Essen. . Bewusst oder unbewusst, zu Beginn des Gesprächs probiert Diane Keaton den alten Trick, das Gespräch von sich abzulenken.

Bewusst oder unbewusst, zu Beginn des Gesprächs probiert Diane Keaton den alten Trick, das Gespräch von sich abzulenken. Sie fragt lieber den Interviewer zu seiner Person. Aber auf den sanften Hinweis, dass wir uns angesichts der begrenzten Zeit über sie selbst und ihren neuen Film, die romantische Komödie „Hampstead Park“ (ab 24. August im Kino) unterhalten sollten, lenkt sie sofort mit entschuldigendem Lächeln ein. Es wäre auch jammerschade, nichts von den Ansichten und Einsichten zu hören, die sie in ihren 71 Jahren so gesammelt hat.

Frau Keaton, in „Hampstead Park“ spielen Sie eine ältere Dame, die ihr Leben umkrempeln und sich selbst neu erfinden muss. Können Sie sich mit solchen Befindlichkeiten identifizieren?

Dianne Keaton: Absolut. Deshalb habe ich mich zu dieser Geschichte so hingezogen gefühlt. So etwas kann allen von uns passieren. Jeder kann mal in einem bestimmten Zustand stecken bleiben, und dann passiert etwas. Das mag auch nur eine Kleinigkeit sein, die alles verändert.

Wie geht es Ihnen jetzt? Fühlt sich Ihr Leben so an, als sei es festgefahren?

Natürlich. Und ich sehe auch kein Ereignis am Horizont, das es umkrempeln würde. Aber ich will mich nicht beklagen. Das ist ein interessantes, privilegiertes Leben, das mir viel Spaß bereitet.

Dieses Jahr bekamen Sie vom American Film Institute den Preis für Ihr Lebenswerk. Verstärkt das dieses Gefühl der Stagnation? Denn das sagt ja implizit, dass Ihre beste Zeit hinter Ihnen liegt.

Sagen wir’s so: Es war wie eine Party, die man für die Leute schmeißt, die in Rente gehen. Aber der Ruhestand tut dir nicht gut. Das habe ich bei meinem Vater gesehen. Der überlebte nicht lange, ist schon mit 67 gestorben. Meine Mutter dagegen blieb immer aktiv, hatte ihre Hobbys. Sie war Künstlerin, Fotografin, nähte. Sie hat aus ihrem Leben alles herausgeholt, auch wenn sie nicht berufstätig war. Und sie wurde letztlich 86. Ich werde also weiter arbeiten. Und wenn ich mal keine Angebote mehr bekommen sollte, dann werde ich’s wie meine Mutter machen.

Was sind Ihre Hobbys?

Ich liebe es, Häuser zu renovieren und auszustatten. Erst vor Kurzem habe ich eines fertiggestellt, das endlich all meinen Erwartungen entspricht. Es hat lange gedauert. Ich habe das auch in einem Buch dokumentiert, das jetzt herauskommt: „Das Haus, das von Pinterest gebaut wurde.“ Denn daher habe ich all meine Ideen. Mit dem sozialen Netzwerk Pinterest hast du Zugang zu den Bildern von jeder erdenklichen architektonischen Struktur und Innenausstattung.

Gibt es etwas, was Sie sich vom Leben noch wünschen?

Nein. Für mich ist die Einstellung „Ich will das und das“ eher ein Fluch. Als ich klein war, wollte ich vor einem Publikum auftreten, aber jetzt große Pläne zu schmieden, wäre lächerlich.

Warum?

Weil wir über unsere Zukunft keine Kontrolle haben. Wie ich schon sagte, wir brauchen ein Ereignis, das Veränderungen anstößt und uns neue Chancen gibt.

Im Film ist dieses Ereignis eine Liebesbeziehung. Könnte Ihnen das noch passieren?

Nichts ist unmöglich, aber für jemanden wie mich ist das doch sehr unwahrscheinlich. Denn meine wichtigsten Ziele im Leben waren eben beruflicher Art. Und die größte Liebe meines Lebens waren und sind meine Adoptivkinder. Sie zu haben, ist ein unglaublicher Glücksfall.

Sie wollen also keine Partnerschaft mehr?

Doch, doch, eine enge menschliche Beziehung hätte ich sehr gerne. Warum sollte ich das nicht wollen? Aber ich mache eben keine konkreten Schritte, das wäre zu lächerlich. Soll ich einfach so anbandeln: „Hallo, ich bin Diane?“ Ich will kein Internet-Dating, und dieses „Lass uns doch mal zusammen essen“ mag ich auch nicht. Abgesehen davon arbeite ich an verschiedensten beruflichen Projekten. Ich ziehe also nicht herum und suche nach einem Mann. Körperlich verspüre ich auch nicht den Drang dazu.

Vielleicht ist es ja auch eine Frage des Schicksals, dass Sie den Passenden finden?

Oh ja, da haben Sie recht. Schreiben Sie, ich hätte das gesagt.

Ihre Tochter ist schon 21, Ihr Sohn 16. Haben Sie sich an den Gedanken gewöhnt, dass die beiden das Nest verlassen?

Ich bin noch im Gewöhnungsprozess. Und er ist schwer. Meine Tochter ist schon ausgezogen, und ich habe es gehasst, sie ziehen zu lassen. Aber was soll ich tun? Das ist das Richtige für sie, und ich liebe sie, also will ich für sie das Beste.

Was ist das Wichtigste, was Sie durch Ihre Kinder gelernt haben?

Dass jede einzelne Person so viele verschiedene Dimensionen hat, dass du’s dir gar nicht ausmalen kannst. Jeder ist einzigartig und komplex, weil unser Gehirn ein so geheimnisvolles Instrument ist. Das merkst du erst, wenn du jemand heranwachsen siehst. Und weil wir voller Wunder stecken, sind wir imstande, die überraschendsten Dinge zu tun. So kommt es eben zu den erwähnten Ereignissen, die uns alle verändern können.

Und wie haben Sie sich durch das Dasein als Mutter gewandelt?

Es ist die Verantwortung, die mich enorm verändert hat. Als ich mit 50 meine Tochter adoptierte, konnte ich mir gar nicht vorstellen, wie das sein würde – wie schmerzhaft und großartig zugleich. So etwas hatte ich vorher noch nie gefühlt. Wenn ich mit einem Mann zusammen war, dann war er für unsere Beziehung verantwortlich. Das war natürlich sehr starrsinnig von mir, aber ich dachte, in der Liebe kommt es darauf an. Meines Erachtens sollte er mich für immer anbeten, selbst wenn ich ihm das nicht offen sagte. Mit Kindern ist das komplett anders. Ich habe da eine ganz andere Art von Liebe kennengelernt, und zum ersten Mal hatte ich Hoffnungen für die Zukunft anderer Menschen – denn die Kinder sind unsere Zukunft.

Allerdings scheinen Sie nicht gerade optimistisch in Ihre eigene Zukunft zu schauen. In Ihren Memoiren schrieben Sie übers Älterwerden „Sagen wir einfach, es ist nicht nett“.

Schauen Sie doch, was passieren kann. Ein Freund von mir starb dieses Jahr an einer Lungenembolie. Meine Eltern hatten beide Alzheimer, mein Vater starb an einem Gehirntumor. So etwas ist immer eine Tragödie. Mit uns allen geht es zu Ende, und wir haben keine Kontrolle darüber, wann und wie das passiert, so sehr wir es auch versuchen.

Was für ein Verhältnis hatten Sie zu Ihren eigenen Eltern?

Es war geradezu idealtypisch. Für sie war ich immer die gute Tochter, sie haben mich in jeder Hinsicht unterstützt. Vor allem meine Mutter hat es immer gut gefunden, dass ich eine darstellende Künstlerin werden wollte. Das war ja auch mein einziges Ziel im Leben, obwohl ich mir erst überhaupt nicht sicher war, ob ich das schaffe.

Wie kamen Sie überhaupt auf den Gedanken?

In der Kirche! Als Kind war ich total beeindruckt. Diese ganzen Darbietungen der Jesus-Geschichte haben mich emotional so aufgewühlt, dass ich weinen musste. Das hat meine Faszination geweckt.

Es ist einige Zeit her, da drehten Sie den Dokumentarfilm „Heaven“ über die Vorstellungen zum Leben nach dem Tod. Was denken Sie jetzt darüber? Gibt es einen Himmel?

Nachdem ich den Film gedreht hatte, hatte ich eine ausreichende Dosis in Sachen Himmel abbekommen. Ich fand es sehr faszinierend, wie die Leute das für einen ganz konkreten Ort hielten. Für sie ist es ein weiteres Leben, in dem sie die gleiche Person bleiben. Kann das wirklich ihr Ernst sein? Offen gestanden, ich weiß es nicht. Aber ich will gar nicht anfangen, mir das auszumalen. Sprechen wir lieber über ein anderes Thema.

Wie wäre es mit Schönheit? In Ihren Memoiren schrieben Sie auch, dass „Schönheit aus Sorgen erwächst“. Was genau meinten Sie damit?

Ich will damit nicht sagen, dass ich mir Tragödien wünsche. Aber ich finde, dass Schönheit kompliziert sein muss. Hübschheit ist nur oberflächlich. Wenn etwas schön ist, dann ist es von einem Element von Sehnsucht und Wehmut begleitet. Das kann ein Vollmond sein, der dich vielleicht zu Tränen rührt, aber auch ganz unscheinbare Dinge, die du erst auf den zweiten Blick entdeckst. Alles, was dich das Wunder des Lebens schätzen lässt, würde ich als schön bezeichnen.

Haben Sie mit zunehmendem Alter mehr Einblicke in diese Schönheit bekommen?

Das ist schwer zu beantworten. Denn ich bin immer nur meinen Instinkten gefolgt, ohne sie zu hinterfragen. Wobei ich zugeben muss, dass ich im Alter jetzt mehr nachdenke. Doch je mehr ich denke, desto mehr begreife ich, dass ich nichts weiß. Diese Welt ist so schwer zu erklären und unmöglich zu definieren. Aber allein darüber zu reflektieren, genieße ich sehr. So bin ich umso dankbarer, dass ich dieses Dasein in all seinen Zügen genießen darf.