Köln. . Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) sucht den Schulterschluss mit Unternehmen in NRW, um die Personalnot an den Schulen zu bekämpfen.
Über Köln hängen dicke Regenwolken, doch die neue NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (50) ist gut gelaunt: Im Rathaus erinnert sie sich an ihre erste Rede im Stadtrat, 2004, es war kurz vor Mitternacht, und als größte Sorge trieb die FDP-Politikerin um, dass sie die Stufen zum Rednerpult hinaufstolpern könnte. Ist sie nicht. Heute leitet Gebauer das Ministerium mit den derzeit wohl größten Herausforderungen. Mit Matthias Korfmann und Stephanie Weltmann sprach sie über ihre politische Heimat, den Lehrermangel und G 9.
Ihr Vater, der FDP-Politiker Wolfgang Leirich, war langjähriger Schuldezernent in Köln. Wie sehr war Politik Teil Ihrer frühen Jahre?
Yvonne Gebauer: Unser Haus war sehr offen, Politiker gingen bei uns ein und aus. Mit dem damaligen Bundesinnenminister Gerhart Baum bin ich in Köln Achterbahn gefahren. Grundsätzlich fand ich das als Kind alles sehr spannend. Nicht schön war allerdings, dass mein Vater aufgrund der Politik selten zu Hause war.
Sie sind in den 70ern aufgewachsen, die vom linken Zeitgeist geprägt waren. Warum sind Sie dem nicht gefolgt?
(lacht) Also, ich hatte auch ein Palästinensertuch und den grünen Parka, aber linke Demos waren nicht meine Welt. Ich war weder rebellisch noch angepasst, sondern stand in der Mitte, daher hat das mit der FDP einfach gut gepasst.
Jetzt haben Sie ein schwieriges Ministerium übernommen. An den Schulen fehlen Lehrer – kurzfristig ist das durch Uni-Absolventen nicht zu decken. Wie wichtig ist es, auf „Seiteneinsteiger“ zu setzen?
Es fehlen nicht nur Lehrer, sondern auch Erzieher, Schulsozialarbeiter und -psychologen. Wir werden in den kommenden Monaten eine große Kampagne starten, um für diese Berufe zu werben. Gerade in den naturwissenschaftlichen und technischen Fächern, den Mint-Fächern, wird das aber nicht reichen. Da brauchen wir schnell Hilfe von außen. Ich strebe eine Kooperation mit der Wirtschaft an, bei der Unternehmer zeitweise Mitarbeiter für einzelne Unterrichtsstunden zur Verfügung stellen könnten. Das möchte ich mit den Unternehmerverbänden, Arbeitgebern und Gewerkschaften besprechen.
Sie wollen Unternehmer dazu bringen, ihre Mitarbeiter auszuleihen?
Die Not ist groß und wir brauchen neue, innovative und unkonventionelle Ideen. Das Argument „haben wir ja noch nie gemacht“ lasse ich nicht gelten. Arbeitgeber haben ja auch ein Interesse daran, gut ausgebildeten Nachwuchs zu bekommen und daher setze ich hier auf freiwillige Kooperationen.
Eltern- und Lehrerverbände werden kritisieren, dass die Wirtschaft zu viel Einfluss nimmt auf Schule.
Diese Kritik ist mir lieber als die, dass der Unterricht gar nicht erst stattfindet. Grundlage des Unterrichts sind die Lehrpläne, daher wäre auch ein solcher Unterricht eingebettet in den normalen Fachunterricht. In den Mint-Fächern ist die Lage so dramatisch, dass wir alle Möglichkeiten in Betracht ziehen müssen.
Sie wollen möglichst viele Förderschulen vor der Schließung bewahren. Geht das nicht zu Lasten der Regelschulen, in denen Kinder mit Behinderung unterrichtet werden?
Wir wollen und werden die Schulen nicht gegeneinander ausspielen. Die Inklusion wird nicht zurückgedreht, sondern die Situation an den Regelschulen verbessert, nicht verschlechtert. Eines der wichtigsten Ziele ist, dass jetzt keine weitere Regelschule mit inklusivem Unterricht neu beginnt, wenn die Ressourcen vor Ort nicht da sind. Außerdem werden wir zukünftig vermehrt mit Schwerpunktschulen für Inklusion arbeiten, in denen die Bedingungen für guten gemeinsamen Unterricht stimmen. Oft bieten sich hier Gesamtschulen an, sie zu solchen Schwerpunktschulen zu machen.
Mit dem Turbo-Abi ist Ihrer Regierung ein Coup gelungen. 2005 hat Schwarz-Gelb die Basis für G 8 geschaffen, SPD und Grüne mussten es umsetzen und sind darüber gestolpert. Jetzt schaffen Sie es wieder ab und ernten Applaus.
G8 kann funktionieren, wenn man es richtig aufzieht und genügend Ressourcen zur Verfügung stellt, doch das ist nicht passiert. Aber auch der Zeitgeist ist ein anderer geworden. Eltern sehen Schule heute anders als vor zehn Jahren. Zu oft wurden Kinder überfordert, das haben wir verstanden. Wir arbeiten hier unter Hochdruck an dieser Reform.
Die Initiative „G 9 jetzt“ kritisiert, dass Sie erst 2019/20 zu G 9 zurückkehren wollen und dass nur die Fünftklässler davon profitieren. Warum wollen Sie so lange warten?
Die Details stehen noch gar nicht fest. Eine frühere Rückkehr zu G 9 ist nicht möglich, weil wir ja nicht nur einfach die Schulzeit um ein Jahr verlängern werden. Es müssen Lehrpläne angepasst, Inhalte festgelegt, sich die Lehrerversorgung angeschaut und Räume bereitgestellt werden. Außerdem verlangt die Umstellung ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren im Landtag. Das Ministerium und ich werden das gut vorbereiten und dann sorgfältig umsetzen. Alles andere wäre den Kindern, Eltern, Lehrern und Schulen nicht zuzumuten.
>> Kurz-Vita: Mit 16 trat sie in die FDP ein
Das Gespräch fand in einem Kölner Traditionscafé statt, das Yvonne Gebauer wohl stets mit Eissplittertorten verbinden wird. Denn die brachte ihr Vater, der langjährige Schuldezernent Wolfgang Leirich, seinen Kindern manchmal mit. „Etwas ganz Besonderes“, sagt die Ministerin.
Gebauer, 1966 geboren, trat mit 16 Jahren in die FDP ein. Sie ist die erste NRW-Schulministerin ohne akademische Qualifikation: Gebauer ist ausgebildete Rechtsanwaltsfachangestellte, arbeitete in der Immobilienbranche. Sie ist verheiratet, hat einen erwachsenen Sohn und zwei Hunde.