. . Im Interview erklärt der Regisseur und Schauspieler, was für ihn die wichtigste Inspiration ist und warum er sich nicht vor dem Tod fürchtet.

Gemessenen Schrittes, fast weihevoll geht David Lynch durch den Innenhof des Hotels De Russie in Rom und von dort auf die Balus­trade, wo das Interview stattfindet. Einige der Gäste, die ihn zufällig bemerken, applaudieren. Zur priesterlichen Anmutung passt seine typische Kombination aus weißem Hemd und schwarzem Sakko. Der 71-jährige Kultregisseur, dessen Karriere in der Dokumentation „The Art Life“ (seit 31.8. im Kino) beleuchtet wird, bietet denn auch beim Gespräch einen intellektuellen Trip durch die spirituellen Geheimnisse des Universums. Aber er tut das nicht mit belehrender Arroganz, sondern wirkt regelrecht schüchtern und ironisch amüsiert.

Sie gelten als eines der großen lebenden Genies in Film und Fernsehen. Hatten Sie jemals Inspiration nötig?

David Lynch: Jeder braucht Inspiration. Das ist wie ein Energiestoß, ein Nervenkitzel. Sie treibt dich an, gibt dir ein Ziel vor. Allerdings benötigst du dazu auch Ideen, die mit dir sprechen und dir zeigen, was du schaffen sollst.

Was war die wichtigste Inspiration Ihres Lebens?

Eindeutig Philadelphia, Pennsylvania, wo ich Kunst studierte.

Warum ausgerechnet diese Stadt?

Weil sie so furchtbar war. Man nennt sie die Stadt der Nächstenliebe, aber wenn es dort etwas nicht gab, war es Liebe. Stattdessen Korruption, Angst und Dreck. Eine Atmosphäre von Wahnsinn und Gewalt lag in der Luft. Ich würde das nicht wieder erleben wollen, aber ich fand das auch faszinierend, ebenso wie die Architektur der Stadt. Dieses Gefühl hat mich lange Zeit begleitet, und daraus entstand mein erster Langfilm ­„Eraserhead“, in dem sich genau diese Stimmung und industriellen Strukturen wiederfinden.

Aber wenn Sie im Idyll gelebt hätten, dann wäre Ihr ganzes Œuvre so nicht entstanden?

Jedes Milieu kann eine Inspiration sein, Sie dürfen nicht vergessen, dass ich eine sehr idyllische Kindheit hatte. Ich wohnte in der Nähe des Waldes, und daraus wiederum entstand die Idee für „Twin Peaks“. Ideen können von überallher kommen – jeden Moment. Ich liebe es tagzuträumen, und manchmal fliegt mir dann eine zu. Ich verliebe mich in sie und will sie umsetzen. Genauer gesagt: Ich muss sie umsetzen. Die Ideen verlangen das von mir. Etwas zu schaffen, ist ein fantastischer Prozess, und wenn du dabei aus der ganzen Fülle deines Bewusstseins schöpfen kannst, bist du dabei umso glücklicher.

Sie wirken sehr glücklich und sanftmütig. Den Gewaltvisionen Ihrer Filme und Serien nach zu schließen, sollten Sie eher dem Typ des gequälten Künstlers entsprechen.

Du musst als Künstler nicht zwangsläufig leiden, um etwas schaffen zu können. Du musst nur die menschlichen Befindlichkeiten verstehen, und dazu gehören Qualen dazu. Geschichten enthalten das ganze Spektrum unseres Daseins – ob Liebe oder Gewalt –, das sollen sie auch und werden sie immer tun, weil Leute eben Dramen sehen wollen. Aber es sind nun mal Geschichten. Du musst und willst sie nicht im eigenen Leben durchmachen. Denn dann findest du sie bei Weitem nicht mehr so angenehm wie als Zuschauer.

Wer steuert dieses Dasein? Gott?

Auf jeden Fall glaube ich an eine Macht, die man Gott nennen würde. Manche stellen sie sich als allmächtigen, gütigen Vater vor. Ich für meinen Teil würde sagen, wir sind alle Funken der göttlichen Flamme. Und jeder Mensch hat das Potenzial, mit Gott eins zu werden und die absolute Totalität zu erfahren. Wir alle befinden uns auf dem Weg zu diesem Einssein, natürlich verirren wir uns dabei auch, aber eines Tages finden wir uns selbst.

Ist das jetzt ein persönlicher Gott oder eine immaterielle Macht?

Das eine muss das andere nicht ausschließen. Dazu gibt es die verschiedensten Ansichten. In jedem Falle können wir in höheren Bewusstseinsstufen, wie wir sie zum Beispiel bei der Meditation erleben, dieses Sein erfahren. Und in diesem Zustand bestätigt sich für uns die Existenz Gottes. Sie ist dann keine Frage des Glaubens mehr, sie ist Fakt.

Die ewige Frage lautet indes, warum es dann auf der Erde so viel Leid gibt, wenn wir alle Funken des Göttlichen sind.

Die Frage ist natürlich berechtigt. Sehen Sie es so: Es gibt Licht, und wenn du dich sehr weit davon entfernst oder gar davon abgeschnitten wirst, dann passieren sehr merkwürdige Dinge. Abgesehen davon ist Zerstörung notwendig, damit etwas Neues entsteht. Eine Knospe muss sterben, damit sich eine Blüte entfalten kann.

Nicht alle Ihre Kollegen sehen das so entspannt. Für Woody Allen etwa ist das ganze Leben sinnlos, weil eines Tages das Universum untergeht.

Ich liebe Woody Allen, aber das ist Quatsch mit Soße. Es gibt ein Kontinuum. Nichts endet je. Das Universum hat zwar eine bestimmte Lebensspanne, sagen wir 300, 400 Trillionen Jahre, dann geht es in einen Zustand der Transzendenz zurück, bleibt dort genauso lange, dann kommt es wieder daraus hervor. Und immer so weiter. Abgesehen davon gibt es eine fast unbegrenzte Zahl, oder sagen wir, verdammt viele Universen, und wir befinden uns in einem davon. Das alles ergibt eine wunderschöne Geschichte, an der wir teilhaben. Und alles wird eines Tages okay sein.

Aber wenn nichts zu Ende geht, ist das keine beklemmende Vorstellung?

Ich glaube nicht, dass das Ende ein beruhigender Gedanke ist – abgesehen vom Ende des Leids. Aber es ist sowieso egal. Wir können nichts davon beweisen. Ich persönlich glaube, dass alles unendlich ist, andere Leute behaupten das Gegenteil – ist auch okay.

Aus Ihren Aussagen kann man entnehmen, dass Sie sich nicht sonderlich vor dem Tod fürchten.

Niemand will sterben. Aber ich würde das Leben mit dem Kauf eines neuen Autos vergleichen. Du steigst ein, fährst es, es wird immer älter und eines Tages läuft es gar nicht mehr. Was machst du? Du steigst aus. Genauso ist es mit dem physischen Körper. Irgendwann hört er auf zu funktionieren. Und du verlässt ihn. Aber dein Bewusstsein besteht weiterhin. Du bleibst immer du selbst. Womit ich gar nicht bestreiten will, dass mit dem Sterben eine traumatische Angst verbunden ist.

Und was passiert danach? Möchten Sie wiedergeboren werden? Das nehmen ja die östlichen Religionen an, von denen Sie sichtlich inspiriert sind.

Das ist keine Frage des Wollens. Man sagt, dass Menschen davon geprägt werden, wie sie ihre Mitmenschen behandeln. Und dieser Auffassung zufolge, die ich für plausibel halte, wird über uns gerichtet, wenn wir sterben. Aber der Richter sind wir selbst. Wir halten uns selbst einen Spiegel vor, sehen, was wir taten, dachten und gesprochen haben. Das läuft wie ein Film vor uns ab, und es macht keinen großen Spaß, den ­anzuschauen. Auf dieser Basis fällen wir unser Urteil über uns selbst. ­Abhängig davon, wie wir andere behandelt haben, durchlaufen wir erst mal die verschiedenen Stufen der Hölle. Darin widerfahren uns der Schmerz und die Sorgen, die wir anderen zugefügt haben, was hoffentlich nicht zu lange dauert. Danach geht es durch die verschiedenen Stufen des Himmels, in denen wir das Gute, was wir getan haben, erleben. Das ist sozusagen ein positiver Anreiz, das zu wiederholen. Und zuletzt kehren wir erneut zurück. Das ist, als würden wir einen altmodischen Tauchapparat anlegen und wieder ins Wasser steigen. Dabei vergessen wir unsere früheren Leben, denn ansonsten hätten wir Angst, uns wieder auf das Ganze einzulassen. Aber wir haben keine andere Wahl. Denn unser Ziel ist es, Erleuchtung zu erlangen, und das ist nur mit einem physischen Körper möglich.