angeordnet. Unter ihnen sind auch zwei Ausländer, der Schwede Ali Gharavi und der 45-jährige Deutsche Peter Steudtner. Die Festnahmen bedeuten eine neue Eskalationsstufe im Vorgehen des Staatschefs Recep Tayyip Erdogan gegen seine tatsächlichen und vermeintlichen Gegner. Und einen neuen Tiefpunkt in den deutsch-türkischen Beziehungen.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) verurteilte die Inhaftierung des Menschenrechtlers Peter Steudtner scharf und forderte dessen Freilassung. „Wir sind der festen Überzeugung, dass diese Verhaftung absolut ungerechtfertigt ist“, sagte die Kanzlerin. Nach Angaben der Bundesregierung wurden in der Türkei in Zusammenhang mit dem versuchten Militärputsch bisher insgesamt 22 Deutsche festgenommen. 13 von ihnen seien wieder frei.
USA fordern Aufhebung des Ausnahmezustands
Auch die USA übten scharfe Kritik. „Die Vereinigten Staaten verurteilen die Inhaftierung von sechs respektierten Menschenrechtlern und verlangen ihre sofortige Freilassung“, sagte die Sprecherin des US-Außenministeriums, Heather Nauert, am Dienstag in Washington.
Strafverfolgungen wie diese, mit nur wenigen Beweisen und wenig Transparenz, würden die Reputation der Türkei als Rechtsstaat aushöhlen, sagte Nauert. Die USA wollen, dass die Vorwürfe fallengelassen werden, die Festgenommenen freigelassen und die Regelungen des Ausnahmezustands aufgehoben werden, die die Verfolgung von Personen erleichtere.
Festnahmen bei Workshop von Amnesty International
Büyükada, die größte der Prinzeninseln im Marmarameer vor Istanbul, ist bei Konferenzveranstaltern sehr beliebt. Sie kommen gern auf die autofreie Insel. Wie Amnesty International. Die Menschenrechtsorganisation veranstaltete dort Anfang Juli ein Treffen. Es sei „ein Routine-Menschenrechtsworkshop“ gewesen, „wie es sie auf der ganzen Welt gibt“, sagt Andrew Gardner von Amnesty. Das Thema: „Digitale Sicherheit und Informationsmanagement“ – eigentlich eine unverfängliche Tagesordnung.
Doch am zweiten Tag des Seminars, dem 5. Juli, stürmten Polizisten das Tagungshotel, beschlagnahmten Mobiltelefone und Computer. Zehn Teilnehmer wurden festgenommen, unter ihnen auch die Türkei-Direktorin von Amnesty, Idil Eser. Nach 13 Tagen im Polizeigewahrsam ließ ein Gericht am Dienstag vier der Festgenommenen frei. Für sechs wurde Untersuchungshaft angeordnet, darunter Eser, Gharavi und Steudtner.
Bis Montagabend hatten Freunde und Kollegen gehofft, dass Steudtner mithilfe von Verhandlungen freikommen würde, sagte Arndt von Massenbach, Geschäftsführer des Netzwerks Inkota aus Berlin, am Dienstag. Steudner hatte in der Vergangenheit auch für Inkota gearbeitet, der Verein veranstaltet entwicklungspolitische Seminare und vernetzt Kirchengemeinden, Weltläden und Initiativen, war aber an der Konferenz in Istanbul nicht beteiligt.
Amnesty-Generalsekretär Salil Shetty spricht von einer „politisch motivierten Hexenjagd“. Shetty: „Wir haben heute gelernt, dass die Verteidigung der Menschenrechte in der Türkei ein Verbrechen ist.“
per Dekret rund 138.000 Staatsdiener entlassen. 149 kritische Medien wurden geschlossen, 1500 Nichtregierungsorganisationen verboten. 56.000 Menschen sitzen in Untersuchungshaft. Sie kann in der Türkei bis zu fünf Jahre dauern. Bereits nach der Festnahme der zehn Menschenrechtler vor knapp zwei Wochen hatte die Sprecherin des Uno-Hochkommissariats für Menschenrechte, Liz Throssel, große Besorgnis geäußert: „Wir befürchten, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit gefoltert oder auf eine andere Art grausam und entwürdigend behandelt werden“, sagte Throssel in Genf.
Er will Untersuchungshäftlinge in einheitliche Uniformen stecken, „wie in Guantanamo“, dem berüchtigten US-Gefangenenlager auf Kuba. Misslich für die inhaftierten Menschenrechtler: Präsident Erdogan selbst hatte sie aufs Korn genommen: Das Seminar auf Büyükada sei „eine Fortsetzung des 15. Juli“ gewesen – eine Anspielung auf den Putschversuch vor einem Jahr.
Medien spekulieren über Verschwörung mit CIA
Noch ist nicht klar, welche Terrorgruppe die Beschuldigten unterstützt haben soll. Regierungsnahe türkische Medien spekulieren, die Menschenrechtler seien Teil einer antitürkischen Verschwörung unter Führung der amerikanischen CIA und des britischen Geheimdienstes. Es heißt, die Ermittler hätten Hinweise auf Verbindungen zur kurdischen PKK, zu linksextremistischen Gruppen, aber auch zur Bewegung des Erdogan-Erzfeindes Fethullah Gülen.
Die Regierung beschuldigt den in den USA lebenden Prediger als Drahtzieher des Putschversuchs. Gülen weist die Vorwürfe zurück. Seit Monaten bemüht sich die Türkei in Washington um eine Auslieferung Gülens, für den die Staatsanwaltschaft 3623 Mal lebenslange Haft fordert. Der türkische Vizepremier Numan Kurtulmus forderte am Montag von der US-Behörden, sie müssten Gülen „unverzüglich festnehmen“. Es sei inakzeptabel, dass „der Anführer einer blutrünstigen Mörderbande“ die Türkei aus den USA bedrohe, sagte Kurtulmus.
Bei Schuldspruch könnte jahrzehntelange Haft drohen
Dass Erdogan die verhafteten Menschenrechtler beschuldigt, bei ihrem Seminar in Büyükada Putschpläne geschmiedet zu haben, lässt Schlimmes befürchten. Bei einem Schuldspruch könnten ihnen jahrzehntelange Haftstrafen drohen. Erdogan hatte am vergangenen Wochenende angekündigt, die Putschisten würden „hinter den Gefängnismauern verfaulen“.
Steudters Lebensgefährtin Magdalena Freudenschuss bezeichnete die Terrorvorwürfe als „total absurd“. Sie seien „das Gegenteil dessen, wofür Peter und Ali und die anderen Menschenrechtsverteidiger mit ihrer Arbeit stehen“, erklärte Freudenschuss in Istanbul. Die Inhalte des Seminars seien „in keiner Weise politisch“ gewesen. (mit dpa)
Sie haben vermutlich einen Ad-Blocker aktiviert. Aus diesem Grund können die Funktionen des Podcast-Players eingeschränkt sein. Bitte deaktivieren Sie den Ad-Blocker,
um den Podcast hören zu können.