Essen/Erbil. . Zwölf Jahre führte Masud Barzani die irakischen Kurden. Im Konflikt um die Unabhängigkeit hat er eine Niederlage einstecken müssen.

Ein mächtiger Sandsturm tobte am Wochenende in der irakischen Kurdenhauptstadt Erbil. Staubschwaden erschwerten das Atmen und brachten den Verkehr in den Straßen zum Erliegen. Es wurde dunkel in Erbil. Für viele Kurden muss das Wetterphänomen wie ein böses Omen gewirkt haben. Die Zukunft der Kurdenregion ist ungewiss. Der langjährige Präsident Masud Barzani gibt sein Amt auf, die irakische Zentralregierung zieht nach dem Referendum vor einem Monat, bei dem eine überwältigende Mehrheit der irakischen Kurden für die Unabhängigkeit gestimmt hatte, die Daumenschrauben an.

Am Sonntag wurde im kurdischen Regionalparlament ein Brief Barzanis vorgelesen, in dem er erklärte, sein Amt ab dem 1. November niederzulegen. Seine Machtbefugnisse sollen von der kurdischen Regionalregierung und dem Parlament übernommen werden, es ist offen, ob es in Zukunft das Amt des kurdischen Präsidenten geben wird.

Masud Barzani ist der wohl bekannteste irakisch-kurdische Politiker. Der 71-Jährige, der auch auf internationaler Bühne stets in traditioneller kurdischer Tracht auftrat, stammt aus einer der einflussreichsten Familien in der Region.

Vater war ein legendärer Kurdenführer

Bereits sein Vater Mustafa Barzani war ein legendärer Kurdenführer. Er selbst wurde 2005 zum ersten Präsidenten der Autonomieregion gewählt und hat das Amt seit 2013 geschäftsführend inne. Damals lief seine zweite Amtszeit aus. Laut der Regionalverfassung hätte ein neuer Präsident gewählt werden müssen. Der Krieg gegen den sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) verhinderte das.

Unumstritten war Barzani nie. Kritiker werfen ihm Nepotismus und Korruption vor. Seine Fehde mit der zweiten, wichtigen Dynastie in Irakisch-Kurdistan, den Talabanis, führte in den neunziger Jahren zu einem innerkurdischen Bürgerkrieg. In den vergangenen Jahren wurde dieser innerkurdische Konflikt befriedet. Mit teils pragmatischer, teils opportunistischer Politik gelang es Barzani, die Autonomie der Kurdenregion zu erweitern. Ein unabhängiges Kurdistan schien zuletzt kein unrealistisches Szenario mehr zu sein.

Masud Barzani.
Masud Barzani. © Oliver Weiken/dpa

Allerdings hat Barzani zu hoch gepokert. Er ließ das Unabhängigkeitsreferendum trotz internationaler Warnungen durchführen. Der kurdische Präsident hatte damit gerechnet, dass Partner wie die USA, Frankreich oder Deutschland die Leistungen der Kurden im Kampf gegen den IS honorieren und sich auf die Seite Erbils stellen würden. Die Sorge vor den Folgen eines Zerfalls des Irak war aber größer als die Treue zu den kurdischen Bündnispartnern.

Auf scharfe Kritik der Zentralregierung in Bagdad stieß insbesondere, dass das Referendum auch in den sogenannten umstrittenen Gebieten stattfand, auf die beide Seiten Anspruch erheben und die seit dem Vormarsch der IS-Terrormiliz im Sommer 2014 von den Kurden kontrolliert wurden.

Kurden enttäuscht über ihre Partner

Die irakische Armee und mit ihr verbündete schiitische Milizen, die vom Iran gesteuert werden, rückten zwei Wochen später nahezu kampflos in die Erdölstadt Kirkuk und andere umstrittene Gebiete ein. Offenbar kam es dabei zu Plünderungen und Brandschatzungen. Verlustreiche Gefechte mit den kurdischen Peschmerga gab es in der vergangenen Woche in der Fish-Khabur-Region ganz im Nordwesten, wo die Grenzübergänge nach Syrien und in die Türkei liegen.

Die internationale Gemeinschaft hielt sich mit Kritik an dem Vorgehen der irakischen Zentralregierung zurück. Auf kurdischer Seite stieß das auf Unverständnis: „Wir sind sehr enttäuscht. Wir wollten immer eine friedliche Lösung. Dass die internationale Gemeinschaft schweigt, ist eine Schande“, so Kamal Kirkuki, ein hochrangiger Kommandeur der Peschmerga, im Gespräch mit der NRZ.

Mittlerweile haben die Kurden zugesagt, die Ergebnisse des Referendums auf Eis zu legen. Es herrscht ein fragiler Waffenstillstand. Deutlich ist aber: Bagdad wird die bisher weitgehenden Autonomierechte der Kurden beschneiden. Iraks Ministerpräsident Haider al-Abadi fordert die Annullierung des Unabhängigkeitsreferendums. Die Zentralregierung will die Kontrolle über die Grenzübergänge in die Türkei und Syrien. Außerdem ließ die Zentralregierung den wichtigsten kurdischen Nachrichtensender Rudaw verbieten und die kurdischen Flughäfen für den internationalen Flugverkehr schließen.

Droht ein neuer Flüchtlings-Exodus?

Ohne den Verkauf des Erdöls aus Kirkuk und ohne eigenen Zugriff auf Zolleinnahmen ist die Kurdenregion wirtschaftlich nahezu vollständig auf Bagdad angewiesen. Die ohnehin angespannte wirtschaftliche Situation könnte sich weiter verschlechtern.

Das wird auch Auswirkungen auf die Situation der etwa zwei Millionen Flüchtlinge haben, die in den vergangenen Jahren in die Kurden-Region gedrängt sind, darunter Syrer, Jesiden aus der Sindschar-Region und Christen aus der Ninveh-Ebene. Schlimmstenfalls könnte ein neuer Exodus Richtung Europa drohen.

Das Ende der kurdischen Unabhängigkeitsträume ist ein Erfolg für den Iran. Der Einfluss Teherans in der Region und auf die schiitische Regierung in Bagdad wird täglich größer. Die im Irak aktiven schiitischen Milizen werden vom Iran gesteuert. Die Kurden berichten zudem, dass an den Angriffen auf sie Mitglieder der iranischen Revolutionsgarden beteiligt waren. Die libanesische Hisbollah bejubelte die Ereignisse bereits als einen „Sieg über die USA und Israel“. Nicht ohne Grund: Teheran hat jetzt einen Landweg bis ans Mittelmeer und kann Waffen in den Libanon transportieren lassen.