Mülheim. . Beim kleinen Parteitag in Mülheim lenkt die abgestrafte Regierungspartei ihren Frust auf Kritiker wie Trittin und Kretschmann.

Die Mülheimer Stadthalle hatten die NRW-Grünen für diesen Sonntag eigentlich gebucht, um über anstehende Koalitionsverhandlungen zu beraten. Daran erinnert die politische Geschäftsführerin Marianne Weiß in ihren Begrüßungsworten, und es klingt wie ein makabrer Witz. 80 Delegierte des Landesparteirats sitzen hier nun beisammen, um einen dramatischen Absturz bei der Landtagswahl zu beraten. Statt des angestrebten zweistelligen Ergebnisses haben die Grünen ihren Stimmenanteil gegenüber 2012 fast halbiert. Die Landtagsfraktion ist von 29 auf 14 Mitglieder geschrumpft. Gerade noch gefühlte Volkspartei, ist man plötzlich kleinste Opposition in Düsseldorf.

Geschäftsführerin Weiß macht sich auf ein Scherbengericht mit der Basis gefasst und bat, der Wahlkampfslogan „Herz statt Hetze“ möge die interne Aufarbeitung leiten. „Da kann sich der Landesverband noch etwas nach oben entwickeln“, sagt Weiß. Hinter den Grünen liegen Tage, in denen vor allem Spitzenkandidatin und Schulministerin Sylvia Löhrmann für das Desaster verantwortlich gemacht wurde. Inklusion, Turbo-Abitur, Unterrichtsausfall – wer schon solche Verliererthemen mit sich herumtrage, dürfe nicht noch auftreten wie eine genervte Studienrätin in der sechsten Stunde, wird gelästert. An die abgewählten Grünen-Minister Johannes Remmel und Barbara Steffens sowie den Parlamentarischen Geschäftsführer Horst Becker geht gar der Appell, das Landtagsmandat nicht anzutreten und Platz für jüngere Nachrücker zu machen. Doch nur Löhrmann hat ihre Bereitschaft erklärt, in diesem Sommer in Politrente zu gehen.

Geschickt lenkt Löhrmann in ihrer Rede den Frust rasch auf äußere Gegner um. Auf den grünen Strippenzieher Jürgen Trittin etwa, der noch am Wahlabend im Fernsehen erklärt habe, „die Löhrmann ist zu blöd und die Schulpolitik scheiße“, poltert die abgewählte Schulministerin. Auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann muss als Blitzableiter herhalten. Der hatte den NRW-Grünen einen „gesinnungsethischen Überschuss“ vorgeworfen und damit den Hang des eher linken Landesverbandes kritisiert, Bürgern und Unternehmen die ökologisch korrekte Lebens- und Arbeitsweise vorschreiben zu wollen. Auch der Bundestagsabgeordnete Oliver Krischer verbittet sich „Ratschläge aus dem Stuttgarter Talkessel“.

Wenige Führungsfiguren

Löhrmann versöhnt die Delegierten später mit der Ankündigung, nach 22 Landtagsjahren nun „ei­nen Punkt“ zu machen: „Ich scheide ohne Zorn.“ Einen Dienstwagen brauche sie ohnehin nicht: „Ich bin gar nicht gerne auf engem Raum mit Menschen.“ Es folgt freundlicher Beifall, dem der Landesvorsitzende Sven Lehmann den wenig schmeichelhaften Satz hinterher schickt: „Es wird der letzte Applaus des heutigen Tages sein.“ Hinter der harmonischen Fassade brodelt es schließlich. „Wir müssen damit Schluss machen, über die Presse Dinge anonym und feige auszufechten“, fordert die Co-Landesvorsitzende Mona Neubaur. Eine Delegierte aus Münster beklagt daraufhin vom Rednerpult aus, „dass unser Landesverband vermachtet ist“.

Tatsächlich sind es wenige Führungsfiguren, die seit über 20 Jahren das Sagen haben. Der Nachwuchs rekrutierte sich meist aus den parlamentarischen Mitarbeitern der Altvorderen. Frischer Wind? Das Wahldebakel sorgt dafür, dass in der 14-köpfigen Mini-Landtagsfraktion fast durchweg Abgeordnete sitzen, die eine gefühlte Ewigkeit die Grünen in NRW repräsentieren. Am kommenden Dienstag soll sogar darüber abgestimmt werden, ob das verbliebene Häuflein künftig von ei­ner Doppelspitze angeführt wird. Dafür stehen Monika Düker und Arndt Klocke in den Startlöchern. Beide waren vor Jahren schon einmal Landesvorsitzende.