Essen. . Der Liedermacher Stephan Sulke über Erziehungsfragen, Gleichberechtigung und das Glück in seiner langjährigen Ehe.

Es ist eigenartig, wenn einer wie er ohne sein Werkzeug, sein Instrument kommt. Nach einer Weile wird es einem bewusst. Keine Gitarre, kein Klavier. Da wirkt Stephan Sulke irgendwie nackt. Aber er ist ja nicht nach Berlin gekommen, um Musik zu machen, sondern um über sie zu sprechen. Gerade hat er ein neues Album herausgebracht. „Liebe ist nichts für Anfänger“ heißt es. Mit 73 Jahren kann Sulke immer noch wunderbar über Herzensangelegenheiten singen. Beim Interview im Hotel Steigenberger geht es aber neben der Liebe auch um Erziehung und Berlin. Denn zu der Stadt hat der Sänger eine familiäre Beziehung.

Ihre Eltern sind 1939 vor den Nazis aus Berlin geflohen. Vier Jahre später wurden Sie in Shanghai geboren und nach dem Krieg wuchsen Sie in der Schweiz auf. Haben Ihre Eltern Ihnen etwas von ihren Berliner Jahren erzählt?

Stephan Sulke: Mein Vater ist sehr früh gestorben. Da war ich viereinhalb. Von ihm habe ich keine direkten Erinnerungen. Meine Mutter war ein politisch nicht übermäßig interessierter Mensch. Sie war sehr pragmatisch, hat eigentlich ziemlich trocken über diese Zeit gesprochen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass sie sie gar nicht so schlecht fand, im Sinne von „es war halt Abenteuer“.

Was haben Ihre Eltern in Berlin gemacht?

Sulke:Er war Immobilien- und Rohwaren-Makler. Meine Vorfahren väterlicherseits lebten ursprünglich im heutigen Polen. Im 19. Jahrhundert haben sie mit einer Kohlehandlung angefangen.

Und Ihre Mutter?

Sulke:Die war hübsch.

Berlinerte sie?

Sulke:Nein, sie sprach ein perfektes Hochdeutsch.

Gibt es das Haus noch, in dem Ihre Eltern gewohnt haben?

Sulke:Es ist gegenüber vom Kempinski in der Fasanenstraße.

Gibt es etwas Berlinerisches, was Sie von zu Hause mitbekommen haben?

Sulke:Natürlich habe ich diese deutsch-preußisch latent arrogante und gleichzeitig kluge Mentalität mitbekommen. Aber ich bin kein professioneller Berliner. Meine Beziehung zu Berlin besteht darin, dass ich manchmal Heimweh nach einer imaginären Vergangenheit habe. Dann frage ich mich: Was wäre gewesen, wenn ich in Berlin aufgewachsen wäre? Wie anders wäre ich? Wie anders wäre das Leben gegangen? Aber mehr eigentlich nicht. Ich bin kein Sentimentalo. Ich finde mich mit dem ab, was ist.

Wo fühlen Sie Heimat?

Sulke:Da muss ich Sie enttäuschen. Ich bin der hundertprozentig Heimatlose. Ich fühle mich wohl, dort wo ich bin. Ich spreche vier Sprachen fließend und zwei noch so nebenbei. Ich bin wirklich sehr Europäer.

Das ist ja eigentlich eine Stärke.

Sulke:Es hat aber auch einen gewissen Nachteil. Das Stallgefühl geht komplett ab. Manchmal ist da bei mir so eine wehmütige Eifersucht auf Menschen, die immer an der gleichen Stelle gewesen sind. Die Wurzeln haben. Manchmal sehne ich mich nach so was.

Gibt es noch Spuren Ihrer Familie in Berlin?

Sulke:Ich habe sehr entfernte Verwandtschaft hier. Mit denen ich aber eigentlich keinen Kontakt habe. Ich glaube auch, dass es irgendwo noch einen Grabstein von irgendjemandem gibt. Auf irgendeinem verlorenen Friedhof. Wissen Sie, mich hat das früher alles nie interessiert. Weil ich viel zu jung und viel zu sehr mit mir selber beschäftigt war. Ich habe mich erst viel später aus purer Neugier dafür interessiert. Nur war es da schwierig zu rekonstruieren, weil alle Direktbeteiligten längst im Himmel waren – oder in der Hölle.

Sie haben nun mit 73 Jahren ein neues Album herausgebracht. Es gibt ein Lied auf der neuen Platte, da singen Sie: Wenn einer so wie ich erzogen ist, kein Wunder, wenn der mal den guten Ton etwas vermisst. Wie wurden Sie denn erzogen?

Sulke:Genauso. Ich mag diesen Song.

Fehlt Ihnen der gute Ton heute manchmal?

Sulke:Und wie. Schauen Sie mal, ich wurde erzogen! Meine Mutter hat sich vor die Tür gestellt, mich angeguckt und gewartet, dass ich gefälligst die Tür aufmache. Das war einfach selbstverständlich. Oder dass du dich erst hinsetzt, wenn sie sitzt. Und so machst du es mit anderen Damen auch. Es war selbstverständlich, wenn eine Dame aufsteht, dass du dann auch aufstehst. So, das ist meine Erziehung. Wenn ich diesen ganzen Genderquatsch heute sehe, wenn kein Unterschied mehr zwischen Männlein und Weiblein besteht, dann können wir die ganze Sexualität auch in den Mülleimer schmeißen. Dann brauche ich doch der Frau nicht mehr die Tür aufhalten, dann soll sie sie mir aufhalten. Verstehen Sie, es geht ja alles kaputt dabei.

Und Ihre ganze schöne Erziehung futsch?

Sulke:Das Schönste, was es gibt, ist doch dieser Unterschied zwischen Männlein und Weiblein. Das ist etwas so Schönes und ist in der gesamten Natur vorhanden, und nur diese kranken Menschen hier im zivilisierten Westen haben beschlossen, dass das abgeschafft werden muss. Ich bin absolut gegen das Emanzentum. Das widert mich an. Aber verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin nicht gegen Gleichberechtigung. Ich finde, dass eine Frau im Job den gleichen Preis bekommen muss wie ein Mann. Das ist für mich kein Diskussionsthema. Das ist selbstverständlich. Dass sie die gleichen politischen Rechte hat wie ein Mann. Alles ok. Und wenn sie mit Sex nichts zu tun haben will, ist das auch ok. Es geht mir darum, dass das Ritterliche verloren geht. Dass der Mann gefälligst ein bisschen Untertan sein soll gegenüber der Dame. Dass das zerstört wird aus irgendwelchen Politwahnsinnsgründen, finde ich krank.

Spiegelt sich das in Liedern heute wider? Sind die Texte anders?

Sulke:Die Musik ist genau das Gegenteil. Wenn Sie die ganzen Hip-Hop-Typen sehen. Dieses „Oh fuck the lady“. Das ist ja das Anti-Gender-Gleichheitsprinzip in die Höhe getrieben. Die benehmen sich ja wie saudische Prinzen. Es gibt ja mittlerweile einen männlichem Chauvinismus, bei dem die Mädels nur noch reine Sexualobjekte sind. Wo genau das Gegenteil passiert. Würde mich nicht erstaunen, wenn das eine Reaktion ist. Wenn das Pendel zu extrem in die eine Richtung geht, dann geht es plötzlich in die andere Richtung zu extrem.

In Ihren Songs geht es auch um Liebe. Gibt es die große Liebe?

Sulke:Das Leben wird sehr öde, wenn man nicht irgendjemanden hat, den man hochtragen kann. Das ist eigentlich meine Definition von Liebe: Liebe hat für mich etwas mit Vergötterung zu tun.

Wie ist die Liebe mit 73?

Sulke:Sie ist weniger sexuell. Ist ja klar. Es ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Liebe in Wirklichkeit eine unerreichbare Chimäre ist. Es geht einfach immer in die Hosen. Es ist irgendwo nicht machbar.

Also keine lebenslange Liebe?

Sulke:Natürlich gibt es die. Aber das ist Glückssache. Faust: „Ach, Augenblick, verweile doch.“ In Wirklichkeit sind es Momente, die ja dann auch nur Illusionen sind. Es sind diese Bilder, die man sich macht. Das hat doch jeder erlebt. Man hat irgendwie eine Jugendliebe, für ihn war sie die Göttin und für sie er der Gott. Dann trifft man sich per Zufall 40 Jahre später – und ist absolut erschrocken. Man merkt, dass man sich in etwas verliebt hat, das es gar nicht gibt.

Sie leben nun schon sehr lange mit einer Frau zusammen.

Sulke:Seit ewig. Seit 40 Jahren.

Wo leben Sie?

Sulke:In Südfrankreich und in der Schweiz. Hin und her.

Und wenn Sie von der Liebe schreiben, stürzt das aus Ihnen heraus oder erinnern Sie sich an eine Begebenheit?

Sulke:Es stürzt so heraus. Ich habe einfach mit der Liebe sehr viel Glück gehabt. Du kannst nicht voraussehen, wie Menschen sich entwickeln. Das Glück ist einfach, wenn beide sich in eine Richtung entwickeln, die kompatibel bleibt. Wie auch immer: Die Liebe kann ich ja auch beschreiben, ohne dass ich immer alles selbst direkt erlebt haben muss am eigenen Körper. Ich kann die Dinge ja auch geistig erlebt haben. Schauen Sie, auf der neuen CD habe ich zwei Songs, die ich mag. Einer heißt: „Liebe ist nichts für Anfänger“ und der andere heißt „Ich geb mein Herz nie mehr“. Der Titel des zweiten Songs ist der Schmerzausdruck von jemandem, der so zerstört ist, dass es schon beinahe in Hass übergeht oder in Gleichgültigkeit, weil er sonst zugrunde gehen würde. Die Gefühle kennen wir ja alle, jeder, der ein bisschen Blut in den Adern hat, hat das irgendwann mal erlebt. Was mache ich dann? Ich nehme solche Bruchstücke und bau mir dann wie jeder Romancier eine Geschichte zusammen, in der ich dann auch aufgehe, an die ich dann auch glaube. Also irgendwo ist man ein Traumwandler.

Spielen Sie die Lieder Ihrer Frau vor. Ist Sie von Ihrer Fantasie überrascht?

Sulke:Mache ich nie. Das habe ich immer getrennt. Erstens gibt es ein sprachliches Problem, weil ihr Deutsch niemals reichen würde für die Komplexität meiner Texte. Sie ist Italienerin. Zweitens: Wahrscheinlich würde sie mich stören.

Sie würde Sie stören?

Sulke:Ja, glaube ich schon.

Geht Sie denn auf Ihre Konzerte?

Sulke:Natürlich. Und scheißt mich dann die ganze Zeit zusammen, wie schrecklich ich sei.

Was findet Sie denn schrecklich?

Sulke:Wenn ich melancholische Sachen mache, findet sie, dass das Publikum zum Einschlafen kommt. Ich sage dann zu ihr: Du, wenn die Leute nicht reagieren, kann es auch sein, dass sie einfach gerührt sind.

Zur Person:

Der Liedermacher Stephan Sulke wurde am 27. Dezember 1943 in Shanghai geboren. Schon in den 60er-Jahren veröffentlichte er in Frankreich, Deutschland und den USA seine ersten Platten. 1982 landete er mit „Uschi“ seinen größten Hit. Gerade ist sein neues Album „Liebe ist nichts für Anfänger“ herausgekommen.