Mülheim. . Seit zwei Jahren leitet Tobias Ritter das Max-Planck-Institut für Kohlenforschung. Er will Krankheiten schneller entdecken können als bisher.

Mitten in einem Mülheimer Villenviertel, auf dem höchsten Punkt des Hügels, ragt ein zehnstöckiger Betonbau in den Himmel. Sitz eines der ältesten Max-Planck-Institute (MPI) in Deutschland, dem für Kohlenforschung. Ein Klotz in der Stadtlandschaft – ein Leuchtturm der Wissenschaft. Jeder Chemiker auf der Welt kennt das Institut, auch wenn von diesen Experten wohl kaum jemand weiß, wo Mülheim liegt oder das Ruhrgebiet. Aber mit Kohlenforschung im ursprünglichen Sinn hat Tobias Ritter gar nichts zu tun.

Man muss sich beeilen, um dem 42-Jährigen zu folgen. Er eilt eine Treppe empor, durchquert Korridore, nimmt einen Aufzug, schreitet einen langen Gang entlang. Links liegen die Büros, schaut man nach rechts, sieht man über ein Geländer von oben in zahlreiche Labors hinein, in denen Wissenschaftler hantieren. Es ist still, nur Lüfter summen; es wirkt, als blicke man in eine High-Tech-Fabrik aus einem Science-Fiction-Film.

Seit gut zwei Jahren ist Ritter neuer Direktor am MPI in Mülheim. Aufgewachsen in Lübeck ging er nach seinem Studium in Braunschweig nach Bordeaux, später nach Lausanne in der Schweiz, dann zur Elite-Uni Stanford in den USA, von dort nach Zürich, wo er promovierte und seine Frau, eine Französin, kennenlernte. Zehn Jahre war er Professor an der Harvard-Universität in Boston.

Mit neuen Methoden Krankheiten schneller entdecken

Nie zuvor in der Geschichte Harvards hat ein Chemieprofessor die weltberühmte Uni je freiwillig wieder verlassen – es sei denn, in den Ruhestand. Ritter war der erste. Das Max-Planck-Institut lockte ihn mit dem Bau eines eigens auf seine Forschungen zugeschnittenen Labors für Radiochemie – „sonst wäre ich auch nicht gekommen“, sagt Ritter ohne jede Überheblichkeit. In verwaschenen Jeans und Hemd wirkt er eher wie ein Student, nicht wie ein gefragter Forscher, der sich auf den Weg macht, mit neuen Methoden Krankheiten frühzeitig zu entdecken und somit besser bekämpfen zu können.

Dafür benötigt er vor allem Fluor. „Das ist ein sehr extravagantes Element mit sehr vielen bemerkenswerten Eigenschaften“, erklärt Ritter. Fluor kennt jeder, zum Beispiel als Zusatz in der Zahnpasta, in der Teflonpfanne verhindert es das Anbrennen. Aber nicht nur als Basis für Bratpfannen, Kunststoffe und Lösungsmittel, auch in der Medizin ist Fluor gefragt. Weil Medikamente, in die das Element eingebunden ist, vom Körper langsamer abgebaut werden und somit länger wirken.

Fluor ist bei Suche nach Tumoren nützlich

Doch Tobias Ritter geht es um mehr. Denn auch um Krankheiten aufzuspüren, ist Fluor sehr nützlich. Zum Beispiel bei der Suche nach Tumoren oder krankhaften Veränderungen im Gehirn.

Das geht ungefähr so: Der Patient bekommt vor einer Tomographie, genauer, Positronen-Emissions-Tomographie (PET), eine mit dem radioaktiven Fluorisotop F18 markierte Zuckerlösung. Da die Krebszellen mehr von dem schwach strahlenden Zucker aufnehmen als gesunde Zellen, werden sie so auf dem Bildschirm des Apparats deutlich sichtbar.

Aber das ist noch relativ simpel. „Dabei geht es um ein recht einfaches Zuckermolekül, das mit der gängigen Chemie leicht herzustellen ist“, sagt Ritter. „Aber wir möchten noch ganz andere Moleküle herstellen, denn wir wollen nicht nur etwas lernen über Krebszellen, sondern auch, wie das Gehirn funktioniert, wie neurodegenerative Krankheiten entstehen oder wie man sie womöglich verhindern könnte.“ Und all das gibt es noch nicht. „Was wir hier machen ist: Wir bauen neue Moleküle. Dafür wurde ich angeheuert“, sagt er und holt einen kleinen Molekülbaukasten aus Plastik aus dem Regal. „Das nehme ich täglich in die Hand und denke nach, was man besser machen könnte.“

Suche im Heuhaufen

Ritter und sein Team setzen im Labor Moleküle zusammen, an die sie das radioaktive F18 andocken können. „Die PET ist ein wertvolles bildgebendes Verfahren, das derzeit besonders in der Krebsforschung und -diagnose eingesetzt wird“, erklärt Ritter. „Man könnte es aber auch bei anderen Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson einsetzen. Aber die mit Fluor 18 markierten Moleküle, die man dafür benötigt, gibt es noch nicht.“ Es ist die gezielte Suche im Heuhaufen. 95 Prozent der Versuche seien nicht erfolgreich. „Aber irgendwann funktioniert es.“ Auf dem Weg, diesen Krankheiten auf die Schliche zu kommen, haben Ritter und sein Team bereits Fortschritte gemacht. Was ihn dabei antreibt: „Wir betreiben hier Grundlagenforschung, aber die direkte Anwendung in der Medizin ist unser Ziel. Vielleicht können wir irgendwann Patienten damit helfen.“

Eingelebt habe er sich in Mülheim mit seiner Frau und drei kleinen Kindern in der kurzen Zeit noch nicht so richtig. „Ich fühle mich hier wohl, aber ein richtiger Ruhrpottler bin ich noch nicht“, lächelt er. Bereut habe er den Schritt von Harvard an die Ruhr aber keineswegs: „Das MPI für Kohlenforschung ist auf seinem Gebiet das beste chemische Institut der Welt.“

>> DAS MAX-PLANCK-INSTITUT

Das Max-Planck-Institut für Kohlenforschung wurde 1912 als Kaiser-Wilhelm-Institut gegründet. Berühmt wurde es durch die Entdeckung des Fischer-Tropsch-Prozesses: Die Verwendung von Katalysatoren ermöglichte die Umwandlung von Kohle in Kraftstoffe wie Benzin oder Diesel. Das Institut hat über 300 Mitarbeiter.