Berlin. Kerngesunde Menschen geben sich als Pflegefälle aus, Patienten stellen sich hilfsbedürftiger, als sie sind, Ärzte schreiben falsche Atteste – und Pflegedienste rechnen bei den Kassen Leistungen ab, die sie nie erbracht haben. Mit diesem Geschäftsmodell holen sich betrügerische Anbieter in Deutschland Versichertengelder in Millionenhöhe aus den Pflegekassen. Seit Langem versuchen Ermittler, Licht ins Dunkel der Pflegemafia zu bringen – nun gibt es neue Ergebnisse zum Ausmaß der kriminellen Netzwerke.
Kerngesunde Menschen geben sich als Pflegefälle aus, Patienten stellen sich hilfsbedürftiger, als sie sind, Ärzte schreiben falsche Atteste – und Pflegedienste rechnen bei den Kassen Leistungen ab, die sie nie erbracht haben. Mit diesem Geschäftsmodell holen sich betrügerische Anbieter in Deutschland Versichertengelder in Millionenhöhe aus den Pflegekassen. Seit Langem versuchen Ermittler, Licht ins Dunkel der Pflegemafia zu bringen – nun gibt es neue Ergebnisse zum Ausmaß der kriminellen Netzwerke.
Wie arbeiten die Pflegebetrüger?
Pflegebetrug ist ein lukratives Geschäft: Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt von Jahr zu Jahr, der unübersichtliche Markt der ambulanten Pflegedienste wächst stetig, die Grauzonen sind groß, und die Behörden kommen mit den Kontrollen kaum nach. Im letzten Jahr flog bei einer Razzia in Berlin-Spandau ein Pflegedienst auf – die russischsprachige Geschäftsführerin soll mit mehr als 30 Patienten zusammengearbeitet haben. Einige der vermeintlich Pflegebedürftigen hatten offenbar mehrere Hundert Euro im Monat dafür bekommen, dass sie bei dem Betrug mitspielten und sich bei der Einstufung durch die Kassen hilfsbedürftiger stellten, als sie waren. Im Jahr zuvor liefen Ermittlungen gegen fünf Deutsche, ebenfalls aus russischen Familien: Sie hatten nicht oder nur zum Teil erbrachte Pflegeleistungen abgerechnet, einige Pflegepatienten waren in die Betrugshandlungen teilweise eingebunden. Einerseits wurde ihnen Bargeld übergeben oder in Vorbereitung auf das Gespräch zur Pflegeeinstufung auf sie eingewirkt. Andererseits stellten einige Pflegedienste Mitarbeiter ein, die dann unter anderem ihre eigenen Angehörigen pflegten – den Schaden beziffert das Bundeskriminalamt mit 1,4 Millionen Euro.
Wie verbreitet ist Betrug in der Pflege?
Im Zentrum der bundesweiten Ermittlungen stehen aktuell rund 230 Pflegeanbieter mit osteuropäischen Gründern. Betrugsschwerpunkte liegen in Berlin und Nordrhein-Westfalen, wie aus dem Abschlussbericht der Sonderermittlungsgruppe von Bundeskriminalamt (BKA) und Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen hervorgeht, der dieser Redaktion vorliegt und über den zuerst die „Welt“ und der Bayerische Rundfunk berichtet hatten. Die Ermittler identifizierten 950 Pflegedienste, die sich in Deutschland auf die Betreuung russischsprachiger Patienten spezialisiert haben. Rund ein Viertel dieser Unternehmen fiel den Kriminalbeamten auf. Die meisten Tatverdächtigen kamen aus der Ukraine, Russland und Kasachstan. Ein Großteil der betrügerischen Pflegedienste soll in bundesweiten Netzwerken agiert haben, die meisten von ihnen wurden offenbar von Berlin aus gesteuert. Viele der beschuldigten Pflegedienst-Betreiber sollen zusätzlich auch in andere kriminelle Machenschaften verwickelt sein – etwa Steuerhinterziehung, Geldwäsche, Schutzgeldzahlungen und Glücksspiel. In den vergangenen Jahren hatte das Bundeskriminalamt (BKA) immer wieder vor kriminellen Netzwerken aus Russland gewarnt.
Was kann die Politik tun?
Die Bundesregierung hat die Kontrollen bereits verschärft: Die rund 13 000 Pflegedienste, die in der ambulanten Altenpflege tätig sind, dürfen im Verdachtsfall unangemeldet kontrolliert werden. Bei den 200 bis 300 Diensten, die ausschließlich häusliche Krankenpflege machen, war das bis vor Kurzem nicht der Fall. Mit dem dritten Pflegestärkungsgesetz, das seit Januar in Kraft ist, wurden die Kontrollen auf diesen Bereich ausgeweitet. Jetzt können sämtliche Pflegedienste in Deutschland vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung unangemeldet kontrolliert werden, wenn ein Verdacht gegen sie vorliegt. Außerdem sind die Pflegekassen verpflichtet, schon bei der Zulassung von Pflegediensten sicherzustellen, dass sich kriminelle Pflegedienste nicht einfach unter neuem Namen oder über Strohmänner eine neue Zulassung erschleichen können.
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe forderte am Dienstag eine vollständige Aufklärung: Die verschärften Vorschriften müssten konsequent umgesetzt werden. Dazu gehöre auch, dass die Ermittlungsbehörden Fälle kriminellen Handelns lückenlos aufklärten. Der CDU-Politiker appellierte zudem an die Länder, sich stärker gegen Kriminalität in der Pflege einzusetzen: „Es ist wichtig, dass die Bundesländer genau prüfen, inwiefern eine stärkere Nutzung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften für das Sozialrecht helfen kann, Verfahren gegen betrügerische Pflegedienste zu beschleunigen und die Aufklärung zu verbessern“, sagte Gröhe dieser Zeitung.
Experten beklagen, dass es selten zu Verurteilungen kommt, immer wieder würden Ermittlungen eingestellt oder Anzeigen schleppend verfolgt.