immer gleich völlig neue technische Systeme erforderlich.
Die Digitalisierung müsse freilich komplett durchorganisiert werden. Rosenboom: „Es reicht nicht, die alten Papier-Formulare einfach ins Netz zu stellen.“ Um unnötige Mehrfach-Meldungen zu vermeiden, rät der IT-Experte deshalb zu einer Reform des deutschen Registerwesens. All die einzelnen Melde-, Kfz- und sonstigen Register, die es in Deutschland gibt – immerhin rund 200 – müssten seiner Auffassung nach zunächst zu einigen wenigen Registern zusammenwachsen. Ziel wäre ein Verfahren, bei dem am Ende jeder Bürger seine nicht veränderlichen Stammdaten nur einmal abgibt – in eine Art Zentralregister.
Digitalisierung ist eine „Herkulesaufgabe“
Rosenboom sieht Deutschland in der Digitalisierung grundsätzlich auf einem guten Weg. Die Gesetzeslage zum Aufbau einer digitale Verwaltung habe sich deutlich verbessert, etwa durch das Anfang 2017 verabschiedete Online-Zugangs-Gesetz. Das Gesetz verpflichtet sämtliche Behörden mit Ausnahme von sicherheitsrelevanten Bereichen, ihre Angebote innerhalb der nächsten fünf Jahre digital zugänglich zu machen.
Wie viele andere Fachleute auch hält Rosenboom die Digitalisierung allerdings für eine Herkulesaufgabe, die ins Geld gehen dürfte. Nötig sei eine flächendeckende Breitbandverkabelung, die Modernisierung der Technik, vor allem aber die Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitern in der öffentlichen Verwaltung. Rosenboom: „Ohne massive Investitionen ist das nicht zu stemmen.“
>> Modellregion Paderborn
Zuletzt hatte NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) die Einführung einer papierlosen Verwaltung angekündigt – zunächst allerdings nur in fünf NRW-Modellregionen. Die Stadt Paderborn soll nach den Plänen Pinkwarts in Ostwestfalen-Lippe bereits 2018 die Rolle als „Leitkommune“ übernehmen. Die flächendeckende Einführung der papierlosen Verwaltung in NRW soll erst 2025 erreicht sein.