Frank Bsirske lobt im Interview Schulz’ Gerechtigkeitsdebatte und kritisiert die „Rentenniveaukürzungsparteien“ CDU und FDP.
Sie sind Grünen-Mitglied und haben zuletzt den SPD-Kandidaten Martin Schulz gelobt. Die Zeit rot-grüner Mehrheiten ist aber vorbei. Hoffen Sie noch auf Rot-Rot-Grün?
Frank Bsirske: Das scheint ja ebenfalls nicht realistisch. Ich bin zuallererst Gewerkschafter und als solcher gebe ich keine Wahlempfehlung ab. Aber natürlich schauen wir bei Verdi, wer unsere Themen vertritt. Deutschland droht ein Revival der schwarz-gelben Koalition, die 2009 bis 2013 schlimmste Klientelpolitik gemacht hat. Der damalige FDP-Generalsekretär Christian Lindner nannte seinerzeit den Staat einen teuren Schwächling, der sich immer mehr Einfluss anmaße. Und das, nachdem der Staat in der Finanzkrise die Banken gerettet hatte. Jetzt tritt derselbe Mann als FDP-Chef an und gibt sich frisch und unverbraucht. Dabei trägt er noch den alten Rucksack an ideologischen Ideen mit sich. Nein, ein solches Revival wünsche ich diesem Land nicht.
Was wäre für Sie denn dann das kleinere Übel – eine weitere GroKo oder Jamaika aus Union, FDP und Grünen?
Bsirske: Wie gesagt: keine Empfehlung. Ich wünsche mir eine politische Mehrheit, die einen Kurswechsel einleitet für mehr soziale Gerechtigkeit. Die Grünen würden da sicher andere Akzente setzen als die FDP.
Haben die Grünen Glück, mit dem Dieselskandal ein Thema geschenkt bekommen zu haben?
Bsirske: Die Themen Verkehr und Umwelt sind maßgeblich für den Standort Deutschland und die Grünen profilieren sich hier. Doch sie dürfen nicht als Ein-Punkt-Partei wahrgenommen werden, das wäre zu wenig und auch nicht nötig. Die Expertise ist ja da. Zum Beispiel treten sie für die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung in der gesetzlichen Krankenversicherung ein, damit die Arbeitnehmer nicht allein für die Kosten des medizinischen Fortschritts aufkommen müssen, über Zusatzbeiträge, während die Arbeitgeber sich aus der Verantwortung stehlen.
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Sie loben die von Schulz angestoßene Gerechtigkeitsdebatte. Dabei geht es den Deutschen so gut wie nie. Wird die Gerechtigkeitsdebatte nicht automatisch zum Minderheiten- und damit zum Verliererthema?
Bsirske: Nein, denn wir haben viele Gerechtigkeits-Probleme: In keinem Industrieland hängt der Bildungserfolg so sehr von der Herkunft ab. Chancengerechtigkeit sieht anders aus. Mit der Agenda-Politik wurde Reichtumspflege betrieben und Deutschland ist zu einer Steueroase für Vermögende und reiche Erben geworden. Durch Leiharbeit, Scheinwerkverträge, Minijobs, Armutslöhne und den Verlust der Tarifbindung verdienen 40 Prozent der lohnabhängig Beschäftigten in Deutschland heute real weniger als in den 90ern. Und natürlich ist es ein Problem, dass wir in eine massive Altersarmut laufen.
Sie fordern ein höheres Rentenniveau. Das würde aber Menschen mit höheren Renten viel mehr bringen als jenen mit niedrigen. So verhindert man doch keine Altersarmut.
Bsirske: Wenn ein Durchschnittseinkommmen von 2500 Euro im Monat nach 40 Jahren 809 Euro Rente bringt, ist das Rentenniveau zu niedrig. Es darf nicht sein, dass Menschen nach lebenslanger Arbeit in der Grundsicherung landen. Aber natürlich braucht es ergänzende Maßnahmen gegen Altersarmut: etwa die Rückkehr zur Rente nach Mindesteinkommen, eine Aufwertung der Löhne von Geringverdienern und prekär Selbstständigen und durch Verzicht auf Abschläge und wieder höhere Erwerbsminderungsrenten. Die SPD plant immerhin eine Solidarrente; CDU/CSU und die FDP wollen das Rentenniveau weiter absenken. Es sind Rentenniveaukürzungsparteien – zum Schaden der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Vor Altersarmut schützen am besten höhere Löhne – Ihr Job, Herr Bsirske ...
Bsirske:..., dem wir mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln in den Tarifrunden nachgehen. Unsere Abschlüsse konnten sich in allen Branchen zuletzt sehen lassen. Das Problem ist, dass immer weniger Menschen nach Tarif bezahlt werden. Deshalb fordere ich, mehr Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären, damit auch alle was davon haben.