Bezahlbarer Wohnraum in NRW ist knapp. Immer mehr Menschen ziehen vom Land in die Städte. Trotz mehr Sozialwohnungen sind Mietpreise angestiegen.
Als Krankenpfleger Timo Meyer nach einem Jobangebot am Uniklinikum Münster die Wohnungsanzeigen durchgeht, muss er schlucken: Mieten von mehr als 700 Euro für Zweizimmerwohnungen sind da keine Seltenheit. Bezahlbarer Wohnraum dagegen ist so umkämpft, dass er stets das Nachsehen hat. "Das ist schon heftig. Meine Obergrenze hatte ich mit 600 Euro Warmmiete gesetzt, dafür kriegst du in Münster nur was außerhalb", beschreibt er seine Erfahrung.
Erschwingliche Wohnungen sind in vielen Rheinmetropolen und angesagten Universitätsstädten in Nordrhein-Westfalen rar. Auch das lange vergleichsweise mietgünstige Ruhrgebiet erlebt nach Angaben des Mieterbundes eine Trendwende. Angesichts dieser Entwicklungen ist die Wohnungspolitik eines der zentralen Wahlkampfthemen in NRW.
Patentrezepte, wie der Wohnungsbau angekurbelt werden kann, hat keine der Parteien anzubieten. Von einer Entlastung bei der Grunderwerbssteuer über schnellere Baugenehmigungen bis zur Abschaffung der Mietpreisbremse reichen die Vorschläge.
Politik hat vergessen ländliche Räume zu versorgen
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NRW wächst - und das auch noch ungleich verteilt. Während manche ländliche Gegenden über Bevölkerungsschwund klagen, zieht es die Menschen in die Ballungsräume. "Seit etwa 2010 erleben wir eine Entwicklung, die es in dieser Dimension noch nie gab: Alle wollen in die Städte, nicht nach Suburbia, sondern möglichst zentrumsnah", sagt der Immobilienökonom Ralph Henger vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.
In den Metropolen finde sich Arbeit, sei das Leben für viele attraktiver als auf dem Land: "Die Politik hat die ländlichen Räume zu lange zu schlecht versorgt", kritisiert Henger. "Das fängt beim Ausbau von Schienen und Breitband an und hört bei der Ärzteversorgung auf."
Mieterbund: Nicht nur Luxusappartements bauen
Seit 2015 sorgt zudem starker Zuzug von Flüchtlingen dafür, dass dringend mehr Wohnungen gebaut werden müssten, um den Bedarf zu decken. Bis zum Jahr 2020 sollten es laut Wohnungsmarktbericht der NRW.Bank rechnerisch 400.000 neue Wohnungen sein. Vor allem bei der Nachfrage nach kleinen Wohnungen für Singles, Rentner und Paare gibt es den Experten zufolge Engpässe.
Was tun? "Da hilft nur Bauen, Bauen, Bauen - und zwar Wohnraum, den sich Normalverdiener leisten können, nicht nur Luxusappartements", sagt Jürgen Becher, Vize-Vorstand im Mieterbund NRW. Und das gehe nur mit Regulierung und staatlicher Förderung.
Tatsächlich steckt das Land inzwischen wieder mehr Geld in Sozialwohnungen. 1,1 Milliarden Euro sollen 2017 dafür bereitstehen, wie schon 2016. Städte mit angespannten Mietmärkten arbeiten seit einiger Zeit mit Quotenregelungen: Wo gebaut wird, muss ein bestimmter Anteil von Wohneinheiten im unteren Preissegment liegen oder gleich sozial gefördert sein.
Mietpreisbremse erscheint in vielen Städten wirkungslos
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Doch auch wenn inzwischen wieder kräftig gebaut wird, es mehr Sozialwohnungen gibt und zumindest der rasante Anstieg der Mieten laut Maklerverband IVD vorerst gestoppt ist - das andauernde Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage hat längst zu Spitzenmieten in manchen NRW-Städten geführt. "Mietkosten übersteigen dann vielerorts das bezahlbare Maß", sagt Becher.
Nach Angaben des IVD zahlt man mit 15 Euro für einen Quadratmeter Neubauwohnung am allermeisten in Köln, es folgen Bonn und Münster mit 13,50 Euro. "In gefragten Städten frisst Wohnen so 40, manchmal 50 Prozent des Einkommens auf", sagt Becher. Die Mietpreisbremse halten die Experten in dieser Form weitgehend für wirkungslos: "Sie kann zu leicht umgangen werden", sagt Immobilienökonom Henger. Das IW empfiehlt eine Stärkung des Wohngeldes, um Niedrigverdiener zu erreichen.
Mieten für Azubis und Berufseinsteiger oft zu teuer
Denn die hohen Mieten hätten Folgen: Verdrängung ins Umland und Schwächung des Konsums. Für Arbeitgeber auf der Suche nach Fachkräften sind hohe Mieten längst ein Standortnachteil. "Wenn wir junge Menschen an uns binden wollen, dann müssen wir ihnen auch die Chance geben, hier zu leben", sagt Christoph Hoppenheit, Kaufmännischer Direktor der Universitätsklinik Münster. Für Azubis oder Berufseinsteiger seien die Mieten oft unerschwinglich. "Die Mangelsituation ist so drastisch, dass wir hier Menschen haben, die unter Tränen bereits unterschriebene Arbeitsverträge wieder absagen müssen, weil sie sich das Wohnen in Münster nicht leisten können."
Doch Wohnungsnot macht erfinderisch. Die Uniklinik mietet inzwischen selbst Wohnungen an und vermietet sie an Angestellte. Davon kann nun Krankenpfleger Timo Meyer profitieren, er hat eine nagelneue Zwei-Zimmer-Wohnung bekommen. Auch die übersteigt zwar sein Budget, ist aber WG-tauglich - seine neue Mitbewohnerin ist ebenso erleichtert, eine Bleibe in Münster gefunden zu haben. (dpa)