Köln. . Mit seinem Cowboyhut, dem Jeanshemd und der speckigen Lederweste erinnert Gunter Demnig ein wenig an Indiana Jones. Allerdings treibt sich Demnig nicht in exotischen Tempeln herum, sondern verbringt den Großteil seiner Zeit damit, europäische Bürgersteige aufzustemmen: Der Kölner Künstler, der am 27. Oktober 70 Jahre alt wird, hat seit Mitte der 90er-Jahre rund 63 000 „Stolpersteine“ verlegt.
Mit seinem Cowboyhut, dem Jeanshemd und der speckigen Lederweste erinnert Gunter Demnig ein wenig an Indiana Jones. Allerdings treibt sich Demnig nicht in exotischen Tempeln herum, sondern verbringt den Großteil seiner Zeit damit, europäische Bürgersteige aufzustemmen: Der Kölner Künstler, der am 27. Oktober 70 Jahre alt wird, hat seit Mitte der 90er-Jahre rund 63 000 „Stolpersteine“ verlegt.
In einem Monat können es fast 500 sein. Die „Steine“ sind kleine Würfel aus Beton, auf denen oben eine Messingtafel eingelassen ist, zehn mal zehn Quadratzentimeter groß. Auf diesen Tafeln wird an die Schicksale von Menschen erinnert, die der nationalsozialistischen Verfolgung zum Opfer fielen, die ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden.
„Die Grundidee, die dahintersteckt, ist die, dass wir überall da aktiv werden, wo die SS ihr Unwesen getrieben hat“, erläutert der gebürtige Berliner, der heute in Frechen bei Köln lebt. Deshalb liegen die Steine nicht nur in Deutschland, sondern in insgesamt 21 Ländern. Im Jahr legt Demnig etwa 60 000 Kilometer mit dem Auto zurück.
Die Menschen, deren Namen die Steine tragen, waren Juden, Sinti und Roma, politische Gegner des Regimes oder hatten Behinderungen. „Am häufigsten werden wir von Heimat- und Geschichtsvereinen kontaktiert, aber auch von Angehörigen oder Schülergruppen, die wollen, dass wir bei ihnen auch einen Stein verlegen.“ Das geschieht immer auf dem Gehweg vor dem Gebäude, in dem die Verfolgten zuletzt gelebt hatten, bevor sie verschleppt und ermordet wurden.
120 Euro kostet ein Stein. „Darin ist alles enthalten, der Stein, unsere Anreise und die Verlegung“, sagt Demnig. Neun Leute gehören mittlerweile zu seinem Team. Eigentlich habe er ursprünglich Plaketten an den Hauswänden anbringen wollen, erzählt er. Aber ihm sei schnell klar geworden, dass das vielen Hauseigentümern nicht recht gewesen wäre.
„Mit der Verlegung bricht der Künstler geradezu anarchisch, man könnte nach über 20 Jahren sagen: noch immer, in die Gemütlichkeit und Ordnung eines Wohnviertels oder einer Geschäftsstraße ein“, schreibt der Historiker Hans Hesse in seinem gerade erschienenen Buch über das Stolperstein-Projekt (siehe Buchtipp im Kasten). Denn auch mit den Steinen im Boden seien längst nicht alle Anwohner einverstanden. Aber da die Gehwege Eigentum der Städte sind, kann Demnig sie mit Genehmigung der Kommune trotzdem verlegen.
Den Namen „Stolpersteine“ hat Demnig nicht selbst erfunden. „In einem Interview hat ein Kölner Hauptschüler einmal auf die Frage eines Journalisten, ob man da nicht drüber stolpert, gesagt: ‘Nee, man stolpert mit dem Kopf und mit dem Herzen.’“ Das habe ihn sehr beeindruckt, sagt der Künstler.
Demnig hat Kunstpädagogik und Industrial Design in Berlin und Kassel studiert und sich in seiner künstlerischen Arbeit schon früh auf Rauminstallationen und Performances konzentriert. Dazu gehörten 1980 die „Duftmarken“ zwischen Kassel und Paris, eine gedruckte Schriftspur aus Protest gegen den Rummel im Kunstbetrieb. 1982 spannte er einen „Ariadne-Faden“ von Kassel nach Venedig, später schuf er auch Klanginstallationen.
Es gibt auch kritische Stimmen zu den „Stolpersteinen“
Er bezeichnet sich als „Mann, der Zeichen setzen möchte“. 1990 druckte er die Worte „Mai 1940 - 1000 Roma und Sinti“ in Köln auf den Straßenboden, entlang der Deportationswege der NS-Schergen.
Seit Mitte der 90er Jahre widmet er sich vor allem den „Stolpersteinen“. „Sie sind nicht mit dem üblichen Mahnmalbegriff zu fassen“, sagt Elke Purpus, Direktorin der Kölner Kunst- und Museumsbibliothek, in der noch bis zum 12. November eine Ausstellung zu den Stolpersteinen zu sehen ist (siehe Kasten). „Nirgendwo sonst machen so viele Privatpersonen mit, die in ihren Heimatkommunen aktiv werden und dort eine Verlegung durchsetzen.“ Das sei absolut einmalig, so Purpus .
Aber es gibt auch Kritiker. Die prominenteste ist Charlotte Knobloch, Holocaust-Überlebende und Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. Sie wirft Demnig vor, dass damit das Andenken der Menschen sprichwörtlich mit Füßen getreten werde. In München dürfen keine „Stolpersteine“ auf öffentlichen Wegen verlegt werden.
Die Kölner Jüdin Julia W. hingegen findet die Steine gelungen: „Ich bin sehr froh, dass es sie gibt. Und ich trete nie auf einen, ganz bewusst nicht.“ Ihre Mutter kniee sich sogar oft hin, um die Stolpersteine zu berühren oder gar zu küssen. „Sie erinnern immer wieder daran, wer hier gewohnt hat, und es ist sehr wichtig, erinnert zu werden.“
Die „Stolpersteine“, so scheint es, sind zu Demnigs Lebensprojekt geworden. Er nennt sie „das größte dezentrale Mahnmal der Welt“. An seinem 70. Geburtstag ist der „Stolperstein“-Terminkalender ausnahmsweise einmal leer, tags zuvor ist Demnig in Lübeck, danach geht es weiter nach Amsterdam.