Berlin. In NRW setzte es eine herbe Niederlage für SPD-Chef Martin Schulz. Auch die dritte Landtagswahl seit seiner Ernennung geht verloren.
Auch er hat geackert. Nur hat es wenig genutzt. Darum ist Martin Schulz „nachdenklich“ geworden. Mit dem SPD-Kanzlerkandidaten sinnt seine Partei darüber, was sie in Nordrhein-Westfalen falsch gemacht hat, aber im Bund besser machen sollte. Schuldzuweisungen kommen Schulz bei der ersten Stellungnahme am Wahlabend im Willy-Brandt-Haus nicht über die Lippen. Der ehemalige Fußballer sagt sich: „Wir gewinnen gemeinsam, wir verlieren gemeinsam.“ Doch Schulz wirkt angefasst. „Wir haben richtig was an der Hacke“, bricht es aus ihm heraus.
Der Absturz ist das Ergebnis eines Überraschungserfolgs der CDU – auf der ganzen Linie. Die Grünen – halbiert. Rot-Grün – abgewählt. Der „Schulz-Effekt“ – verpufft. Machtwechsel sind selten in Deutschland. Zwei binnen sieben Tagen, in Schleswig-Holstein und an Rhein und Ruhr, sind eine Rarität. In NRW leben 17,6 Millionen Menschen, mehr als jeder fünfte Bundesbürger, und bereits in vier Monaten steht die Bundestagswahl an. Wenn diese Wahl kein Stimmungstest für den Bund war, was dann? Für die SPD wurde ein Albtraum wahr: dritte Landtagswahl in diesem Jahr und dritter Misserfolg.
Jetzt muss Schulz für die SPD schnell neue Haltelinien finden
Haltelinien müssen jetzt her. Wenn es für Merkels Herausforderer Martin Schulz einen Trost gibt, ist es, dass er keine Rücksichten nehmen muss. Der Landtagswahlkampf sollte nicht von einer Programmdebatte im Bund überlagert werden – Ministerpräsidentin Hannelore Kraft wollte das nicht.
Weil sie den Wahlkampf auf sich und NRW fokussiert hat, hielt sich Schulz zurück, verriet nicht im Detail, wofür er steht, was seine Machtperspektive ist, mit wem er im Bund regieren würde. War es ein Fehler, sich von der Linkspartei zu distanzieren? Womöglich ist eine Fortsetzung der großen Koalition noch die beste aller Perspektiven. Bleibt Schulz überhaupt was anderes übrig im Bund, wenn die Volksparteien auch im größten Bundesland koalieren sollten?
Kraft ist abgewählt. Das nimmt Druck von Schulz. Er kann sich nun auf seine Stärken besinnen: Seine Themen, seine Strategie, seine Kampagne durchziehen. Die Frage ist nur, wie er seine Partei aufrichten will. NRW ist nicht irgendein Pflaster für die SPD, die Partei steht vor einem Neuaufbau. Auf das, was am Sonntag passiert ist, war keiner vorbereitet. Ein Kopf-an-Kopf-Rennen, ein Fotofinish schien möglich; nicht aber die Deklassierung, die eintrat. „Das ist ein ganz bitterer Tag, das ist unser Stammland. Dort zu verlieren, ist besonders hart“, räumt SPD-Generalsekretärin Katarina Barley ein.
NRW-Ergebnis ist für Schulz nur eine „Delle“
In NRW lebt ein Großteil der Arbeiterschaft, hier sind die Traditionskompanien der SPD zu Hause. Womöglich ist genau das passiert, sie sind zu Hause geblieben. Schulz wird eine Anleihe bei der Kanzlerin nehmen müssen. „Landtagswahl ist Landtagswahl“, hatte Angela Merkel vor sieben Tagen gesagt, direkt nach dem Erfolg in Schleswig-Holstein. Nun wird sich Schulz mit dem Motto Mut machen müssen. „Der Bundestagswahlkampf beginnt ja erst jetzt“, sagt (sich) Barley. Schulz selbst nennt das NRW-Ergebnis eine „Delle“. Und eine Delle lässt sich eben ausbügeln.
Die SPD will sich den Schulz-Effekt nicht ausreden lassen. Als er Anfang des Jahres auf den Schild gehoben wurde, war seine Partei bundesweit in Umfragen bei 20 Prozent. Jetzt ist sie bei rund 27 Prozent – das ist ungefähr die Stärke, die sie bei der Bundestagswahl im Jahr 2013 hatte. Schulz weiß besser denn je: „Ich muss einen langen Weg gehen.“ Von der Kanzlerin weiß man auch, wo sie steht. Merkel hat ihre Routinen. Die Kanzlerin verfolgt den Abend – wie immer – zu Hause und telefoniert mit Laschet.
Der Erfolg ist für sie umso höher zu bewerten, als er von einem Vertrauten erzielt wurde, von einem Mann, der selbst in schwierigsten Zeiten zu ihr stand und nicht von ihrer Flüchtlingspolitik abgerückt ist: Armin Laschet gilt als „Merkelianer“.
CDU siegte, ohne AfD niederzuringen
Bemerkenswert ist auch, dass die CDU sich behaupten und zur stärksten politischen Kraft werden konnte, ohne die Alternative für Deutschland (AfD) niederzuringen. Was die Frage aufwirft, ob die rechtspopulistische Partei wirklich Fleisch vom Fleisch der CDU ist oder der SPD nicht genauso gefährlich werden kann. Im Umfeld der Kanzlerin neigt man zur Ansicht, dass die AfD ihren Scheitelpunkt erreicht hat. Jedenfalls waren die Ergebnisse 2016 besser als dieses Jahr.
Strategisch günstig ist, dass mit der CDU gleichzeitig die FDP sehr gut abgeschnitten hat. An der Union ist auf Bundesebene noch nie eine Koalition mit den Liberalen gescheitert. Das werden die Konservativen der FDP und sich selbst in Erinnerung rufen, und gerade die bayrische CSU wird sich darin bestärkt sehen, dass sie Schwarz-Grün beharrlich als Alternative abgelehnt hat. Auch in der CDU, dort gerade auch bei Schwarz-Grün-Anhängern, heißt es, eine Koalition mit den Grünen sei kein Selbstzweck, „sie muss Sinn machen“.
Tür-zu-Tür-Wahlkampf als CDU-Erfolgsgeheimnis?
An der CSU-Front ist Ruhe. So gnadenlos CSU-Chef Horst Seehofer seine Partei monatelang gegen Merkel in Position brachte, so entschieden fordert er seit einem halben Jahr Solidarität mit der Kanzlerin. Auch Laschet war eigens zu ihm nach München „gepilgert“ – nicht erfolglos.
Seehofer hat erkannt, dass sich Geschlossenheit für die Unionsparteien auszahlt und dass die CSU die bayrische Landtagswahl im Jahr 2018 nicht von der Bundestagswahl abkoppeln kann. Gewinnt Merkel, ist die Grundlage für einen Erfolg im Freistaat gelegt.
Im Prinzip läuft alles nach Plan. Als die SPD Schulz auf den Schild hob und in der Union die „Attacke“-Rufe lauter wurden, war es CDU-Chefin, die immer wieder bremste. Der Erfolg bei drei Landtagswahlen gibt ihr recht. Sie wird auch keinen Grund sehen, das Wahlprogramm, das für Juli auf dem Plan steht, jetzt anspruchsvoller zu formulieren. Es bleibt bei Steuersenkungs-Versprechen von 15 Milliarden Euro – nicht mehr.
Wenn die Erfolge im Saarland, Schleswig-Holstein und NRW auf Union-Seite etwas gemeinsam haben, ist es die hohe Wahlbeteiligung. CDU-Generalsekretär Peter Tauber verlegte einen Teil seiner Arbeit von Berlin in die Provinz. Er war in NRW viel unterwegs, die CDU ist dort über die Dörfer gegangen, buchstäblich. 30.000 Hausbesuche in der vergangenen Woche, 8000 allein am Freitag. Auch sie hat geackert. Wie Martin Schulz. Aber ungleich erfolgreicher.