Angela Merkels Wahlkampfstart in der roten Herzkammer
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Dortmund. Wahlkampf-Auftakt, ausgerechnet in der SPD-Hochburg Dortmund. Merkel präsentierte eine Variante ihrer „Sie kennen mich“-Strategie.
Als der Applaus verklungen ist und der nächste Programmpunkt bereits anmoderiert, greift Angela Merkel noch einmal eilig nach dem Mikrofon: „Ich habe ganz vergessen zu sagen, dass die Wahl nicht entschieden ist“. Man möge bitte am 24. September der CDU die Stimme geben.
Eher pflichtschuldig fordert die Kanzlerin von der Parteibasis:
Ein Wahlkampfauftakt ganz ohne Wahlaufruf darf es dann doch nicht werden.
Assoziation mit legendären Boxkämpfen
„Merkel steigt in den Ring“, wurde in der nordrhein-westfälischen CDU seit Tagen bedeutungsschwer geraunt. In der Dortmunder Westfalenhalle. Sechs Wochen vor der Bundestagswahl werde mit dem ersten von bundesweit etwa 50 Auftritten der Kanzlerin das eingeläutet, was man leichthin „heiße Phase“ nennt.
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Merkel im Ring – das weckt in Dortmund schnell Assoziationen an legendäre Boxschlachten wie den Europameisterschaftskampf von Max Schmeling.
Merkel hält sozialdemokratische Rede
Doch während Schmeling einst die große Westfalenhalle in Wallung brachte, zieht Merkel am Samstagmittag nur nebenan in die kleine „Westfalenhalle 2“ ein, einen schmucklos gekachelten Messebau. Ein Kongress des Arbeitnehmerflügels CDA mit etwa 1000 Gästen ist die Bühne für Merkels erste echte Wahlkampf-Rede seit der Rückkehr aus dem Wanderurlaub in Südtirol.
Nach Boxen ist der Kanzlerin im grauen Blazer erkennbar nicht zumute. Vielmehr hält sie in der „Herzkammer“ der Sozialdemokratie eine sozialdemokratische Rede über die Errungenschaften der sozialen Marktwirtschaft.
Vergiftete Komplimente in Richtung SPD
„Gute Arbeit“, Mitbestimmung, Tarifbindung, Hilfen für Langzeitarbeitslose – den CDA-Mitgliedern wird es warm ums Herz. Sogar der Sauerländer Vorzeige-Sozialdemokrat Franz Müntefering wird ausdrücklich vereinnahmt: Sein bis heute umstrittenes Modell für die Rente mit 67 sei „ein ganz faires Konzept“ gewesen, lobt Merkel.
Solch vergiftete Komplimente kann die SPD vor allem in Nordrhein-Westfalen gerade gar nicht gebrauchen. Der wichtigste Landesverband liegt nach der Pleite bei der Landtagswahl im Mai am Boden. Da schmerzt eine CDU-Vorsitzende und Kanzlerin doppelt, die bei ihrem symbolträchtigen Wahlkampf-Start ausgerechnet hier auf dem roten Acker so schamlos aussäht.
Merkel entzieht sich inhaltlichen Debatten weitgehend
Es ist wohl die Vollendung der berühmten asymmetrischen Demobilisierung, die SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz seit Wochen verzweifeln lässt. Merkel bietet kaum Angriffsflächen, dafür die perfekte Projektionsfläche für das Sicherheitsbedürfnis der Deutschen jeder Couleur.
Sie entzieht sich weitgehend der inhaltlichen Debatte und buchstabiert dafür den CDU-Wahlslogan aus: „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben.“ Es ist eine Variation ihres „Sie kennen mich“-Wahlkampfes 2009 und 2013, von dem noch zu Jahresbeginn viele Kommentatoren dachten, er könne nicht mehr verfangen.
„Schön, dass wir in Deutschland leben dürfen“
Merkel skizziert in Dortmund eine Welt in Unruhe und eine Zukunft voller Umbrüchen. Es gebe „ein spezielles Gefühl im Augenblick: Deutschland steht gut da, aber wir leben in einer Phase der Unsicherheit“. Der rustikale CDA-Vorsitzende und NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann, präsentiert die Botschaft des Tages sogar völlig hüllenlos: „Es ist schön, dass wir in Deutschland leben dürfen. Die Deutschen haben großes Glück, dass Angela Merkel in dieser Zeit unsere Kanzlerin ist.“
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Ihren Herausforderer Schulz erwähnt Merkel in Dortmund mit keiner Silbe. Sie nimmt sich lieber die Auto-Bosse und den Diesel-Skandal vor: „Das, was man da unter den Tisch gekehrt hat, oder wo man Lücken in den Abgastests einfach massiv genutzt hat bis zur Unkenntlichkeit, das zerstört Vertrauen.“ Schulz wird nur ungenannt im Vorbeigehen abgefertigt, als Merkel dessen Vorstoß für eine Elektroauto-Quote zurückweist:
Eigentlich dient selbst die Diesel-Krise nur als Folie, vor der die Kanzlerin als persönliche Sicherheitsgarantin inszeniert wird. Die Autobranche mit mehr als 800.000 Mitarbeitern, Prunkstück der Exportnation, muss sich nicht weniger als neu erfinden – und Merkel trägt Sorge, dass der Staat dabei seine Hausaufgaben macht und die Mitarbeiter nicht vergessen werden.
Sechs Wochen vor der Wahl liegt Merkels größte Gefahr wohl nur darin, dass die Union unter anderem wegen des gewaltigen Umfragen-Vorsprungs ein Mobilisierungsproblem bekommen könnte. Von der SPD ist seit Wochen nichts zu vernehmen, was energischen Widerspruch erforderte.
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