Berlin. Laut Statistik haben die Parteien im vergangenen Jahr mehr junge Mitglieder aufgenommen. Doch dürfen die Neuen überhaupt mitreden?
- Laut Statistik haben die Parteien im vergangenen Jahr mehr junge Mitglieder aufgenommen
- Doch dürfen die Neuen überhaupt mitreden?
Raphael Brandmiller hat eine beachtliche Politikerkarriere hinter sich: Vom damaligen SPD-Generalsekretär Franz Müntefering wurde der Augsburger Anfang der 2000er-Jahre für seine Wahlkampfaktionen gelobt. Nach einem Parteiwechsel sollte Brandmiller im Jahr 2013 sogar Bürgermeisterkandidat der Grünen werden. Doch dann kam alles anders und Brandmiller kehrte der Politik nach einem lokalen Finanzskandal, für den er nichts konnte, den Rücken. Im Rückblick kritisiert er, wie Parteien mit jungen Mitgliedern umgehen.
„Die Parteistrukturen erinnern an die Zeit direkt nach dem Zweiten Weltkrieg“, sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. Über Parteifunktionäre urteilt er: „Bei einer Wahl zum Klassensprecher würden die wenigsten gewinnen.“ Bei Schulwahlen könnten schließlich alle teilnehmen, über Parteiposten bestimmten aber nur andere Parteimitglieder.
Brandmiller wirkt bei seiner Kritik nicht verbittert, kann sich sogar eine Rückkehr in die Politik vorstellen, wenn sein Job dies wieder zulässt. Doch seine Kritik ist symptomatisch für viele junge Menschen, die sich politisch engagieren wollen – aber von veralteten Strukturen ausgebremst werden.
Junge Politikinteressierte suchen lieber im Internet als in der Kneipe nach Antworten
Die Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen hat deshalb Forderungen aufgestellt, wie junge Leute besser in Parteien eingebunden werden könnten. Sie fordert unter anderem eine Zwischenstufe zwischen Mitgliedschaft und Nicht-Mitgliedschaft, Online-Mitarbeit und ein Ende der Organisation in Ortsverbänden, die man nur in Ausnahmefällen wechseln kann.
Zuspruch erhält die Stiftung von Jörg Tremmel, Privatdozent am Institut für Politikwissenschaft der Universität Tübingen. Parteien haben dessen Ansicht nach nicht erkannt, wo sie junge Menschen besser erreichen könnten. „Der virtuelle Ort des Handelns ist für junge Menschen heute mitunter wichtiger als der Wohnort“, sagt Tremmel im Gespräch mit unserer Redaktion. Junge Menschen suchten eher im Internet nach politischen Themen als in der Kneipe bei der Sitzung eines Ortsverbandes. Doch wie wollen die Parteien mit diesem Trend umgehen?
CDU: Online-Beteiligung und Hilfe für junge Wahlkämpfer
Die CDU hebt gegenüber unserer Redaktion zwei Punkte hervor: stärkere Online-Beteiligung und neue Veranstaltungsmodelle. So sollen Workshops junge Mitglieder für den Wahlkampf schulen. Das Werben um junge Talente hat die CDU auch nötig, denn das Durchschnittsalter der Mitglieder beträgt 60 Jahre.
Die Einbindung von Nicht-Mitgliedern scheint nicht im Fokus der Christsozialen zu liegen. Die CDU bezeichnet sich selbst schließlich als „Mitgliederpartei“. Dieser Hinweis klingt dann wieder nach endlosen Diskussionen bei schalem Bier im Hinterzimmer einer Dorfkneipe. Mit dieser Hinterzimmeratmosphäre hatte im Jahr 2016 Marlon Bröhr gefremdelt. Beim Landesparteitag der CDU in Rheinland-Pfalz hatte er die Partei mit deutlicher Kritik wach gerüttelt. „Man muss aufpassen, dass man beim Marsch durch die Institutionen nicht zum Arsch durch die Institutionen wird”, zitierte er den Autoren Marc-Uwe Kling.
CSU: Junge Union nimmt junge Mitglieder mit auf Entdeckungstour
Gerecht ist laut CSU, was den kommenden Generationen nicht zur Last fällt. Dass auch stundenlange Stammtischreden eine Last sind, hat die Partei wohl erkannt. Die Partei holt deshalb die jungen Menschen aus dem miefigen Vereinsheim an die frische Luft. „Die Junge Union Bayern veranstaltet zur Mobilisierung vor allem jüngerer Wähler eine ,Jungwählertour’ durch ganz Bayern“, teilt die CSU auf Anfrage unserer Redaktion mit.
„Knapp 13.000 der CSU-Mitglieder sind unter 35 Jahre, dies entspricht einer Quote von 9 Prozent. 40 Prozent der Neumitglieder im letzten Jahr sind unter 35 Jahre alt“, erklärt die CSU und könnte so schon mal neue Busse für die Rundreisen chartern. Der Altersdurchschnitt der CSU liegt insgesamt bei etwa 59 Jahren.
SPD: Auf dem Schulzzug ist wenig Platz für Jugendliche
Die SPD ist nicht nur die älteste der im Bundestag vertretenen deutschen Parteien – ihre Mitglieder sind es auch. Im Schnitt ist ein SPD-Mitglied 60 Jahre alt. Wesentlich niedriger war der Altersschnitt bei einem so genannten Hackathon. Bei der Veranstaltung konnten Entwickler auch ohne Parteibuch Vorschläge für den digitalen Wahlkampf einreichen.
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Trotz solcher Aktionen gibt es immer wieder Kritik an der mangelnden Jugendfreundlichkeit der Partei, die nicht zuletzt Raphael Brandmiller deutlich zusammengefasst hat. Ein Satz auf der Webseite von Spitzenkandidat Martin Schulz wirkt da zynisch: „Wenn man jung ist, will man die Welt verändern. Je älter man wird, desto mehr versteht man, wie das geht.“ Es klingt als müssten SPD-Mitglieder erst die jahrelange Ochsentour durch alle Gremien machen, um wirklich etwas bewegen zu können.
Die Linke: Interessierte dürfen mitreden – aber wie?
Die Linke lässt junge Politikinteressierte auch dann mitreden, wenn sie nicht in der Partei sind.
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ein Wahlprogramm verabschiedet, das nach eigenen Angaben „Forderungen von Mitgliedern sowie Sympathisantinnen und Sympathisanten enthält“. Doch wie diese Vorschläge in das Wahlprogramm kamen und wie Interessierte am nächsten Wahlprogramm mitwirken können, bleibt unklar.
Dabei gäbe es genug junge Interessierte: bis zum 31. Dezember 2016 waren rund 9900 Mitglieder der Partei 35 Jahre oder jünger, wie aus dem Bericht des Parteivorstandes zum letztjährigen Parteitag hervorgeht.
Die Grünen: Generationengerechtigkeit betrifft auch ältere Generationen
Viele Forderungen der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen werden bei den Grünen schon umgesetzt. Einige Landesverbände verzichten auf strenge Ortsbindung und bieten Probemitgliedschaften an. Zur Online-Beteiligung heißt es aus der Parteizentrale: „Ja, wir wollen 2020 die erste Partei sein, die Offline und Online auf allen Ebenen verbindet.“ Die Partei sieht aber Grenzen: eine Online-Beteiligung ersetze nicht das Treffen in Ortsverbänden oder Diskussionen auf Parteitagen. Dort hat die Grüne Jugend im übrigen Antragsrecht.
Dass die Partei sich um die Jugend kümmert, liegt vielleicht auch daran, dass die Partei mit einem Durchschnittsalter von 50 Jahren relativ jung ist. Die Partei hat nach eigenen Angaben „12.216 Mitglieder unter 36 Jahren, das sind 21,3 Prozent der Mitglieder“.
Für die Grünen zählt zur Generationengerechtigkeit auch der Blick auf ältere Generationen. „Mit den Grünen Alten befinden wir uns derzeit in einem Strukturprozess mit dem Ziel, diese zu stärken“, erklärt ein Sprecher der Partei.
FDP: Liberale lassen per Internet abstimmen
Wie die Grünen, setzt auch die FDP auf Online-Beteiligung.
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. Initiativen der Jugendorganisation finden aber relativ selten den Weg in die Öffentlichkeit. Dass junge Mitglieder weiterhin auf das Wohlwollen erfahrenerer Parteifunktionäre hoffen müssen, scheint wahrscheinlich.
AfD: Kaum konkrete Angebote an junge Mitglieder
Aktuelle belegbare Zahlen zum Durchschnittsalter und dem Anteil junger Mitglieder in der Partei liegen nicht vor. In den Medien wurde jedoch immer wieder von einem Durchschnittsalter von etwa 50 Jahren berichtet. Trotz relativ niedrigem Altersdurchschnitt finden sich im Parteiprogramm jedoch kaum Angebote an junge Mitglieder.
Ausblick: Was macht Politik attraktiver?
Wenn die Parteien nicht auf die Jugend zugehen, verlieren sie an Bedeutung und könnten zu Wahlvereinen verkommen, die nur noch aus den Spitzenkandidaten bestehen. Der Politikwissenschaftler Jörg Tremmel sagt: „Auf jeden Fall sind externe Schocks nötig – zum Beispiel Ereignisse wie der Brexit oder die Wahl in Frankreich“. Emmanuel Macron habe seine Partei auch ohne feste Strukturen aufgebaut und viele junge Quereinsteiger zu Amtsträgern gemacht. Die Forderung der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen nach einer Quote für junge Politiker auf Wahllisten könnte laut Tremmel in Deutschland zu Änderungen führen.
Vielleicht müssen sich aber Interessierte auch an die eigene Nase fassen. Die Bloggerin und CDU-Politikerin Diana Kinnert ist beispielsweise selbst aktiv geworden, als Strukturen sie ausgebremst haben. Vor Ort wurde sie blockiert, so „dass ich mein Engagement schnell über die Parteiarbeit vor Ort ausweitete, und beispielsweise über Blogs im Internet zu Bundesthemen diskutierte“, sagte sie unserer Redaktion.
Trotz aller Kritik sieht das Grünen-Mitglied Raphael Brandmiller aber auch die Jugend selbst in der Pflicht. Man dürfe Parteifunktionäre so lange nicht verteufeln, wie diese sich engagierten. Denn „man muss den Leuten lassen: Sie sind es, die den Hintern hoch kriegen, um etwas zu verändern“. Zudem gebe es genug Leute, die genau nach den Strukturen suchen, die Parteien bieten.