Düsseldorf. Was kann NRW aus dem Ergebnis der Landtagswahl in Schleswig-Holstein lernen - und was nicht? Eine Bestandsaufnahme.

Bläst der Wechselwind von der Küste auch nach NRW? Nach dem überraschenden CDU-Triumph in Schleswig-Holstein wird in Düsseldorf über Auswirkungen auf die Landtagswahl am kommenden Sonntag diskutiert. Bei genauerer Betrachtung finden sich Parallelen ebenso wie regionale Besonderheiten.

Regierungsbilanz

Die Küsten-Koalition in Kiel (SPD, Grüne, Südschleswiger Wählerverband) rutschte kurz vor der Abwahl unter den wichtigen Wert von 60 Prozent Zufriedenheit in der Bevölkerung. Alarmierend für NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD): Infratest Dimap hat vergangene Woche nur noch 49 Prozent Zufriedenheit mit ihrer rot-grünen Regierungskoalition gemessen. Das ist der schwächste Wert aller westdeutschen Flächenländer. In Bayern sind stolze 69 Prozent der Bürger mit ihrer Regierung zufrieden, in Baden-Württemberg immerhin 64 Prozent. In NRW werden Rot-Grün vor allem Versäumnisse in der Schulpolitik, in der Verkehrspolitik und der inneren Sicherheit angekreidet.

Ministerpräsidenten-Faktor

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) ging bei der Direktwahl-Frage am Sonntag mit nur 48 Prozent Zustimmung ins Rennen. Das ist für einen Regierungschef ein sehr schwacher Wert. Zumal Landtagswahlen lange als Persönlichkeitswahlen mit hohem Amtsbonus galten: Die Wiederwahl-Ergebnisse von Winfried Kretschmann (Grüne) in Baden-Württemberg, Malu Dreyer (SPD) in Rheinland-Pfalz und Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) im Saarland wurden auch damit erklärt, dass die Bürger ihre vertraute Landesmutter oder ihren vertrauten Landesvater nur ungern in die Wüste schicken. NRW-Ministerpräsidentin Kraft zählte vor fünf Jahren im Bundesländer-Vergleich zu den beliebtesten Regierungschefinnen. Bei der Direktwahl-Frage erreichte sie 2012 noch 58 Prozent. Diesmal sieht es deutlich schlechter aus: Infratest Dimap sah vergangene Woche nur noch 49 Prozent Zustimmung, also kaum mehr als bei Albig.

Grüne und FDP

Die schleswig-holsteinischen Grünen des beliebten Vize-Ministerpräsidenten Robert Habeck haben ein zweistelliges Top-Ergebnis geholt, von dem die Parteifreunde in NRW nur träumen können. Während Habeck die linksliberale Mitte anspricht, haftet den Grünen in NRW ein Blockierer- und Verbots-Image an. Zudem sorgt NRW-Spitzenfrau und Schulministerin Sylvia Löhrmann für viel Verdruss. Die Umfragen sagen ein schwaches Ergebnis von 6 bis 7,5 Prozent voraus. Profitieren könnte unter Umständen Ministerpräsidentin Kraft, die ehemalige Grünen-Wähler zu sich herüberziehen müsste. Die FDP hinge­gen ist in Kiel ebenso stark wie in NRW: Im Norden heißt der Star Wolfgang Kubicki, in Düsseldorf Christian Lindner. So könnte es am Sonntag für die Liberalen erneut zweistellig werden.

Landesthemen

In NRW waren häufig Bundesthemen für Regierungswechsel mit ausschlaggebend: 2005 der Ärger über die „Agenda 2010“, fünf Jahre später der Frust über Schwarz-Gelb in Berlin und die Griechenland-Milliarden. Diesmal jedoch stehen allein Landesthemen im Fokus. „Der Wähler ist an der Zukunftskompetenz der Parteien bei wichtigen Themen interessiert. Seit vier Wochen überholt die Union die SPD in zentralen Themen wie Mobilität, Infrastruktur und Sicherheit. Das ist in NRW so, und es war so in Kiel“, urteilt Politikforscher Karl-Rudolf Korte.

Wechselstimmung

Ob die Bürger eine neue Landesregierung wollen, kündigt sich nicht mehr Monate vorher an. Bei abnehmender Parteienbindung wird kurzfristig und kühl nach vermuteter Lösungskompetenz entschieden. „Eine echte Wechselstimmung gab es weder in Kiel noch gibt es sie in Düsseldorf. Aber CDU-Herausforderer Armin Laschet hat die TV-Duelle zur Profilierung und zur Polarisierung genutzt, und er ist bekannter als Daniel Günther in Kiel“, meint Forscher Korte.

Sonderfall Albig

Schleswig-Holsteins Regierungschef Albig wurde ein Bunte-Interview mit seiner neuen Lebensgefährtin schwer verübelt. Er hatte darin über die Trennung von seiner Ehefrau philosophiert, mit der er sich nicht mehr „auf Augenhöhe“ habe austauschen können. Während sich „mein Leben schneller als ih­res“ entwickelt habe, sei seine Frau „in der Rolle als Mutter und Managerin unseres Haushalts gefangen“ geblieben.

Statt Verständnis für die neue Beziehung erntete Albig Empörung vor allem von vielen Frauen. Auch in Nordrhein-Westfalen schüttelte man den Kopf. „Hausgemachte Fehler vor allem durch das Verhalten von Ministerpräsident Albig“ hätten großen Anteil an der SPD-Pleite, bilanzierte Landtagsfraktionschef Norbert Römer.