Düsseldorf. Auf weiteren 33 Kilometern der NRW-Autobahnen soll die Standspur genutzt werden, um Staus zu verhindern.

Im Kampf gegen die hohe Staubelastung in NRW gibt Verkehrsminister Hendrik Wüst (CDU) auf weiteren Autobahn-Abschnitten den Standstreifen als zusätzliche Fahrbahn frei. „Wir müssen bei Spitzenbelastungen im Berufsverkehr oder bei Großveranstaltungen flexibler reagieren können und zusätzliche Kapazitäten schaffen“, sagte Wüst der WAZ.

Ab Mitte 2018 solle auf der A 3 zwischen dem Kreuz Hilden und dem Autobahndreieck Ratingen-Ost in beiden Fahrtrichtungen der Seitenstreifen mitgenutzt werden können. Anfang 2019 werde die A 52 zwischen Mönchengladbach-Nord und dem Autobahnkreuz Neersen folgen. In weiteren Abschnitten werde die Mitnutzung der Seitenstreifen zurzeit geprüft, so Wüst. Beim Landesbetrieb „Straßen NRW“ waren schon vor Jahren ein gutes Dutzend Strecken identifiziert worden, auf denen Breite und Belastbarkeit der Standstreifen eine Freigabe für den Verkehr möglich machen könnten.

Unfallrisiko ist bis zu 30 Prozent höher

„Mit der Standstreifen-Freigabe auf nun zusätzlich 33 Kilometern lösen wir nicht das Stauproblem in NRW, aber wir müssen jede Maßnahme ergreifen, die Besserung verspricht“, sagte Wüst. Experten des Bundesverkehrsministeriums hatten errechnet, dass die Kapazität der Strecken durch die Freigabe von Standstreifen um gut zehn Prozent gesteigert werden kann. Allerdings ist auch das Unfallrisiko um bis zu 30 Prozent höher als bei Autobahnen mit normalem Standstreifen.

Fahren auf dem Standstreifen - das ist zu beachten

Wie ist die Rechtslage?

Grundsätzlich ist es nicht erlaubt, den Standstreifen als Extra-Spur auf der rechten Seite einer Autobahn zu nutzen. Die Standspur ist  – wie der Name schon sagt – kein Teil der eigentlichen Fahrbahn. Sie dient in erster Linie dazu, dass Fahrzeuge im Fall einer Panne oder eines Unfalls sicher abgestellt werden können. Von dieser Regel dürfen seit 2002 Ausnahmen gemacht werden: Zeitweise können Standstreifen als Fahrstreifen für den Verkehr freigegeben werden, wenn damit Staus und vor allem Stau-bedingte Unfälle verhindern werden können. Das heißt auch: Wenn sich der Stau auflöst, wird der Standstreifen wieder geschlossen.

Unter welcher Bedingung darf der Standstreifen freigegeben werden?

Drei Voraussetzungen müssen erfüllt sein: Der Standstreifen muss gut ausgebaut sein, damit auch Lastwagen auf ihm fahren können. An der Autobahn müssen Kameras installiert sein, über die die NRW-Verkehrszentrale in Leverkusen Staus erfassen und zudem kontrollieren kann, ob sich kein liegengebliebenes Fahrzeug oder Gegenstände auf dem Seitenstreifen befinden. Der Autobahnabschnitt muss zudem über elektronische Anzeigetafeln verfügen, über die die Freigabe angezeigt wird. Auf dem freigegebenen Standstreifen darf man maximal 100 Stundenkilometer fahren.

Wo kann der Standstreifen bei Stau bisher genutzt werden?

 In NRW ist die Mitnutzung des Standstreifens bisher nur auf zwölf Kilometern in Teilbereichen der A 57 und der A 4 rund um Köln sowie auf der A 45 bei Hagen erlaubt. Mit den jetzt geplanten Freigaben auf der A 3 zwischen dem Kreuz Hilden und dem Autobahndreieck Ratingen-Ost in beiden Fahrtrichtungen (ab Mitte 2018) und der A 52 zwischen Mönchengladbach-Nord und dem Autobahnkreuz Neersen (ab Anfang 2019 ) erweitert sich die Maßnahme auf 33 Kilometer. Im Bundesgebiet ist Standstreifenfreigabe laut ADAC aktuell auf 210 von 26 000 Kilometern je Richtung erlaubt.

Was meinen Experten?

Verkehrsplaner und der ADAC begrüßen das Vorhaben – aber mit Einschränkungen. Im für die Autobahnen zuständigen Landesbetrieb Straßen NRW verweist man auf die bereits erwähnten Voraussetzungen. „Einfach ein Blechschild aufstellen, reicht nicht“, sagte eine Sprecherin. Der ADAC sieht in der Standspur-Freigabe lediglich eine Behelfslösung, bis eine überlastete Autobahn ausreichend ausgebaut sei. Pannenhelfer indes würden durch die Seitenstreifen-Freigabe nicht behindert. Der Duisburger Verkehrsforscher Michael Schreckenberg hält das Vorhaben dagegen für „vollkommenen Quatsch“ und einen „politischen Schnellschuss“. „Das wird unsere Verkehrsprobleme in NRW nicht lösen“, sagte Schreckenberg dieser Redaktion. Die Autos stauten sich nach der Abfahrt vor den Ampeln auf Land- und Stadtstraßen.

Wozu rät die Polizei?

Michael Mertens, stellvertretender NRW-Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), schlägt vor, die Seitenstreifen-Freigabe an die Ausweitung der Rettungsgasse zu koppeln. „Es muss aber sichergestellt sein, dass Rettungskräfte und Polizei im Falle eines Staus auch zur Unfallstelle kommen“, so Mertens. 

Was passiert, wenn man ohne Freigabe auf dem Seitenstreifen fährt?

Wer unerlaubt den Seitenstreifen zum Stau-Umfahren nutzt, riskiert 75 Euro Bußgeld und einen Punkt. Auch das Halten oder Parken auf dem Standstreifen ist verboten, wenn man keine Panne hat.

1/6

Bislang ist die Mitnutzung des Standstreifens in NRW nur in Teilbereichen der A 57, der A 4 rund um Köln sowie auf der A 45 bei Hagen erlaubt. Voraussetzung sind eine Freigabe durch die NRW-Verkehrszentrale in Leverkusen und Hinweise an die Autofahrer auf digitalen Anzeigetafeln. Das Land muss eine lückenlose Videobeobachtung der Standstreifen installieren, um sicherzustellen, dass keine liegengebliebenen Fahrzeuge oder Gegenstände den Verkehrsfluss blockieren. Zudem sind Anzeigetafeln zur Verkehrslenkung notwendig. Das Land werde allein 2018 weitere 43 Anzeigetafeln an den Autobahnen aufstellen, so ein Sprecher des Verkehrsministeriums.

Die Straßenverkehrsordnung erlaubt seit 2002 bei besonders starker Verkehrsbelastung, die Standspur mit Tempolimit 100 zeitweilig mitzunutzen. Die vorgeschriebenen Wechselverkehrszeichen und die Überwachung der Befahrbarkeit des Seitenstreifens sind aber aufwändig und teuer.